In der Position der Gejagten: Motivation oder Belastung?
Mikaela Shiffrin ist auch diese Saison wieder die Dame, die im Skiweltcup den Ton angibt. Was sie aus meiner Sicht so konstant stark macht und wie es sich anfühlt, ständig als Gejagte am Start zu stehen.
36 Weltcupsiege – mit dem Slalomsieg am Hochstein in Lienz hat Mikaela Shiffrin mit mir, was die Gesamtzahl an Weltcupsiegen betrifft, fast gleichgezogen. Den einen noch fehlenden Sieg wird sie sicherlich bald einfahren.
Wenn ich an meinen Weg zu dieser Zahl hin denke, waren Abschnitte der Hochform, aber auch Zeiten, in denen ich sehr kämpfen musste, dabei. Geprägt von einigen Verletzungen und dadurch Durststrecken, in denen die Zielsetzungen eher bescheiden waren.
Bei Mikaela scheint das alles mit ihren gerade mal 22 Jahren einfach ein Klacks zu sein. Von außen betrachtet schafft sie es fast immer, ihre Leistungen auf den Punkt zu bringen, und wenn ihr mal ein größerer Fehler passiert oder ein Lauf nicht ganz aufgeht und sie nicht ganz oben auf dem Podium steht, ist sie meistens knapp daneben zu finden.
Dahinter steckt natürlich Talent, großes Talent, aber auch jede Menge harte Arbeit. Sie trainiert und reist mit ihrem eigenen Trainerund Betreuerteam. Alles ist perfekt auf Mikaela abgestimmt. Es werden keine Kompromisse gemacht und auch zur richtigen Zeit wird wieder Druck rausgenommen, um, so denke ich, vor allem im Kopf frisch zu bleiben. Sie lässt Rennen aus, bei denen sie durchaus Chancen auf das Podium hätte, um nicht müde zu werden und zwischendurch weiter an ihrer bereits so feinen Technik zu feilen.
Als Athletin ist sie extrem fokussiert und vielseitig. Sie versteht es, sich auf verschiedene Schneebedingungen, Kurssetzungen und Hänge einzustellen. Wenn sie es einmal nicht schafft, ihre Leistung voll abzurufen, passiert ihr das mit großer Sicherheit kein zweites Mal. Die Fehler, die sie macht, werden analysiert, es wird daran gearbeitet und wenn wieder eine ähnliche Situation auf sie zukommt, weiß sie genau, was sie zu tun hat, um diese dann erfolgreich zu meistern.
Die Rolle der Gejagten liegt ihr im Blut, denn sie schafft es, diesen Druck in Leistung umzuwandeln und einfach das Rennfahren zu genießen. Ich kann mich noch an meine aktive Zeit erinnern. Auch ich durfte lang in der Rolle der Gejagten Rennen bestreiten. Eine Rolle, die großen Druck in sich birgt, die ich aber dennoch meistens sehr genossen habe. Natürlich ist es nicht einfach, wenn bei jedem Rennen von dir erwartet wird, dass du am Ende am obersten Treppchen des Podiums stehst, alles andere scheinbar eine Enttäuschung wäre und die einzige Frage nur die nach der Höhe des Vorsprungs im Ziel ist. In den eigenen Gedanken haben diese Dinge nichts verloren. Es ist wichtig, stets Demut walten zu lassen und nichts als selbstverständlich hinzunehmen. Denn, auch wenn es oft so scheint, als könnte einen nichts aus der Bahn werfen, als sei man unschlagbar, kann eine kleine Nuance reichen und die große Selbstsicherheit ist dahin. Zum Beispiel ein paar Ausfälle, kleine Schwierigkeiten mit dem Material, körperliche Beschwerden, etc. Es muss einfach alles stimmen.
Bei Mikaela sehe ich ihre Mutter als große Konstante. Sie zieht im Hintergrund die vielen Fäden. Sie scheint ein sehr gutes Gefühl für ihre Tochter zu haben, ist material- und skitechnisch sehr versiert und kann so ihrer Tochter viel Last von den Schultern nehmen. Ich schätze Mikaela als eine Athletin ein, die genau weiß, was sie will und wie sie das erreichen kann. Dennoch denke ich, dass die Konstellation mit ihrer Mutter ihr sehr viel Vertrauen gibt und sie somit zwischendurch immer wieder gut zur Ruhe kommen und sich ausruhen kann.
Im Slalom ist Mikaela eine Klasse für sich. Wenn sie ihre perfekte Leistung abrufen kann, sind es Fahrten für das Lehrbuch der perfekten Renntechnik und dann ist sie zeitlich unantastbar. Die anderen Rennläuferinnen müssen riskieren, um sie unter Druck setzen zu können, und sind dadurch in schwierigen Passagen fehleranfälliger. Mikaela hingegen versteht es und kann es sich momentan leisten, in kritischen Passagen zu dosieren.
Meine Schwester Bernadette konnte in Lienz mit Rang vier im Slalom ihr bestes Ergebnis bei einem „Österreichrennen“markieren. Das freut mich einerseits, andererseits weiß ich, dass sie noch viel mehr draufhat. Der erste Lauf war nicht optimal, hier muss sie es noch schaffen, auf Anhieb am Limit zu fahren und so für den zweiten Durchgang eine noch bessere Ausgangsposition zu haben.
Der Riesenslalom war dieses Mal vor allem an der Spitze eine extrem enge Sache und sehr spannend anzusehen. Aus österreichischer Sicht ist es sehr positiv, dass im zweiten Durchgang doch einige Läuferinnen mit dabei waren und sich auch noch um einige Ränge verbessern konnten. Das lässt hoffen, dass auch im Riesentorlauf bald wieder eine Österreicherin vom Siegespodest lacht!