Ein Funke Hoffnung in der Ostukraine
Die Ukraine und Separatisten tauschten Gefangene aus. Es ist ein kleiner Schritt bei der Umsetzung des Minsker Abkommens.
Die ersten Austauschkandidaten kamen aus Luhansk: Ein ukrainischer Berufssoldat, der im Winter 2016 in Gefangenschaft geraten war, ein Luhansker Blogger, den die Separatisten wegen Hochverrats zu 14 Jahren Haft verurteilt hatten, und zwei Fußballfans des Vereins Sorja Luhansk, die wegen einer verbrannten russischen Flagge im Gefängnis gelandet waren, kamen im Rahmen des Gefangenenaustausches zwischen der Ukraine und den prorussischen Separatisten am Mittwoch frei. Ein freigelassener ukrainischer Infanterist allerdings erklärte dem Fernsehsender 112.ua, er wolle in der Rebellenrepublik bleiben und dort als Schlosser arbeiten. „Hier ist es besser, es gibt viel Arbeit.“
Der erste Gefangenenaustausch seit September 2016 fand gestern, Mittwoch, am Kontrollpunkt Majorsk bei Gorlowka im Donbass statt. Die Gegend liegt rund 40 Kilometer von der Rebellenhochburg Donezk entfernt. Nach monatelangen Verhandlungen hatten Kiew und die Rebellen sich unter Vermittlung orthodoxer Geistlicher aus der Ukraine und Russland geeinigt, 306 prorussische Separatisten gegen 74 ukrainische Soldaten und Patrioten auszutauschen. Allerdings verkürzte sich die Liste vor Ort – in den ukrainischen Autobussen saßen statt 306 nur 237 Leute, die ins Rebellengebiet wollten. Angeblich hatten 43 ukrainische Gefangene ihre Haftstrafen schon abgesessen, 29 weitere wollten sich nicht austauschen lassen, 20 Gleichgesinnte waren vor Ort erschienen, um sich den Vertretern des Roten Kreuzes und der OSZE zu erklären. „Alles geht nach Plan“, kommentierte Kiews Unterhändler Viktor Medwetschuk trotzdem das Wirrwarr.
Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko ließ es sich nicht nehmen, den ersten Freigelassenen telefonisch zu gratulieren. Poroschenko hatte den Gefangenenaustausch schon am Vortag auf Facebook gefeiert: „Ich hoffe, das wird zum Symbol unseres Kampfs und unseres Sieges. Auf diesen Tag habe ich all diese drei Jahre gewartet.“
Auch die russische Seite wollte keinen Zweifel daran lassen, wer der Vater des Erfolgs ist: „Der Austausch kam vor allem dank Wladimir Putin zustande“, erklärt Stefan Scholl berichtet für die SN aus der Ukraine der Moskauer Fernsehsender TW Zentr. „Der Appell des russischen Führers an die Häupter der nicht anerkannten Republiken brachte die Angelegenheit ins Rollen“, verlautete der Sender.
Mitte November hatte Putin die Rebellenchefs persönlich angerufen, danach machten die Separatisten Zugeständnisse: Sie strichen vor allem mehrere Häftlinge aus ihrer Liste, deren Strafen in keinem Zusammenhang mit den Kämpfen im Donbass stehen, die aber mit führenden Rebellen verwandt sein sollen. „Offenbar wollte Präsident Putin diesen Austausch wirklich“, sagt der Moskauer Donbass-Experte Pawel Kanygin. „Vor der Präsidentschaftswahl im März möchte er sich auch als Humanist und Friedensstifter präsentieren.“
Der am Mittwoch gestartete Gefangenenaustausch soll der größte seit Beginn des Konflikts um die Ostukraine vor knapp vier Jahren sein. Den letzten Gefangenenaustausch hatte es im September 2016 gegeben. Damals ließ die ukrainische Regierung vier Separatisten frei, die Rebellen ließen wiederum zwei Gefangene gehen.
Beobachter zweifeln aber, dass der Austausch von Majorsk zum Durchbruch im Ringen um eine Lösung des Dauerkonflikts in der Ostukraine werden könne. Der angestrebte Austausch „aller gegen alle“gelang nicht. Russen, die aufseiten der Rebellen gekämpft hatten, harren zu Dutzenden in ukrainischen Gefängnissen aus. Umgekehrt hält Russland mehrere Ukrainer fest, die Menschenrechtsgruppen als „politische Gefangene“bezeichnen. Wie Regisseur Oleh Senzow, den ein Gericht auf der Krim als Terroristen zu 20 Jahren Straflager verurteilt hat.
Eigentlich war der Austausch schon Anfang 2015 in der Minsker Friedensregelung vereinbart worden. Er ließ sich aber ebenso wenig umsetzen wie eine Waffenruhe. Auch diesbezüglich gibt es zumindest einen kleinen Hoffnungsschimmer: Die vor rund einer Woche im Vorfeld des orthodoxen Weihnachtsfests am 7. Jänner vereinbarte Waffenruhe scheint weitgehend zu halten. Laut der OSZEBeobachtungsmission SMM ging die Zahl der Zwischenfälle zwischen dem 23. und 24. Dezember in der Region Donezk deutlich zurück, während in der Region Luhansk 24 Stunden lang überhaupt keine Verletzung verbucht wurde. Zuvor hatten die Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) täglich Hunderte Verletzungen registriert.
Beobachter wollen den Gefangenenaustausch allerdings nicht überbewerten. „Der Austausch ist eine Episode, die den Minsker Friedensprozess nicht vom toten Punkt bewegen wird“, sagt der Kiewer Politologe Wadim Karasjew.
Angesichts der im März 2019 anstehenden Präsidentschaftswahl würden Poroschenko und das ukrainische Parlament die unpopulären Reformgesetze, die das Minsker Abkommen fordert, keinesfalls in Angriff nehmen. Ein Freiwilliger der ukrainischen Armee meinte sogar sarkastisch: „Die Waffenruhe wird mit allen Kalibern eingehalten.“An der Front bleiben Beschüsse, Tote und neue Gefangene Alltag.
In der Ostukraine kämpft die Regierungsarmee seit 2014 gegen Separatisten, die von Russland gestützt werden. Moskau weist dies zurück. In dem Krieg sind UNO-Angaben zufolge bereits mehr als 10.000 Menschen getötet worden.