„Zu viel Wegsperrmentalität“
ÖVP-Volksanwältin Gertrude Brinek ortet „beunruhigende Tendenzen“im Justizkapitel des türkis-blauen Regierungsprogramms.
WIEN. Gertrude Brinek, promovierte Pädagogin, einst Wissenschaftssprecherin der ÖVP im Parlament, heute Volksanwältin, ist als solche unter anderem für die Überprüfung der Verfahrensdauer bei Gerichten und Staatsanwaltschaften zuständig. In dieser Eigenschaft hat Volksanwältin Brinek das Justizkapitel des türkis-blauen Koalitionspakts studiert und dort, wie sie den SN berichtet, einige „beunruhigende Tendenzen“ausgemacht.
Darunter die Absicht der Koalition, eine Angleichung der Strafdrohungen für junge Erwachsene an jene der Erwachsenen zu „überprüfen“. – „Es hat gute Gründe, dass 18-jährige anders behandelt werden als 55-jährige Straftäter“, sagt Brinek. Bei jungen Menschen dürfe eine Haftstrafe nur „das allerletzte Mittel“sein. „Jemanden nur in eine Zelle zu sperren bringt nichts. Es geht um Ausbildung, Sozialarbeit, Resozialisierung und Therapie.“Sollte die Regierung diesen bisher beschrittenen Weg verlassen, „würde das vieles ruinieren, was in den vergangenen Jahren aufgebaut wurde“, warnt die Volksanwältin.
Auch dass die Koalition das„ Waffen ge brauchs recht der Justiz wache“einer„ Modernisierung“zuführen will,läs st beiBrinek die Alarmglocken schrillen. „Sollte damit gemeint sein, dass verstärkt auf Waffengebrauch gesetzt werden soll, dann ist das der falsche Weg.“Zielführend in den Gefängnissen sei nicht der Waffen geb rauch ,„ sondern De eskalation “. Dies sei ein europaweiter Professionali sie rungstrend im Strafvollzug, von dem sich Österreich nicht abkoppeln sollte, sagt die Volksanwältin.
Der Passus: „Enthaftung von untergebrachten Rechtsbrechern ausschließlich bei Wegfall der Gefährlichkeit“lässt die Volksanwältin ratlos zurück. „Wer stellt das fest?“, fragt sie. „Gibt es genügend Psychiater und Therapeuten? Und genügend qualifizierte Gutachter?“– „Mir schimmert in diesem Programm etwas zu viel Weg sperr mentalität durch und die Ignoranz, dass es um kranke Menschen geht“, fasst Brinek zusammen. Faktum sei, „dass nahezu jeder Straftäter irgendwann das Gefängnis verlässt“. Für die Sicherheit der Gesellschaft sei es entscheidend, dass die entlassenen einstigen Straftäter in der Lage seien, mit ihrer neuen Freiheit verantwortungsbewusst und konfliktfrei umzugehen. Dies lernten sie nicht durch überlange Haftstrafen, sondern durch Therapiemaßnahmen und gegebenenfalls durch eine Berufsausbildung. Für diese wiederum benötigten die Gefängnisse „fachkundige Handwerksmeister“, die die Häftlinge ausbilden könnten. Es wäre also falsch, dieses wichtige Personal „wegzuevaluieren“, sagt die Volksanwältin mit Verweis auf Seite 47 des Regierungspakts, wo von einer „Evaluierung der Justizbetreuungsagentur“die Schreibe ist.
Was die von der Regierung geplante Reform des Familienrechts betrifft, hat Brinek Ergänzungsvorschläge. Sollte bei einem Paar, das sich die Obsorge für die Kinder teile, „Gewalt im Spiel sein“, sollte die gemeinsame Obsorge per einstweiliger Verfügung unterbrochen werden können.
Und: Familienrichtern sollte es verstärkt ermöglicht werden, Zusatzqualifikationen, etwa in Mediation, zu erwerben, schlägt die Volksanwältin vor.