Leeuwarden öffnet ein Füllhorn
Ob Salzburg sich für 2024 als Europas Kulturhauptstadt bewirbt? Es gäbe ein gemeinsames Wahrzeichen mit dem kommenden Titelträger.
SALZBURG. Weißes Hemd, schwarze Hose, vielseitig deutbarer Blick: So steht der Mann auf seiner goldenen Kugel. In der niederländischen Region Friesland könnte die Skulptur des Künstlers Stephan Balkenhol 2018 zu einem neuen Wahrzeichen werden, das Besucherströme lockt und zu Kunstdebatten anregt.
Kulturtouristen aus Salzburg könnte das dann alles irgendwie vertraut vorkommen. Auf dem Kapitelplatz steht schließlich seit 2007 ein Mann in der klassischen „Balkenhol-Uniform“auf seiner goldenen Kugel und lockt (als Teil des Kunstprojekts der Salzburg Foundation) zur Auseinandersetzung mit Kunst an.
In Friesland ist die goldene Kugel kleiner. Dafür trägt der Mann ein Füllhorn auf den Schultern, aus dem es reichlich sprudeln kann. Ein Symbol für die Erwartungen an 2018? Stephan Balkenhol ist einer von elf Künstlern, die für elf Städte in der Region Brunnenskulpturen geschaffen haben. „11 Fountains“heißt das Projekt. Es ist ein zentraler Programmpunkt eines Jahres, in dem Kultur viel in Fluss bringen soll: Friesland mit der Stadt Leeuwarden im Zentrum ist Europas Kulturhauptstadt 2018.
Österreich ist 2024 wieder an der Reihe, eine Kulturhauptstadt zu stellen. Auch in Salzburg laufen derzeit Debatten um Chancen und Sinn einer Bewerbung.
Mit Leeuwarden hätte die Stadt dabei mehr als nur ein Wahrzeichen gemeinsam: Für „11 Fountains“hat auch der katalanische Künstler Jaume Plensa einen Brun- nen entworfen, in Gestalt zweier überlebensgroßer Kinderköpfe, die aus dem Boden zu wachsen scheinen. In Salzburgs Altstadt ist seit 2010 ein aus dem Boden wachsender Frauenkopf von Plensa zu bewundern, die Skulptur „Awilda“.
Neue Verbindungen zwischen den Städten der Region Friesland sollen die Kunstobjekte schaffen. Balkenhols Brunnen steht ab Mai in der friesischen Stadt Sneek. Das Füllhorn, aus dem das Wasser sprudelt, verweist auf die Glücksgöttin Fortuna. Bei Balkenhol hat das Glücksversprechen freilich einen feinen künstlerischen Widerhaken. Wie sich die Kugel durch den Rückstoß des Wassers um ihre eigene Achse drehe, bleibe stets unberechenbar, steht im Programmbuch von Leeuwarden. Wer von dem Füll- horn profitiere „und wie lange es anhält, ist nicht vorherzusagen“.
Solche Fragen aber will die EU möglichst genau beantwortet wissen, bevor sie einer künftigen Kulturhauptstadt den Titel verleiht. In der Regel bewerben sich seit 2006 jeweils mehrere Städte eines Landes. Die Auswahl trifft eine internationale Jury.
Um Größe oder Namen mit europäischem Gewicht allein geht es dabei nicht. Leeuwarden hatte durchaus Konkurrenz. Den Haag bewarb sich als „Hafen der Gedankenfreiheit“. Maastricht pochte in seinem Konzept auf das 25-jährige Jubiläum der Maastricht-Verträge, auf denen die EU-Idee gründet. Utrecht brachte sich als „Stadt der nächsten Generation“ins Spiel. Eindhoven setzte auf Fantasie. „Die Vorstellungskraft gestaltet Europa“, lautete sein Slogan.
Nach mehreren Auswahl- und Inspektionsrunden entschied sich die Expertenjury dennoch für das Konzept, mit dem sich die 100.000-Einwohner-Stadt Leeuwarden und die Provinz Friesland bewarben: „Iepen Mienskip“bedeutet in der zweiten Landessprache Friesisch so viel wie „offene Gesellschaft“. Dies umspanne Begriffe wie Respekt, Gleichheit und wechselseitige Verantwortung, also Werte, die für Europa wesentlich seien, urteilten die Experten. Dass die Bewerbung mit Einbindung der Bevölkerung entstand und dass im Jahresprogramm neben Zukunftskonzepten auch aktuell drängende Themen wie Generationenkluft, Stadt-LandGefälle oder Klimawandel mit den Mitteln der Kunst gespiegelt werden, wirkte ebenfalls überzeugend.
So entstand auch die Idee zum Projekt „11 Fountains“aus einem Problembewusstsein: Traditionell verband in strengen Wintern der „Elfstedentocht“, ein 200 Kilometer langer Schlittschuhwettlauf über zugefrorene Kanäle, Flüsse und Seen, die elf Städte. Wegen des Klimawandels gibt es verlässlich strenge Winter immer seltener. Stattdessen verbinden 2018 nun die von Künstlern gestalteten Brunnen die elf Städte.
Das Füllhorn, das Kulturhauptstädte brauchen, um ehrgeizige Programme umzusetzen, erwies sich unterdessen auch in Leeuwarden als weniger berechenbar als erhofft: Laut niederländischen Medienberichten musste das Budget, unter anderem wegen Ausfällen von Sponsoren, von 74 Millionen auf 61 Millionen Euro verschlankt werden, Ideen wie ein „Museum of Love“fielen dem Sparzwang zum Opfer.
Bei über 60 Projekten für das Kulturhauptstadtjahr lässt sich freilich trotzdem von Reichtum sprechen. Bereits zur Eröffnung am 26. und am 27. Jänner verspricht Leeuwarden eine „Nacht der 2018 Geschichten“. Das Fries-Museum widmet der Spionin Mata Hari und dem Maler M. C. Escher, zwei der berühmtesten historischen Persönlichkeiten Leeuwardens, große Ausstellungen. Ein „Never Ending Orchestra“hat zwischen Mai und September einen dichten Auftrittsplan. In der Performance „Der Sturmreiter“kommen 100 Pferde zum Einsatz, um den Kampf mit dem Wasser im Land der Deiche darzustellen. „Trau Dich zu träumen“, „Trau Dich zu handeln“und „Trau Dich anders zu sein“heißen die Kapitel im Programmbuch.
Das Jahresmotto „Iepen Mienskip“lässt sich mit „offener“, aber auch mit „eigenwilliger“Gemeinschaft übersetzen. Dazu passt ein Projekt der friesischen Theaterkompanie De Paupers. Sie wollte, dass die Bevölkerung einen eigenen Brunnen zu den „11 Fountains“beisteuert und rief eine Crowdfunding-Aktion ins Leben. Entstanden ist der Pauper-Brunnen: Eine Skulptur, bei der das Wasser aus lauter männlichen Geschlechtsteilen kommt. Als „Penis-Brunnen“wird sie in Workum bereits bezeichnet. Erinnert das nicht entfernt an eine Skulptur, die in Salzburg 2003 für Kunstdebatten sorgte?