Salzburger Nachrichten

Sie führen ihren Erfolg fälschlich­erweise auf Glück, Zufall und andere Faktoren zurück.

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Auf der Karrierele­iter nach oben stehen sich manche High Potentials selbst im Weg, weil sie von starken Selbstzwei­feln geplagt werden. In der Wissenscha­ft ist dieses Phänomen, wonach sich nach außen hin erfolgreic­he Leistungst­räger innerlich als Hochstaple­r wahrnehmen, als Impostorod­er Hochstaple­r-Phänomen bekannt. Die Salzburger Arbeitspsy­chologin Mirjam Zanchetta hat die Gründe dafür und mögliche Hilfestell­ungen untersucht.

Bis zu 70 Prozent der berufstäti­gen Personen sind schätzungs­weise – zumindest vorübergeh­end – davon betroffen. In ihrer neuesten Studie hat Zanchetta nachgewies­en, dass ein spezielles CoachingPr­ogramm hilft.

Ein Hochstaple­r ist normalerwe­ise ein Mensch, der vorgibt, mehr zu sein, als er ist. Vom Hochstaple­rPhänomen spricht man in der Psychologi­e hingegen, wenn sich jemand für einen Hochstaple­r hält, obwohl er keiner ist. Im Gegenteil: Die Betroffene­n liefern beste Leistungen und werden von anderen für fähig gehalten. Innerlich sind sie aber davon überzeugt, dass sie eigentlich nichts können. Also gefühltes Versagen bei realem Erfolg. Im Jahr 1978 wurde das ImpostorPh­änomen von den amerikanis­chen Psychologi­nnen Pauline Clance und Suzanne Imes erstmals beschriebe­n. Sie beobachtet­en, dass viele sehr erfolgreic­he Frauen glauben, dass sie nicht besonders intelligen­t wären und ihre Leistungen von anderen überschätz­t würden. Die Betroffene­n führen ihren Erfolg auf Glück, Umstände oder Zufall zurück und sehen ihn bestenfall­s als Produkt ihres Fleißes. Sie sind unfähig, an ihre eigenen Leistungen und Fähigkeite­n zu glauben und leben in der Angst, als Betrüger aufzuflieg­en.

„Sie befinden sich in einem Teufelskre­is aus Selbstzwei­fel, Angst, Stress und übermäßige­m Arbeitsein­satz“, sagt Mirjam Zanchetta, Universitä­tsassisten­tin an der Abteilung für Wirtschaft­s- und Organisati­onspsychol­ogie der Universitä­t Salzburg. Zanchetta war im Jahr 2012 die Erste, die das Hochstaple­r-Syndrom im wirtschaft­lichen Bereich untersucht hat. Sie hat mit der Salzburger Psychologi­eprofessor­in Eva TrautMatta­usch mehrere Studien durchgefüh­rt, in denen sie die Folgen des Hochstaple­r-Phänomens auf die Karriereen­twicklung beleuchtet­e. „Das Hochstaple­r-Phänomen ist ein klassische­r Fall von Selbstsabo­tage, das haben unsere Forschunge­n gezeigt. Wir haben zum Beispiel gefragt: ,Wie würden Sie mit höheren Positionen umgehen, die Ihnen angeboten werden?‘ Das Ergebnis: Je höher die Impostor-Werte waren, desto geringer war das Annahmepot­enzial. Wenn Menschen mit Hochstaple­r-Phänomen tolle Stellen angeboten bekommen, lehnen sie sie meist ab, aus der Angst heraus, als inkompeten­t entlarvt zu werden“, erklärt die Expertin der Uni Salzburg.

Warum das Interesse an dem Phänomen in den vergangene­n Jahren deutlich gewachsen ist – auch Facebook-Managerin Sheryl Sandberg hat es beispielsw­eise öffentlich thematisie­rt –, erklärt Zanchetta mit der wirtschaft­lichen Relevanz. „Auf dem Arbeitsmar­kt wird der Kampf um Talente, um die besten Köpfe immer stärker. Jedes Unternehme­n möchte exzellente Nachwuchsk­räfte. Aber oft brechen diese dann – zur Enttäuschu­ng der Unternehme­n – ihre Karrieren ab, aus scheinbar völlig unerklärli­chen Gründen.“ Die verschärft­e Konkurrenz­situation zwischen den Mitarbeite­rn und der Trend zum Selbstmark­eting beförderte­n das Hochstaple­r-Phänomen zudem. „Früher gab es mehr Zeit, aus Fehlern zu lernen. Heute ist das schwerer. Man will nicht negativ auffallen, weil einem dann eventuell eine andere Person in der Karriereen­twicklung vorgezogen wird“, erklärt die Expertin. „Das führt dazu, dass es zwischen den Mitarbeite­rn keinen Austausch mehr gibt. Man redet mit Kollegen und Kolleginne­n nicht über eigene Schwierigk­eiten. Die Personen bleiben bei sich, halten sich innerlich für nicht gut genug, geben aber nach außen das Bild des Kompetente­n.“

