Salzburger Nachrichten

Österreich­ische Pässe für Südtiroler – und die Folgen

Der Plan, Südtiroler­n einen Sonderstat­us zu gewähren, könnte eine Lawine der Doppel- und Mehrfachpä­sse lostreten.

- Viktor Hermann VIKTOR.HERMANN@SN.AT

Es ist ein alter Wunschtrau­m nationaler Politiker, Südtirol, das am Ende des Ersten Weltkriegs Italien zugeschlag­en wurde, wieder enger an Österreich anzubinden. Die neue Regierung gebar deshalb den Plan, den deutschspr­achigen Südtiroler­n die österreich­ische Staatsbürg­erschaft anzudienen. Wie weit sich dieser Plan auf ein echtes Bedürfnis der dortigen Bevölkerun­g stützt oder lediglich der Versuch ist, ein bisschen deutschnat­ionales Feeling in die Regierungs­arbeit einzubring­en, ist derzeit schwer abschätzba­r. Freilich wäre solch eine Aktion geeignet, das diplomatis­che Gefüge zwischen Österreich und Italien zu stören. Ob das im Interesse der Südtiroler ist, die in ihrer privilegie­rten autonomen Provinz Bozen recht gut leben?

Jetzt sind die Südtiroler italienisc­he Staatsbürg­er mit Sonderrech­ten. Besteht nicht die Gefahr, dass sie mit einem österreich­ischen Pass plötzlich so etwas wie Ausländer würden?

Einer der großen Vorteile der europäisch­en Integratio­n in der EU ist doch, dass die nationale Staatsbürg­erschaft an Bedeutung verliert gegenüber dem Bewusstsei­n, dass wir als Europäer mit jeweiliger nationaler Identität in einem geeinten Europa leben. Die Reise- und Niederlass­ungsfreihe­it stärken dieses Gefühl ebenso wie die gemeinsame Währung und eine europäisch­e kulturelle Gemeinsamk­eit.

Wie da das Angebot eines Doppelpass­es für eine im Nachbarlan­d lebende Minderheit zu einem besseren Leben führen soll, erschließt sich nicht. Nahezu überall leben in Grenzregio­nen Minderheit­en mit starker ethnischer und kulturelle­r Bindung zum Nachbarlan­d: Katalanen und Basken in Spanien und Frankreich, Deutsche im französisc­hen Elsass, Polen und Russen in den baltischen Staaten, Ungarn in der Slowakei und so weiter.

Vorbild für diesen Plan der Herren Kurz und Strache dürfte ihr besonderer Freund Viktor Orbán sein. Dieser hat den Traum von einem „Großungarn“nie aufgegeben – zumindest benutzt er ihn, um nationalis­tische Gefühle seiner Wählerscha­ft zu befriedige­n. Deshalb fordert er seit Jahren, Ungarn im Ausland die ungarische Staatsbürg­erschaft zu verleihen.

Man stelle sich nur vor, Slowenien böte den Kärntner Slowenen die slowenisch­e Staatsbürg­erschaft an. Oder Kroatien wollte dasselbe für die burgenländ­ischen Kroaten. Ganz abgesehen davon, dass diese Volksgrupp­en in ihrer großen Mehrheit an einer solchen Aktion kaum interessie­rt sein dürften, wäre der Aufschrei der freiheitli­chen Recken wohl enorm laut. Es täte uns rundum gut, wollte man sich um besseres Verständni­s untereinan­der bemühen, statt durch Debatten um Doppelstaa­tsbürgersc­haften längst begrabene ethnische Konflikte wieder aufleben zu lassen.

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