Bevor Riccardo Muti
das Neujahrskonzert dirigiert, verrät er, was ihm an der Musik der Familie Strauß so gefällt.
WIEN. Riccardo Muti dirigiert heuer – nach 1993, 1997, 2000 und 2004 – zum fünften Mal das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker. Das wirft Fragen auf. SN: Wenn man dieses Konzert mehrmals dirigiert, wird die Aufregung dann geringer? Riccardo Muti: Nein, das Neujahrskonzert ist immer mit großer Verantwortung für die Musiker und für den Dirigenten verbunden. Denn man weiß, dass einem die ganze Welt zuhört. Wir sind ja menschliche Wesen, keine Maschinen. Darum sind wir nervös. Man muss beim Spielen präzis sein, gleichzeitig aber frei bleiben, auch wenn die Musik technisch nicht einfach ist. SN: Manchmal nehmen sich die Interpreten zu große Freiheiten heraus. Das sehe ich auch so. Es droht die Gefahr des Rubato-Unwesens. Wichtig ist der Gleichklang zwischen dem Dirigenten und dem Orchester. Das Orchester und der Dirigent müssen einander vertrauen können. Toscanini hat einmal gesagt: Manchmal ist es notwendig, dass der Dirigent das Orchester nicht stört. Das bedeutet nicht, dass der Dirigent dem Orchester nachläuft, sondern dass er auf das Orchester zu hören versteht. SN: Welches der bisherigen Neujahrskonzerte ist Ihnen am besten gelungen? Das erste Konzert von 1993 hat mich am meisten bewegt und emotionalisiert. Ich hatte ja nicht damit gerechnet, je ein solches Konzert leiten zu dürfen. Es war eine große Ehre und zudem eine neue Erfahrung, diese wienerische Musik zu dirigieren.
Das gelungenste Konzert war jenes von 2004 – da ich mit der Strauß-Musik viel vertrauter war als beim ersten Mal. Und davor hatte ich jedes Jahr mit den Wiener Philharmonikern gearbeitet und durfte so den besonderen Geist des Orchesters kennenlernen. Das kann man nicht aus Büchern lernen, sondern nur durch Vertrautheit mit den Musikern.
„Es droht die Gefahr des Rubato-Unwesens.“Riccardo Muti, Dirigent
SN: Diesmal gibt es viele Bezüge zu Italien. Man darf nicht vergessen, dass Strauß eine enge Beziehung zu Italien hatte. Er hat in vielen italienischen Städten Konzerte gegeben, auch an weniger wichtigen Orten. Die größte Begeisterung für ihn gab es natürlich in Triest. Alle italienischen Zeitungen haben darüber enthusiastisch berichtet. Auch die Operetten von Strauß wurden mit Begeisterung aufgenommen.
Strauß wurde ebenso bewundert wie Wagner. Der Unterschied war, dass in Strauß’ Musik Lebenslist mit Nostalgie vermischt war. Das reflektierte die historische Situation, das Vorausahnen des Endes des Habsburger-Imperiums. Im Lächeln dieser Musik schimmert immer die Tragödie durch. Das ist auch die Herausforderung an jeden Musiker, der Strauß interpretiert: diese beiden Seiten zum Klingen zu bringen. Das ist nicht immer einfach.
Das gilt übrigens fast noch mehr für die Kompositionen von Josef Strauß, dessen Musik viel melancholischer und tiefgehender ist. Johann Strauß ist brillanter, vielleicht auch einfallsreicher und abwechslungsreicher, SN: Ist die Musik von Johann Strauß auch sehr symphonisch? Sicher. Dafür hat ihn Verdi auch so sehr bewundert. Übrigens auch Johannes Brahms. SN: Es ist also nicht nur eine Musik zum Tanzen. Es ist große, wahre Musik. Darum liebe ich auch die Scherze nicht so sehr, die man rund um sie gern treibt. Für mich senden die Wiener Philharmoniker mit dem Neujahrskonzert eine brüderliche Botschaft an die Welt – mit einer Musik, die ins Ohr geht, aber gleichzeitig sehr ernsthaft ist. SN: Würden Sie gern eine Operette von Strauß dirigieren, etwa „Die Fledermaus“? Das haben mich die Musiker des Orchesters auch gefragt. Vielleicht sollte ich das tun, denn als Neapolitaner habe ich auch einen Sinn für das Komische. Die meisten Menschen glauben ja, dass ich ein Dirigent bin, der immer nur ernst ist. Aber das stimmt nicht. In meinem Inneren bin ich ein Komiker.
Was ich auf jede Fall glaube, dass die Musik von Strauß elegant sein muss. Der Spaß muss aus der Musik kommen. Giorgio Strehler hat einmal über den Triumphmarsch aus „Aida“gesagt, der Triumph komme aus der Musik, nicht von den Pferden, Elefanten und Pyramiden.