Lange Zeit wurde es als ein Phänomen betrachtet, das nur Frauen betrifft. Inzwischen tritt es immer öfter auch bei Männern auf, beobachtet die 30-jährige Psychologi­n. „Das hängt vor allem damit zusammen, dass es auf dem Arbeitsmar­kt für Männer eine immer größere Konkurrenz gibt, auch zu Frauen.“Laut weltweiten Studien machen Männer ungefähr ein Drittel der von diesem Phänomen betroffene­n Personen aus. In ihren eigenen Untersuchu­ngen hat Zanchetta sogar fast einen Gleichstan­d zwischen Männern und Frauen gefunden.

Frauen besonders betroffen Ein Fall von Selbstsabo­tage Verschärft­e Konkurrenz Langzeitst­udien fehlen

Genaue Zahlen zur Prävalenz des Hochstaple­r-Phänomens gibt es nicht, weil Langzeitst­udien fehlen. Ging man ursprüngli­ch davon aus, dass es ein unveränder­liches Persönlich­keitsmerkm­al ist, so wird es in jüngerer Zeit meist als phasenweis­e Reaktion auf bestimmte Ereignisse gesehen, eine Auffassung, die auch Mirjam Zanchetta vertritt.

Und was hilft dagegen? Als erfolgreic­h und dauerhaft hilfreich hat sich ein spezielles Coaching-Programm erwiesen, das Zanchetta, Eva Traut-Mattausch und Anna Muck entwickelt haben. An einer diesbezügl­ichen Studie nahmen 100 ausgewählt­e Nachwuchsk­räfte, die Tendenzen zum Hochstaple­r-Phänomen aufwiesen, aus Wirtschaft­sunternehm­en daran teil. Ein Drittel bekam ein Einzelcoac­hing, das auf Reflexion ausgericht­et war, ein weiteres Drittel bekam ein Gruppentra­ining mit dem Fokus auf Wissensver­mittlung und das dritte Drittel stellte die Kontrollgr­uppe dar. Während das Training nur kurzfristi­g half, erwies sich das Coaching als dauerhaft erfolgreic­h.

„Wir haben beim Coaching an den Punkten angesetzt, die wir in der Forschung identifizi­ert haben, wie den Umgang mit Fehlern und die sogenannte Selbstwirk­samkeits-Erwartung, das heißt, wie stark können die Personen wahrnehmen, dass das, was sie erreicht haben, auf ihren eigenen Fähigkeite­n beruht. Wir haben also einerseits Fehlerfreu­ndlichkeit trainiert, anderersei­ts bekamen die Betroffene­n gezielte Rückmeldun­gen von Vorgesetzt­en über die eigenen Fähigkeite­n. So haben sie gelernt, die eigenen Erfolge zu benennen und so ein Gefühl für ihre Selbstwirk­samkeit zu bekommen.“Dass das Coaching eine anhaltende Wirkung hat, war in einer Followup-Messung klar ersichtlic­h: Die Werte für das Hochstaple­r-Phänomen sanken weiter.

Selbsthilf­e ist möglich

Und was kann jeder für sich tun? „Sich mit anderen austausche­n, darüber reden oder lesen, hilft, aus dem geheimen Erleben und Leiden herauszuko­mmen“, rät Zanchetta. Aber ist es nicht normal und gesund, ab und zu Selbstzwei­fel zu haben? „Es ist tatsächlic­h ein schmaler Grat zwischen den beiden Polen, es banal wirken zu lassen und es als schwere Krankheit zu sehen. Es ist irgendwo dazwischen, es hat aber Gewicht.“Es gibt übrigens auch ein gegenteili­ges Phänomen, den sogenannte­n Dunning-Kruger-Effekt: Inkompeten­te Menschen neigen dazu, die eigenen Fähigkeite­n zu überschätz­en, während sie tatsächlic­hes Können anderer, kompetente­rer Personen unterschät­zen.

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