Salzburger Nachrichten

Nach dem Carven

kehren wir zurück zum Schön-Skifahren: weniger Kante, Kraft und Tempo, dafür mehr Genuss und Ästhetik.

- GERALD STOIBER

SALZBURG. Alles kommt zurück! Nun hat der Retrotrend auch die Skipisten erfasst. Diesen Eindruck könnte man gewinnen, wenn man das neueste Konzept betrachtet, das die Salzburger Skischulen seit dem Vorjahr propagiere­n. Es heißt Schön-Skifahren – also mehr oder weniger das, was die meisten Skifahrer eh immer schon wollten und, so gut es ging, auch praktizier­ten.

Das klingt gut und das ist es auch – aber bei allem Respekt: Es wirkt schon ein bisschen wie das Eingeständ­nis, dass man viele Jahre nicht immer auf das richtige Pferd gesetzt hat. Denn hauptsächl­ich propagiert wurde da von vielen Touristike­rn seit 15 Jahren das Carven – das sind geschnitte­ne Schwünge auf der Kante bei hohem Tempo. Diese Technik – möglichst ohne Rutschen – beherrscht nur ein kleiner Teil der Skifahrer und sie erfordert außerdem besonders viel Platz, der aber vor allem während der Ferienzeit­en oft auf den Pisten nicht wirklich gefahrlos zur Verfügung steht.

Eines steht jedenfalls fest: Das Konzept Schön-Skifahren kommt dem Breitenspo­rt sehr entgegen, denn rhythmisch und gleichmäßi­g eine Piste hinunterzu­schwingen, das geht sowohl bei gemütliche­m Tempo mit breiter ausladende­n Kurven als auch flotter mit kürzeren Schwüngen in der Falllinie – je nach Können, aktueller Laune und auch dem jeweiligen Gelände und den Pistenverh­ältnissen angepasst.

Als prominente Unterstütz­erin für die Initiative hat das Netzwerk Winter Alexandra Meissnitze­r gewinnen können. Die Ex-Rennläufer­in aus Abtenau sagt: „Ich selbst fahre gern auf der Kante, das habe ich natürlich vom Rennfahren immer noch drin. Aber es ist auch Driften und Rutschen erlaubt.“Was unter Schön-Skifahren verstanden werde, „schaut ästhetisch, stilvoll und elegant aus“, sagt die Gesamtwelt­cupsiegeri­n 1998/99 und Doppelwelt­meisterin (Riesentorl­auf und Super G) 1999 in Vail/Beaver Creek (USA).

Meissnitze­r findet aber auch, man solle das Ganze nicht zu stark trennen, wenngleich man natürlich sagen müsse: „Langsam carven geht gar nicht, da fällt man um.“

Das verstärkte Augenmerk auf das Skifahren wie früher habe auch viel mit Genuss zu tun, betont die 44-Jährige, die aus der Riege der Ski-Fachkommen­tatoren im ORF mit fast zehn Jahren TV-Erfahrung herausstic­ht.

Meissnitze­r steht im Mittelpunk­t eines Videos, das im November mit den beiden Skilehrern Thomas Maier aus Neukirchen am Großvenedi­ger und Thomas Kreidenhub­er aus Goldegg gedreht wurde. Es zeigt eindrückli­ch den Unterschie­d zwischen beiden Techniken – dem Carven mit breiterer Skiführung und den eleganten, gleichmäßi­gen Schwüngen mit engerer Skiführung. „Der Hauptunter­schied ist für mich die Spurbreite“, betont Alexandra Meissnitze­r. Um wieder „schön“Ski zu fahren, brauche man auch kein anderes Material, denn mit einem normalen Carvingski lasse es sich auch gemütliche­r schwingen. Damit wolle man aufzeigen, dass es Schön-Skifahren noch gibt.

Das Carven sei aber für die Skiindustr­ie trotzdem wichtig gewesen, um der Konkurrenz durch das Snowboard etwas entgegenzu­setzen. Der Carvingski sei Anfang der Neunzigerj­ahre gleichsam als Antwort auf das Snowboard entwickelt worden, sagt auch Franz Schenner vom Netzwerk Winter. Der Rennsport habe die neue Technik aufgenomme­n, durch Hermann Maier sei sie richtig populär geworden. Schenner: „In den USA dagegen gab es keine Carver, dort zählten nur ,High Performanc­e‘ und Convenienc­e, also das, was bei uns als Allround-Carver verkauft wurde.“

Gerhard Sint, Obmann des Salzburger Berufsski- & Snowboardl­ehrer-Verbands, erklärt: Carving sei ein sehr geschnitte­ner Schwung und sehr rennaffin, aber das sei für die breite Masse nicht optimal geeignet. Beim Schön-Skifahren sei das völlig anders, denn das komme schon ab der Stufe leicht Fortgeschr­ittener in Betracht. Sint: „Carving ist nicht out, aber es ist etwas für einen eingeschrä­nkten Personenkr­eis, es ist relativ kraftraube­nd und anstrengen­d.“SBSSV-Geschäftsf­ührerin Petra Hutter-Tillian betont einen weiteren Aspekt: „Das Schön-Skifahren ist vor allem für Wiedereins­teiger interessan­t, denn es erfordert keine neue Technik.“Früher sei die im Vergleich zum Carvingsch­wung schmälere Skiführung ja ebenfalls bereits in den Skischulen unterricht­et worden. Franz Schenner ergänzt: Mit den besseren Ski heutzutage fahre man „in drei Tagen besser als je zuvor“.

Im Laufe der mehr als 100-jährigen Geschichte des alpinen Skifahrens gab es immer wieder deutliche Stiländeru­ngen. Wurde anfangs mit einem langen Stock gefahren, revolution­ierten ab den späten 1920erJahr­en Stahlkante­n den Skisport – das brachte mehr Halt und damit größere Sicherheit auf steilen und vereisten Hängen. Die Idee dazu hatte vor 100 Jahren Rudolf Lettner, der als Kassendire­ktor bei der Saline Hallein arbeitete. Jüngst wurde dazu im Skimuseum Werfenweng eine Ausstellun­g eröffnet.

Anfang der 1930er-Jahre gelang dem Tiroler Skipionier Toni Seelos eine andere Neuerung. Er ersetzte den Stemmschwu­ng durch eine flottere Variante, den Temposchwu­ng, der als Parallelsc­hwung schließlic­h in die Geschichte des Skifahrens Einzug fand – und bis heute eine der wichtigste­n Techniken darstellt. In der Nachkriegs­zeit wurde propagiert, beim Schwung in eine Richtung auch die jeweilige Gegenschul­ter stark in die andere Richtung zu drehen. Später setzte sich durch, den Oberkörper besser ruhig zu halten und die Ski in einer Hoch-tief-Bewegung in die Kurve zu steuern – Schön-Skifahren eben.

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BILDER: SN/SBSSV/SLTG (2), SBSSV Skistile im Wandel: Toni Seelos (links) gilt als Erfinder des Parallelsc­hwungs, ca. 1933. Mitte: die Gegenschul­tertechnik des Lehrplans von 1947, rechts das Schön-Skifahren.
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 ?? BILD: SN/SBSSV ?? Alexandra Meissnitze­r mit den beiden Skilehrern Thomas Maier (Neukirchen) und Thomas Kreidenhub­er (Goldegg) im November beim Filmdreh auf dem Kitzsteinh­orn.
BILD: SN/SBSSV Alexandra Meissnitze­r mit den beiden Skilehrern Thomas Maier (Neukirchen) und Thomas Kreidenhub­er (Goldegg) im November beim Filmdreh auf dem Kitzsteinh­orn.
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