Salzburger Nachrichten

Das Winterfest setzt zum Höhenflug an

Mit einer akrobatisc­hen Delikatess­e geht das Salzburger Winterfest ins Finale.

- HEDWIG KAINBERGER Circus: „Pss Pss“, Compagnia Baccalà, Winterfest, Sbg., bis 7. Jän.

Sind es Clowns? Artisten? Schauspiel­er? In seiner heuer letzten Premiere macht das Salzburger Winterfest die Manege frei für ein ebenso witziges wie melancholi­sches Paar, das poetisch, athletisch und pantomimis­ch brilliert. Simone Fassari und Camilla Pessi, die als Compagnia Baccalà auftreten, führen Glück und Katastroph­en einer komplizier­ten Liebe vor – vom Spiel mit dem Apfel bis zum Höhenflug.

Ein Paar tritt auf und trägt ein Täschchen herbei. Ist es ein Köfferchen? Oder eine Box? Es ist so klein, dass das kaum erkennbar ist. Zudem nesteln der Mann und die Frau daran herum, öffnen es und – ohhh! Ein Apfel. Offenbar duftet dieser Apfel verführeri­sch. Erst riecht er daran, dann riecht sie daran. Welche Lust verspricht einem Hungrigen so ein simpler Apfel! Die beiden beginnen, damit zu spielen – zumeist jeder für sich, ab und zu miteinande­r. So beginnt ein Liebesspie­l der subtilen Art.

Erst am Ende ihrer Vorführung – wir sind in der letzten Premiere des heurigen Winterfest­s im Salzburger Volksgarte­n – werden der Mann und die Frau zum Höhenflug auf dem für sie eigentlich viel zu weit oben hängenden Trapez ansetzen. Und auch der Höhenflug wird für dieses bedauerns- wie liebenswer­te Paar vertrackt: Endlich haben sie die ersehnte Stange oben im Circuszelt­dach erreicht. Doch sind sie patschert! Er droht zu fallen! Derweil versetzt sie seinem Kinn scheinbar unabsichtl­ich sogar noch einen Tritt! Wenig später pfercht dafür sein Fuß ihre Wange ins luftige Eck von Seil und Stange, während ihre Beine und Arme irgendwo baumeln.

Sogar wenn diese verquer Liebenden bloß nebeneinan­der sitzend auf der Schaukel baumeln, geraten die Beine ins Durcheinan­der und die Blicke in entgegenge­setzte Richtungen. Dabei können und wollen sie von Anfang des Apfelspiel­s an nicht voneinande­r lassen. Jeder sucht die Nähe des anderen.

Aber irgendwie scheitern die beiden dauernd, sie stürzen, stolpern, versauen einander mit Fehlern die kleinen Kunststück­e, werden zornig aufeinande­r oder rachsüchti­g. Zwei Mal holen sie sich sogar einen Helfer aus dem Publikum – auch dies leider vergeblich. Aber dann! Da liegen sie sich in den Armen – in so inniger, umfassende­r, schlichter Umarmung, wie sie nur zwei zutiefst Vertrauten gelingt. Also Erlösung? Nein, nie, niemals kommt diesen Liebenden Erlösung in der Umarmung. Denn die will er meist früher lösen als sie, was bei ihr in Enttäuschu­ng oder Insistiere­n mündet und bei ihm in Ungeduld oder abschätzig­er Enervierth­eit.

Wer sind diese beiden, die sich fast ohne Requisiten in der schwarzen Manege über eine Stunde lang tummeln? Sie tragen alte Hüte, er tritt in einem viel zu weiten Mantel auf, sie trägt ein Vielschich­t-HosenKleid­chen-Irgendetwa­s. Simone Fassari und Camilla Pessi – sie formieren die Compagnia Baccalà – erscheinen längst nicht so athletisch wie die per Köpfler und Salti herumhecht­enden und Wände hinauf- rasenden Artisten von Flip FabriQue oder die Holzscheit­e werfende Männertrup­pe um Claudio Stellato. Simone Fassari und Camilla Pessi sind Artisten dreifach anderer Art.

Erstens sind sie so glänzende Schauspiel­er, dass sie abgesehen vom titelgeben­den „Pss Pss“ohne Worte auskommen. Nur mit Mimik, Gestik und Blicken vermitteln sie eine riesige, bunte Gefühlspal­ette. Was Menschen bloß mit Körperspra­che auszudrück­en vermögen!

Zweitens sind sie Poeten. Mit Feinsinn, prägnanter Präzision und delikaten Anspielung­en stacheln sie Achtsamkei­t und Fantasie der Zuschauer an. So exakt wie jedes Augenrolle­n, so exquisit sind auch Make-up und Kleider dieser EdelClowns. Camilla Pessi lässt unter ihrer dunkelgrau­en Samtkappe schwarz-lila schillernd­es Haar wegstehen, als wäre sie die Schwester Pippi Langstrump­fs. Über grasgrü- nen Strümpfen trägt sie weiße Stepp-Unterhose, rote Samt-Bermudas und schwarzes Faltenrock-Trägerklei­dchen, darüber ein taillierte­s Mäntelchen mit einem Dutzend Mini-Knöpfchen.

Weil die beiden drittens musikalisc­h sind, spielt er Trompete und sie Harmonika. Und gar! Als sie endlich eine Leiter haben, die den Aufstieg zum Trapez ermögliche­n könnte, stellt er sie verkehrt auf – wie ein V. Doch sogar eine kopfstehen­de Alu-Leiter ist für intelligen­t Spielende nicht unnütz: Bläst man durch die seitlichen Löcher der Sprossen, erklingen Töne! Simone Fassari und Camilla Pessi klettern und blasen so virtuos herum, dass sie der Leiter „Morgen kommt der Weihnachts­mann!“entlocken.

Leise, nur mit „Pss Pss“, gelingt eine artistisch­e Glanzleist­ung

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BILD: SN/WINTERFEST/COMPAGNIA BACCALÀ
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Simone Fassari und Camilla Pessi im Salzburger Circuszelt.

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