Wie wär’s mit ein wenig Sachlichkeit?
Jubel – oder Panik. In der öffentlichen Beurteilung der neuen Regierung ist wenig Platz für Zwischentöne.
Allmählich versteht man, warum Bundeskanzler Sebastian Kurz in der von ihm geführten Regierung Wert auf strikteste Kommunikationskontrolle legt – Kommunikationskontrolle, die im Wesentlichen daraus besteht, dass niemand etwas sagen darf außer ihm selbst und hin und wieder der Vizekanzler und der Regierungssprecher. Aus Sicht des Kanzlers ergibt dies durchaus Sinn, wie die letzten Tage zeigten. Denn im Lager der Freiheitlichen, wo des Kanzlers Kontrollzwang naturgemäß nicht so tief wirkt wie bei seinen schwarzen Ministern, ist rund um die Dreikönigsklausur der Regierung eine wahre Kakophonie an widersprüchlichen Aussagen gekommen: Flüchtlingslager am Stadtrand, Flüchtlingslager nicht am Stadtrand. Flüchtlinge in die Kasernen, Flüchtlinge nicht in die Kasernen. Ausgangssperre, keine Ausgangssperre. Unbefristeter Bezug des Arbeitslosengeldes, befristeter Bezug des Arbeitslosengeldes. Bei den Interviews, die freiheitliche Politiker in den vergangenen Tagen gegeben haben, war für jeden etwas dabei. Entsprechend laut erschallte der Spott vor allem in den sogenannten sozialen Medien.
Was zwischen Kakophonie und Spott indes auf der Strecke bleibt, ist eine inhaltliche De- batte über die Themen, die hier veralbert werden. Das ist schade, denn die Themen wären nicht ganz unwichtig. Im Fall der Asylbewerber beispielsweise ist es eine absolute Nebenfrage, ob diese in Privat- oder in staatlichen Quartieren untergebracht werden. Die Frage ist vielmehr, warum wir nicht in der Lage sind, die Asylverfahren in angemessener Zeit abzuwickeln. Erst durch die überlange Dauer der Verfahren entstehen jene Probleme, die die Regierung nun mit einer untauglichen Diskussion zu vermeiden sucht. Beispielsweise die Aufenthaltsv er festigung von Menschen, die mangels Asyl grund kein Recht auf Aufenthaltsv er festigungha ben. Oder die Vergeudung von Lebenszeit junger Menschen, die während ihres Asylv erfahrens nicht viel anderes tun können als Daumen drehen. Wenn die Phase des Daumendrehens auf ein erträgliches Maß beschränkt wird, erübrigt sich die Diskussion darüber, welche Quartiere nun die besseren sind und wer dafür zuständig sein soll.
Nebenbei bemerkt: An der überlangen Dauer der Asyl verfahrens ind nicht nur die Behörden schuld, sondern auch diverse Flüchtlingshilf e organisationen, die jegliche Behörden entscheidung zeitr au bendbeeinspruc he n und damit nicht wirklich im Interesse ihrer Klienten handeln. Wer keinen Anspruch auf Asyl hat, ist wohl besser dran, wenn er dies zeitnah erfährt und nicht erst nach langen leeren Jahren in einer Asylunterkunft.
Auch im Fall des Arbeitslosengeldes wäre eine Diskussion angebracht, die über die derzeit populäre Frage hinausgeht, ob nun die Sozialministerin dem Kanzler widersprochen hat oder umgekehrt und ob Frau Hartinger nun zurückgerudert ist oder nicht. Der wesentliche Punkt ist: Die Regierung will in ihrer Arbeitslosenpolitik neue Wege gehen. Wer länger ins System einbezahlt hat, soll ein höheres Arbeitslosengeld erhalten als jemand, der nur kurze Zeit im Arbeitsprozess war. Die Höhe des Arbeitslosengeldes soll überdies mit der Dauer des Bezugs sinken, um letztendlich in die Mindestsicherung zu münden. Kurzum: Es geht der Regierung darum, den Druck auf Arbeitslose, sich einen Job zu suchen, zu erhöhen. Man mag diese Politik gut finden oder schlecht. Man mag dagegen auf der Straße protestieren oder die Regierung dafür am nächsten Wahltag mit seiner Stimme belohnen. Die Demokratie lebt vom Wettstreit unterschiedlicher politischer Konzepte, und Opposition und Medien werden hoffentlich ihrer Aufgabe gerecht, die Sozial- und sonstige Politik der Regierung kritisch zu durchleuchten. Die Vergabe von Haltungsnoten an die Sozialministerin wird jedenfalls an kritischer Reflexion nicht reichen.
Und es wird auf Dauer auch nicht reichen, jede Idee der neuen schwarz-blauen Regierung ausschließlich darum zu verdammen, weil sie von der neuen schwarz-blauen Regierung kommt. Wer beispielsweise angesichts des Vorschlags, eine berittene Polizei einzuführen, den Faschismus herandämmern sieht (und das waren viele, zumindest in den sogenannten sozialen Medien), der übersieht, dass es berittene Polizei in etlichen Städten dieser Welt gibt, von Stuttgart über München bis New York, ohne dass dort die Demokratie Schaden genommen hätte. Im öffentlichen Widerhall, der in Reaktion auf die Bildung der neuen Regierung erschallt, ist wenig Platz für Zwischentöne. Da ist einerseits boulevardesker Jubel inklusive messianischer Kanzlerverehrung in den (möglicherweise auf Regierungsinserate spekulierenden) Wiener Massenblättern. Und da ist andererseits eine zwischen blankem Hohn und purer Panik mäandernde Stimmungslage in jenem Teil der öffentlichen Meinung, der links der Mitte residiert. Wie wäre es mit ein wenig Sachlichkeit?