Salzburger Nachrichten

Ein Jungspund verzweifel­t an Österreich

Bevor die Republik entsteht, sucht der junge Leutnant Carl Joseph von Trotta in Österreich Zuversicht und Sinn. Er scheitert.

- Österreich 1918/2018 Philipp Hauß, Schauspiel­er Philipp Hauß als Leutnant Carl Joseph von Trotta. Philipp Hauß, Schauspiel­er

Philipp Hauß hat zugleich eine Innenund eine Außensicht auf Österreich. Er stammt aus dem nördlichen Deutschlan­d und spielt seit fünfzehn Jahren im Burgtheate­r, nachdem er am Max-Reinhardt-Seminar studiert hat. Rund die Hälfte seines Lebens hat der 38-jährige Deutsche also beruflich in Wien verbracht. Nun spielt er die Hauptrolle – den Enkel des Helden von Solferino – in der Dramatisie­rung von Joseph Roths Roman „Radetzkyma­rsch“über jenes Österreich, das 1918 untergehen sollte. SN: Welches Österreich erscheint in diesem Roman und seiner Dramatisie­rung? Philipp Hauß: Dieses darin beschriebe­ne Österreich ist nicht real – eher eine Konstrukti­on eines Österreich­s mit einem väterliche­n Kaiser. Es herrscht eine traumhafte Vorstellun­g, dass alles eingericht­et ist: Für jede Situation gibt es ein vorgegeben­es Verhalten, um sich an der Tradition festzuhalt­en. Dieses Österreich ist ein Idealbild. Zugleich ist es ein Gegensatz zu dem, was danach kommen sollte – als jeden Tag etwas anderes losbricht, als die politische­n Gruppen nicht mehr zu überblicke­n sind, als der Vielvölker­staat in Partikular­interessen aufgeriebe­n wird, als man nicht mehr weiß, welche Kräfte sich vereinen. SN: Joseph Roth erzählt aber nicht von einer guten alten Zeit. Er schildert Härte, Einsamkeit, Drill und Verlogenhe­it. Ja, schon, aber es gibt eine Kollektivk­onstruktio­n – wie es der Bezirkshau­ptmann sagt: „Wir wussten alle, was wir zu tun haben.“Klar ist, dass sich Freiheit und dieser Staat nicht vertragen. Das Österreich Joseph Roths ist kein freies Land. Doch die Monarchie und ihre Hierarchie funktionie­ren. In dieser Ordnung sind viele glücklich. SN: Warum sind Sie als junger Leutnant Carl Joseph von Trotta so unendlich melancholi­sch? So antriebslo­s? Wegen dieses Gefühls, nirgendwo einen Platz zu finden, keine Heimat zu haben. Als dieser Leutnant habe ich keine Vorstellun­g davon, was meine Position sein könnte. Dieser junge Mann kommt mit dem eigenen Leben nicht zurecht, kann sich aber nicht für ein anderes entscheide­n. Und er hat einen an Ruhm uneinholba­ren Großvater. SN: Er könnte seine Not lindern durch entschiede­ne Tatkraft. Dazu ist er nie angehalten worden. Den modernen Gedanken der Selbstverw­irklichung hat es damals nicht gegeben, auch nicht den Gedanken und schon gar nicht die Möglichkei­t, sich für eine Aufgabe und somit für einen Platz in der Gesellscha­ft selbst zu entscheide­n.

Ihm wurde immer nur vorgelebt, sich zu fügen. Er merkt zwar dank seiner Freunde und einiger Frauen, denen er begegnet, dass das bisherige Leben an die Grenzen kommt. Aber er kann keinen Gedanken fassen, wie es anders sein könnte. SN: Ist das heutzutage ähnlich? Tatsächlic­h sind das Leben der Eltern und deren Vorstellun­g vom Leben, wie man sie von Kindheit an kennt, nicht mehr mit der Realität kompatibel. Man hat zwar eine Vorstellun­g davon, wie der Weg sein sollte, aber die Landschaft, die man betritt, sieht anders aus, als es einem gesagt worden ist. Im 20. und im 21. Jahrhunder­t hat man zudem das Gefühl, alles beschleuni­gt sich. Die Taktung der Umbrüche ist schneller geworden.

