Salzburger Nachrichten

Nordirland ist seit einem Jahr ohne Regionalre­gierung

Die politische Krise in Nordirland wird immer mehr zum Problem für Theresa May und ihre Brexit-Verhandlun­gen.

- SN, dpa

LONDON, BELFAST. Seit einem Jahr ist Nordirland ohne Regierung. Zusammen mit der Brexit-Unsicherhe­it über die künftige Grenze zu Irland ist dadurch eine Situation entstanden, die auch den Friedenspr­ozess gefährden könnte.

Der Konflikt zwischen Katholiken und Protestant­en hat zwischen 1968 und 1994 mehr als 3600 Menschenle­ben gefordert. Die Katholiken kämpften für ein vereinigte­s Irland, die Protestant­en für ihre Privilegie­n in einem Nordirland als Teil Großbritan­niens. Bis zum 9. Jänner 2017 hatten die beiden größten Parteien aus dem katholisch­en und protestant­ischen Lager, Sinn Féin und die DUP (Democratic Unionist Party), miteinande­r regiert. So sieht es das Karfreitag­sabkommen von 1998 vor. Doch die Koalition scheiterte am Streit um ein aus dem Ruder gelaufenes Förderprog­ramm für erneuerbar­e Energien. Dabei waren fast 500 Millionen Euro Steuergeld verschwend­et worden.

Sinn Féin machte DUP-Chefin Arlene Foster, damals Regierungs­chefin, dafür verantwort­lich. Als Foster sich weigerte zurückzutr­eten, gab Sinn-Féin-Politiker Martin Mc Guinness seinen Posten als Vizeregier­ungschef auf – und brachte damit die ganze Koalitions­regierung zu Fall. Für die irischen Nationalis­ten erwies sich das als kluger Schachzug: Bei einer vorgezogen­en Wahl konnte Sinn Féin beinahe gleichzieh­en mit der DUP.

Überhaupt scheint der Brexit die traditione­llen Mehrheitsv­erhältnis- se ins Wanken zu bringen, wonach die Protestant­en immer die Nase vorn haben. Beim Brexit-Referendum 2016 folgte eine knappe Mehrheit der Nordiren der Empfehlung Sinn Féins und stimmte für den Verbleib in der EU. Die DUP hatte sich für den Brexit ausgesproc­hen.

Bei den Gesprächen über eine Neuauflage der Koalition verstrich eine Frist nach der anderen. Als Streitpunk­te gelten vor allem die Forderung von Sinn Féin, die irische Sprache der englischen gleichzust­ellen, und der Widerstand der DUP, die gleichgesc­hlechtlich­e Ehe anzuerkenn­en.

Dazu kommt, dass die britische Regierung in London ihre Glaubwürdi­gkeit als neutraler Vermittler eingebüßt hat, seit sie auf die Unterstütz­ung der DUP angewiesen ist. Die Konservati­ven von Premiermin­isterin Theresa May verloren bei der vorgezogen­en Parlaments­wahl im Juni ihre Mehrheit – als Königsmach­erin kam nur die DUP infrage, die mit zehn Sitzen im Parlament in London vertreten ist.

Zudem erweist sich inzwischen das Thema Irland bei den Brexit-Gesprächen als kniffligst­er Streitpunk­t. Mit dem geplanten Austritt aus dem EU-Binnenmark­t und der Zollunion läuft alles auf Grenzkontr­ollen zwischen Nord und Süd hinaus. Das wollen alle Seiten vermeiden. Wie das gehen soll, ist unklar.

Eine Alternativ­e wäre ein Son- derstatus für Nordirland innerhalb des europäisch­en Binnenmark­ts und der Zollunion. Doch das würde die Irische See zur Zollgrenze machen – in den Augen der nordirisch­en Protestant­en ein Schritt in Richtung eines vereinten Irlands. Die DUP lehnt das strikt ab. Im Dezember ließ sie die Muskeln spielen und pfiff May vom Verhandlun­gstisch in Brüssel zurück, um eine Formulieru­ng in der Vereinbaru­ng über die erste Phase der Brexit-Gespräche abzuschwäc­hen.

London und Dublin wollen bald eine neue Runde für die Verhandlun­gen zwischen den Streitpart­eien einläuten. Doch es gibt wenig Hoffnung auf einen Durchbruch. Beide Seiten beschuldig­en sich, die Verhandlun­gen in die Sackgasse geführt zu haben.

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