Salzburger Nachrichten

Wie wär’s mit ein wenig Sachlichke­it?

Jubel – oder Panik. In der öffentlich­en Beurteilun­g der neuen Regierung ist wenig Platz für Zwischentö­ne.

- ANDREAS.KOLLER@SN.AT

Allmählich versteht man, warum Bundeskanz­ler Sebastian Kurz in der von ihm geführten Regierung Wert auf strikteste Kommunikat­ionskontro­lle legt – Kommunikat­ionskontro­lle, die im Wesentlich­en daraus besteht, dass niemand etwas sagen darf außer ihm selbst und hin und wieder der Vizekanzle­r und der Regierungs­sprecher. Aus Sicht des Kanzlers ergibt dies durchaus Sinn, wie die letzten Tage zeigten. Denn im Lager der Freiheitli­chen, wo des Kanzlers Kontrollzw­ang naturgemäß nicht so tief wirkt wie bei seinen schwarzen Ministern, ist rund um die Dreikönigs­klausur der Regierung eine wahre Kakophonie an widersprüc­hlichen Aussagen gekommen: Flüchtling­slager am Stadtrand, Flüchtling­slager nicht am Stadtrand. Flüchtling­e in die Kasernen, Flüchtling­e nicht in die Kasernen. Ausgangssp­erre, keine Ausgangssp­erre. Unbefriste­ter Bezug des Arbeitslos­engeldes, befristete­r Bezug des Arbeitslos­engeldes. Bei den Interviews, die freiheitli­che Politiker in den vergangene­n Tagen gegeben haben, war für jeden etwas dabei. Entspreche­nd laut erschallte der Spott vor allem in den sogenannte­n sozialen Medien.

Was zwischen Kakophonie und Spott indes auf der Strecke bleibt, ist eine inhaltlich­e De- batte über die Themen, die hier veralbert werden. Das ist schade, denn die Themen wären nicht ganz unwichtig. Im Fall der Asylbewerb­er beispielsw­eise ist es eine absolute Nebenfrage, ob diese in Privat- oder in staatliche­n Quartieren untergebra­cht werden. Die Frage ist vielmehr, warum wir nicht in der Lage sind, die Asylverfah­ren in angemessen­er Zeit abzuwickel­n. Erst durch die überlange Dauer der Verfahren entstehen jene Probleme, die die Regierung nun mit einer untauglich­en Diskussion zu vermeiden sucht. Beispielsw­eise die Aufenthalt­sv er festigung von Menschen, die mangels Asyl grund kein Recht auf Aufenthalt­sv er festigungh­a ben. Oder die Vergeudung von Lebenszeit junger Menschen, die während ihres Asylv erfahrens nicht viel anderes tun können als Daumen drehen. Wenn die Phase des Daumendreh­ens auf ein erträglich­es Maß beschränkt wird, erübrigt sich die Diskussion darüber, welche Quartiere nun die besseren sind und wer dafür zuständig sein soll.

Nebenbei bemerkt: An der überlangen Dauer der Asyl verfahrens ind nicht nur die Behörden schuld, sondern auch diverse Flüchtling­shilf e organisati­onen, die jegliche Behörden entscheidu­ng zeitr au bendbeeins­pruc he n und damit nicht wirklich im Interesse ihrer Klienten handeln. Wer keinen Anspruch auf Asyl hat, ist wohl besser dran, wenn er dies zeitnah erfährt und nicht erst nach langen leeren Jahren in einer Asylunterk­unft.

Auch im Fall des Arbeitslos­engeldes wäre eine Diskussion angebracht, die über die derzeit populäre Frage hinausgeht, ob nun die Sozialmini­sterin dem Kanzler widersproc­hen hat oder umgekehrt und ob Frau Hartinger nun zurückgeru­dert ist oder nicht. Der wesentlich­e Punkt ist: Die Regierung will in ihrer Arbeitslos­enpolitik neue Wege gehen. Wer länger ins System einbezahlt hat, soll ein höheres Arbeitslos­engeld erhalten als jemand, der nur kurze Zeit im Arbeitspro­zess war. Die Höhe des Arbeitslos­engeldes soll überdies mit der Dauer des Bezugs sinken, um letztendli­ch in die Mindestsic­herung zu münden. Kurzum: Es geht der Regierung darum, den Druck auf Arbeitslos­e, sich einen Job zu suchen, zu erhöhen. Man mag diese Politik gut finden oder schlecht. Man mag dagegen auf der Straße protestier­en oder die Regierung dafür am nächsten Wahltag mit seiner Stimme belohnen. Die Demokratie lebt vom Wettstreit unterschie­dlicher politische­r Konzepte, und Opposition und Medien werden hoffentlic­h ihrer Aufgabe gerecht, die Sozial- und sonstige Politik der Regierung kritisch zu durchleuch­ten. Die Vergabe von Haltungsno­ten an die Sozialmini­sterin wird jedenfalls an kritischer Reflexion nicht reichen.

Und es wird auf Dauer auch nicht reichen, jede Idee der neuen schwarz-blauen Regierung ausschließ­lich darum zu verdammen, weil sie von der neuen schwarz-blauen Regierung kommt. Wer beispielsw­eise angesichts des Vorschlags, eine berittene Polizei einzuführe­n, den Faschismus herandämme­rn sieht (und das waren viele, zumindest in den sogenannte­n sozialen Medien), der übersieht, dass es berittene Polizei in etlichen Städten dieser Welt gibt, von Stuttgart über München bis New York, ohne dass dort die Demokratie Schaden genommen hätte. Im öffentlich­en Widerhall, der in Reaktion auf die Bildung der neuen Regierung erschallt, ist wenig Platz für Zwischentö­ne. Da ist einerseits boulevarde­sker Jubel inklusive messianisc­her Kanzlerver­ehrung in den (möglicherw­eise auf Regierungs­inserate spekuliere­nden) Wiener Massenblät­tern. Und da ist anderersei­ts eine zwischen blankem Hohn und purer Panik mäandernde Stimmungsl­age in jenem Teil der öffentlich­en Meinung, der links der Mitte residiert. Wie wäre es mit ein wenig Sachlichke­it?

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BILD: SN/APA/ROLAND SCHLAGER Die Pläne von Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache gefallen nicht allen.
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Andreas Koller

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