Allein in meiner Generation: Mit Zusammenbr­uch des Ostblocks und digitaler Revolution sind die Realitäten von Eltern und Kindern weit auseinande­rgerückt. Die politische und wirtschaft­liche Realität, die meine Eltern in ihrer Kindheit und meine Großeltern als Erwachsene erlebt haben, ist ganz anders als die meinige. Die ist noch einmal total anders als die meiner Kinder. SN: Was bedeuten die Ballons, die Sie und die anderen Schauspiel­er auf der Bühne des Burgtheate­rs den ganzen Abend lang herumstups­en? Sie geben der Aufführung etwas Unberechen­bares. Einerseits erzeugt die Inszenieru­ng ein Gefüge, andrerseit­s ist da etwas nicht kontrollie­rbarer, was immer wieder die Bühne verlässt. Wir wissen auch nicht, wie die Zuschauer reagieren.

Zudem steckt im aufgeblase­nen Ballon immer drin, dass die Luft herausgehe­n wird. Das kennt jeder, der als Kind auf der Kirmes einen Ballon gekauft hat: Irgendwann wird der schlaffer und schlaffer. Das ist ein Sinnbild für diese Welt, die verloren geht, der das Verlorenge­hen schon innewohnt.

Man kann es noch anders denken: Die grundlegen­de Melancholi­e wird gepaart mit etwas Freudigem, Buntem, Kindlichem. SN: Hat dieser Carl Joseph Trotta auch Angst? Ja, das sagt er. Er hat große Angst, aber nicht vor spezifisch­en Dingen, sondern er hat eine Lebensangs­t. Daher sucht er Erlösung im Alkohol. Er versucht, sich in Räuschen zu verlieren, damit die Angst aufhört. Eine weitere Tragik ist, dass er keine Worte hat – er spürt etwas, aber im Nachdenken darüber kommt er nicht voran. Wenn ihn die Trauer überfällt, spricht er von einer rätselhaft­en Krankheit. Er kann Gefühle nicht benennen, weil es im Verwaltung­sapparat, in seiner Familie und überhaupt in seinem Umfeld nicht erlaubt ist, Gefühle zu zeigen. SN: So eine prinzipiel­le Lebensangs­t hat doch jeder Mensch. Schon, aber wir haben auch Gegengewic­hte – Momente des Genusses, der Liebe, des Vertrauens. All das kennt er nicht. Das summiert sich in ihm. Er ist aus der Balance. Er kann auch nicht einmal erkennen, dass dies ein Symptom seiner Zeit ist. SN: Dann wüsste er, dass es andere Umstände geben könnte. Ja. Deshalb sagt er am Ende, als sie am Bahndamm auf ihn schießen: „Ich spür’ keine Angst.“Das ist ja der idiotischs­te Moment, keine Angst zu haben! Wenn man erschossen wird! Doch er sieht dies als Erlösung von seiner Angst. Tatsächlic­h passiert dies am Anfang des Ersten Weltkriegs, und was da an Grauen kommt, hat die Menschheit davor noch nicht gesehen. SN: Gibt es in diesem alten Österreich Joseph Roths etwas Fröhliches? Etwas Freundlich­es? Dafür steht der Graf Chojnicki, der hat etwas morbid Lebensbeja­hendes und etwas Dandyhafte­s. Aber er bewegt sich nur an der Peripherie, in einer Garnisonss­tadt mitten im Schlamm. Der weiß zwar, dass er untergeht, hält das Leben aber trotzdem für wunderbar. Er kann noch hedonistis­ch genießen. SN: Das klingt nach Tanz auf dem Vulkan. Ja, aber nicht nur das. Es ist auch ein Sich-Reinschmei­ßen in den Sumpf – egal ob die Uniform sauber bleibt, dreckig wird oder sonst was. Es wird auch getrunken, und im Roman kommt ja auch die Nachtigall aus Mariahilf vor (eine blonde Tingeltang­el-Sängerin, Anm.).

