„Wir haben zu wenig Geduld“
Sepp Brunner kam nach der Schweiz in den ÖSV zurück. Erfolgreich.
Dass er ÖSVAbfahrtstrainer geworden sei, das sei ihm passiert und sei nie so angestrebt gewesen, sagt Sepp Brunner zu Beginn des SN-Interviews. Nach einem Zerwürfnis und einem „unwürdigen und unmenschlichen Abgang“im Frühjahr vom Schweizer Ski-Verband kam schon eine Woche später der Anruf von ÖSV-Chefcoach Andreas Puelacher – und Brunner kehrte doch noch zum ÖSV retour. Dort wurde er aktuell zu so etwas wie dem Hoffnungsträger – acht Podestplätze in den sechs Speedrennen zu Saisonbeginn tragen schon seine Handschrift. Und die Läufer loben nicht nur vor der donnerstägigen Abfahrt in Bormio (das zweite Training musste am Mittwoch wegen des Nebels und Schneefalls abgesagt werden) seine Ausgeglichenheit und Ruhe. SN: Fangen wir gleich mit den Läufer-Komplimenten an: Woher kommt denn die Ruhe? Brunner: Wenn man so lang wie ich im Geschäft ist, dann lässt man sich nicht verrückt machen, weder in guten noch in schlechten Tagen. In Wahrheit arbeite ich hier ja mit vielen Klasse-Läufern zusammen, da muss man nicht immer alles hinterfragen, sondern nur an ein paar Schrauben drehen. SN: Was waren denn die ersten Schrauben, an denen Sie gedreht haben? Was bei den Österreichern auffällig war: Lange Kurven waren nie das ihre. Daher haben wir heuer in La Parva in Chile trainiert, dort bietet sich das Training genau für diese langen Kurven an. Die werden auch die Olympia-Abfahrt in Korea dominieren. Dann lege ich auch immer einen großen Wert auf den Start. Wir haben daher heuer speziell mit einem Skating-Trainer aus dem Langlauf trainiert und diese Starts geübt. Die Norweger haben das verinnerlicht, die starten im SkatingStil. Die paar Stundenkilometer, die man da mitnimmt, erscheinen als nicht viel, aber die wirken sich zum Beispiel in Beaver Creek auf den ersten 30 Fahrsekunden aus. Da kann es dann auch schon vorbei sein. SN: Die Norweger sind seit Jahren die Richtlinie in der Abfahrt, was machen die denn anders? Diese Frage stellen wir uns nicht, denn sobald wir auf die Norweger schauen und uns überlegen, was wir uns abschauen können, haben wir schon verloren, weil wir dann immer einen Schritt zurück sind. Wir schauen auf uns. SN: Da fällt auf: Der ÖSV hat fünf Top-Abfahrer, dahinter klafft eine enorme Lücke. Warum? Das kann ich auch nicht genau beurteilen, da bin ich zu kurz beim ÖSV. Da muss man sicher im Nachwuchsbereich ansetzen, aber auch bei ganz typischen Rahmenbedingungen. SN: Was meinen Sie damit? Die Deutschen haben jetzt ein gutes und junges Abfahrtsteam aufgebaut. Kompliment. Aber da war es halt auch jahrelang egal, ob Rang 52 dabei herauskommt oder mehr oder weniger. Das wäre in der Schweiz oder in Österreich undenkbar. Allein, dass wir nach drei Abfahrten über das Thema diskutieren, zeigt ja, welchen Druck und welche Erwartungshaltung es da gibt. Jahrelang nur Erfahrungen zu sammeln wäre da nicht möglich. Das ist halt ein Vorteil der kleineren Teams und damit sinngemäß auch der Norweger. SN: Was ist denn der größte Unterschied zwischen Österreich und der Schweiz im Skisport? Zwischen den Verbänden gibt es gar keinen so großen Unterschied. In beiden Verbänden ist alles gegeben, was man sich für den Skisport nur wünschen kann, von Forschung über die Trainerteams bis zu den finanziellen Möglichkeiten. Ein Unterschied mag sein: Österreich hat eine noch größere Masse an Rennläufern, aber wir haben wenig Ruhe und Geduld mit den Läufern.
„Man darf sich nicht verrückt machen lassen.“Sepp Brunner, ÖSV-Abfahrtstrainer