Salzburger Nachrichten

Was das Gedenkjahr 2018 bringen könnte

Die Geschichts­schreibung ändert sich, vor allem in Gedenkjahr­en. Man darf gespannt sein.

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Die Geschichte ist keine exakte Wissenscha­ft, sondern unterliegt einem ständigen Wandel. Jede Generation schreibt sich ihre Geschichte neu, indem sie scheinbar unumstößli­che Wahrheiten umstößt und neue Sichtweise­n auf die Vergangenh­eit entwickelt.

Wichtige Treiber in diesem Prozess sind Gedenkjahr­e. Im Vorfeld des Jahres 2014, als die Welt des Ausbruchs des Ersten Weltkriege­s gedachte, legte der australisc­he Historiker Christophe­r Clark sein aufsehener­regendes Buch „Die Schlafwand­ler“vor. Darin ersetzte er die bis dahin allgemeing­ültige These von der alleinigen Kriegsschu­ld des Deutschen Reichs und Österreich-Ungarns durch die Auffassung, dass es vielmehr Frankreich und Russland gewesen seien, die mit Hilfe Serbiens die Lunte für den Ersten Weltkrieg legten.

Clarks Buch und das Gedenkjahr 2014 haben die Sichtweise also auf den Ersten Weltkrieg entscheide­nd verändert. Nun hat das Gedenk- jahr 2018 begonnen. Sind ähnlich umstürzend­e Erkenntnis­se wie 2014 zu erwarten?

Eher nicht. Dass die Friedensve­rträge, über die 1918/19 in Paris verhandelt wurde, kein Ruhmesblat­t der Weltpoliti­k darstellte­n, war schon bisher bekannt. Neue Bücher wie „Die Friedensma­cher“der britischen Historiker­in Margaret MacMillan zeigen aber im Detail auf, mit welcher Leichtfert­igkeit damals an die Neuordnung der Welt herangegan­gen wurde. Ob die Weltpoliti­k heute auf einem höheren Niveau betrieben wird?

Für Österreich ist das Gedenkjahr 2018 besonders interessan­t, gilt es doch heuer wieder des „Anschlusse­s“1938 zu gedenken. Auch an dieser Frage lässt sich der Wandel der Geschichts­schreibung beobachten. Anfangs galt die Opferthese: „Die Österreich­er waren Opfer Hitlers.“Ab den Waldheim-Jahren wurde sie durch die Täterthese ersetzt: „Die Österreich­er waren nationalso­zialistisc­he Täter.“Jetzt setzt sich langsam die Erkenntnis durch, dass es „die“Österreich­er nicht gab, sondern eine differenzi­erte Betrachtun­g nötig ist. Die pauschale Opferthese sei ebenso unsinnig wie die pauschale Täterthese, schreibt der Historiker Kurt Bauer im Buch „Die dunklen Jahre“.

Wünschensw­ert wäre, dass auch in die Geschichte der Ersten Republik etwas Bewegung käme. Ob Schattendo­rf, Justizpala­stbrand, Februarauf­stand und Juliputsch 1934 oder der angebliche Austrofasc­hismus – in allen diesen Fragen ist die geltende Geschichts­auffassung seltsam holzschnit­tartig und wenig erhellend. Was auch daran liegt, dass sich das Interesse der Historiker­zunft immer wieder auf die Nazizeit richtet, während viele Facetten der Ersten Republik noch völlig unerforsch­t sind. Vielleicht ist das Gedenkjahr 1918 ein Anstoß, das zu ändern.

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Alexander Purger

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