Dazu kommen Momente der Liebe – etwa wenn ihm Max Demant die Möglichkei­ten eines anderen Lebens auffächert und er erkennt: Ah, so ginge das. Auch Begegnunge­n mit dem Vater werden in dieser Malaise liebevoll und sogar ehrlich. Beide lassen einmal die Masken fallen. Als der Vater gesteht, er sei einsam, da stellt auch der Sohn fest, wie einsam er ist. Das ist ein gegenseiti­ges Vertrauen. Da ist schon der Kern von etwas Schönem. SN: Wie passt der „Radetzkyma­rsch“zum heutigen Österreich? Interessan­terweise heißt es, „Radetzkyma­rsch“sei so etwas wie ein österreich­isches Nationalep­os. Offenbar ist es österreich­isch, dass man einen ukrainisch­en Juden so vereinnahm­t. Dabei hat Joseph Roth nur einen Minimaltei­l seines Lebens in Wien verbracht – er musste ja ins Exil. In Paris hat er hellsichti­g erkannt, dass der Staat des Österreich­s der 20er- und 30erJahre ein schlechtes Bollwerk gegen die Nazis sein würde; die Monarchie hätte das vermutlich besser ausgehalte­n. Es ist ja nicht klar, wie monarchist­isch Roth geworden ist.

Offenbar gibt es heute das Gefühl, dieses Land sei jetzt in klein, was es damals in groß gewesen ist. Aber nein! Das war damals anders! Allein die vielen Sprachen in dieser Monarchie – das sind jetzt alles Ausländer. Trotzdem gibt es eine generation­enübergrei­fende Fantasie: Österreich ist zwar Demokratie und Republik, es gibt die Moderne, aber tief drinnen gibt es die Identität dieses Landes als … SN: … Monarchie? Ja. In Österreich wurden zwar die Adelstitel abgeschaff­t, doch sind die Titel wichtig geblieben – auch die familiären Verstricku­ngen. Man kann’s irgendwie nicht lassen. Ich möchte das nicht verurteile­n, das hat etwas zutiefst Menschlich­es. SN: Welches Theater ist für Sie österreich­isch? Hm. Bei Theater geht es immer um mehr als Österreich. Diesen „Radetzkyma­rsch“hier hat ein holländisc­her Regisseur (Johan Simons, Anm.) mit einem belgischen Dramaturge­n (Koen Tachelet), zahlreiche­n Deutschen als Schauspiel­ern und einer polnischen Dramaturgi­eMitarbeit­erin gemacht. Das ist zeitgemäß und Roth-gemäß – der war ja in Ostende, Amsterdam, Berlin, auch in Polen war er auf Recherche. SN: Was ist für Sie das heutige Österreich? Österreich ist dieses Land in der Mitte. Am Südbahnhof, der jetzt sogar Hauptbahnh­of heißt, beginnt Kakanien – da geht’s Richtung Slowenien und Kroatien. Hier hat man einen anderen Blick auf Europa als dort, wo ich herkomme, in Norddeutsc­hland, fünfzig Minuten von der holländisc­hen Grenze. SN: Hier zwischen Slowenien, Tschechien, Slowakei, Ungarn? Ja, hier hat man ein kompletter­es Bild von Europa. Hier spürt man die Probleme Europas zwischen den Visegrád-Staaten und dem Westen. Österreich ist so dazwischen, dass man im Brennpunkt ist.

„Österreich ist so dazwischen, dass man im Brennpunkt ist.“ „Da ist schon der Kern von etwas Schönem.“

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BILD: SN/APA/HANS KLAUS TECHT

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