Das Winterfest setzt zum Höhenflug an
Mit einer akrobatischen Delikatesse geht das Salzburger Winterfest ins Finale.
Sind es Clowns? Artisten? Schauspieler? In seiner heuer letzten Premiere macht das Salzburger Winterfest die Manege frei für ein ebenso witziges wie melancholisches Paar, das poetisch, athletisch und pantomimisch brilliert. Simone Fassari und Camilla Pessi, die als Compagnia Baccalà auftreten, führen Glück und Katastrophen einer komplizierten Liebe vor – vom Spiel mit dem Apfel bis zum Höhenflug.
Ein Paar tritt auf und trägt ein Täschchen herbei. Ist es ein Köfferchen? Oder eine Box? Es ist so klein, dass das kaum erkennbar ist. Zudem nesteln der Mann und die Frau daran herum, öffnen es und – ohhh! Ein Apfel. Offenbar duftet dieser Apfel verführerisch. Erst riecht er daran, dann riecht sie daran. Welche Lust verspricht einem Hungrigen so ein simpler Apfel! Die beiden beginnen, damit zu spielen – zumeist jeder für sich, ab und zu miteinander. So beginnt ein Liebesspiel der subtilen Art.
Erst am Ende ihrer Vorführung – wir sind in der letzten Premiere des heurigen Winterfests im Salzburger Volksgarten – werden der Mann und die Frau zum Höhenflug auf dem für sie eigentlich viel zu weit oben hängenden Trapez ansetzen. Und auch der Höhenflug wird für dieses bedauerns- wie liebenswerte Paar vertrackt: Endlich haben sie die ersehnte Stange oben im Circuszeltdach erreicht. Doch sind sie patschert! Er droht zu fallen! Derweil versetzt sie seinem Kinn scheinbar unabsichtlich sogar noch einen Tritt! Wenig später pfercht dafür sein Fuß ihre Wange ins luftige Eck von Seil und Stange, während ihre Beine und Arme irgendwo baumeln.
Sogar wenn diese verquer Liebenden bloß nebeneinander sitzend auf der Schaukel baumeln, geraten die Beine ins Durcheinander und die Blicke in entgegengesetzte Richtungen. Dabei können und wollen sie von Anfang des Apfelspiels an nicht voneinander lassen. Jeder sucht die Nähe des anderen.
Aber irgendwie scheitern die beiden dauernd, sie stürzen, stolpern, versauen einander mit Fehlern die kleinen Kunststücke, werden zornig aufeinander oder rachsüchtig. Zwei Mal holen sie sich sogar einen Helfer aus dem Publikum – auch dies leider vergeblich. Aber dann! Da liegen sie sich in den Armen – in so inniger, umfassender, schlichter Umarmung, wie sie nur zwei zutiefst Vertrauten gelingt. Also Erlösung? Nein, nie, niemals kommt diesen Liebenden Erlösung in der Umarmung. Denn die will er meist früher lösen als sie, was bei ihr in Enttäuschung oder Insistieren mündet und bei ihm in Ungeduld oder abschätziger Enerviertheit.
Wer sind diese beiden, die sich fast ohne Requisiten in der schwarzen Manege über eine Stunde lang tummeln? Sie tragen alte Hüte, er tritt in einem viel zu weiten Mantel auf, sie trägt ein Vielschicht-HosenKleidchen-Irgendetwas. Simone Fassari und Camilla Pessi – sie formieren die Compagnia Baccalà – erscheinen längst nicht so athletisch wie die per Köpfler und Salti herumhechtenden und Wände hinauf- rasenden Artisten von Flip FabriQue oder die Holzscheite werfende Männertruppe um Claudio Stellato. Simone Fassari und Camilla Pessi sind Artisten dreifach anderer Art.
Erstens sind sie so glänzende Schauspieler, dass sie abgesehen vom titelgebenden „Pss Pss“ohne Worte auskommen. Nur mit Mimik, Gestik und Blicken vermitteln sie eine riesige, bunte Gefühlspalette. Was Menschen bloß mit Körpersprache auszudrücken vermögen!
Zweitens sind sie Poeten. Mit Feinsinn, prägnanter Präzision und delikaten Anspielungen stacheln sie Achtsamkeit und Fantasie der Zuschauer an. So exakt wie jedes Augenrollen, so exquisit sind auch Make-up und Kleider dieser EdelClowns. Camilla Pessi lässt unter ihrer dunkelgrauen Samtkappe schwarz-lila schillerndes Haar wegstehen, als wäre sie die Schwester Pippi Langstrumpfs. Über grasgrü- nen Strümpfen trägt sie weiße Stepp-Unterhose, rote Samt-Bermudas und schwarzes Faltenrock-Trägerkleidchen, darüber ein tailliertes Mäntelchen mit einem Dutzend Mini-Knöpfchen.
Weil die beiden drittens musikalisch sind, spielt er Trompete und sie Harmonika. Und gar! Als sie endlich eine Leiter haben, die den Aufstieg zum Trapez ermöglichen könnte, stellt er sie verkehrt auf – wie ein V. Doch sogar eine kopfstehende Alu-Leiter ist für intelligent Spielende nicht unnütz: Bläst man durch die seitlichen Löcher der Sprossen, erklingen Töne! Simone Fassari und Camilla Pessi klettern und blasen so virtuos herum, dass sie der Leiter „Morgen kommt der Weihnachtsmann!“entlocken.
Leise, nur mit „Pss Pss“, gelingt eine artistische Glanzleistung