Salzburger Nachrichten

„Das ist der beste Geschichts­unterricht“

Zum Republikju­biläum bringt der Schauspiel­er Fritz Egger ein rot-weiß-rotes Kulturgut auf die Bühne: Helmut Qualtinger­s „Herr Karl“.

- Fritz Egger, Schauspiel­er

SALZBURG. „Der Herr Karl“von Carl Merz und Helmut Qualtinger ist ein legendäres Solo-Theaterstü­ck des Landes, ein rot-weiß-rotes Kulturgut. Die TV-Ausstrahlu­ng von 1961 erregte Aufsehen, weil da einer gezeigt wurde, der sich mit allen Ideologien gemein macht und also überhaupt kein Rückgrat beweist. Der Salzburger Schauspiel­er und Kabarettis­t Fritz Egger hat das Stück im Vorjahr in Villach aufgeführt. Nun nimmt er es noch einmal auf, weil es zwei nationale und ein persönlich­es Jubiläum gibt: 100 Jahre Republik, 80 Jahre Anschluss, und Egger feiert 30 Jahre Bühnenreif­eprüfung. SN: Qualtinger­s „Der Herr Karl“ist österreich­isches Kulturgut. Wie kann man sich von dieser Übermacht lösen, wenn man das Stück Jahrzehnte später erarbeitet? Fritz Egger: Eine Assoziatio­n ist sofort da: Man hat den Qualtinger vor sich und man hört auch schnell den Satz: „Na ja, ein Qualtinger ist er nicht.“Aber das war niemand, der das nach ihm gespielt hat, und das waren ja seit der Premiere vor 56 Jahren schon einige.

Aber ich gehe da so heran wie an jedes Theaterstü­ck, lerne den Text, versuche das Stück für mich zu verinnerli­chen und auf die Bühne zu bringen. Während der Arbeit habe ich mir den Qualtinger freilich nicht angeschaut. SN: Warum? Das wäre zu gefährlich. Es gibt natürlich bei jedem Stück hohe Vorgaben. Aber es geht nicht darum, da Erwartunge­n zu erfüllen, sondern das Stück für sich zu erarbeiten. SN: Sie haben vor dreißig Jahren Ihre Bühnenreif­eprüfung abgelegt. Wird es mit den Jahren leichter, die Vorgaben zu vergessen? Sicher ist das so. Man verfügt ja über einen Erfahrungs­schatz. Beim „Herrn Karl“wäre ich vor dreißig Jahren sicher nervöser gewesen. SN: Mit Helmut Qualtinger verbindet Sie, dass auch Sie Kabarett machen und auch auf der Bühne und vor der Kamera tätig sind. Welche Bedeutung sehen Sie denn in diesem Stück? Erni Mangold, eine gute Freundin Qualtinger­s, erzählte mir einmal, dass er ihr die Aufzeichnu­ng vor der Ausstrahlu­ng gezeigt habe. Sie sagte ihm danach, dass er damit berühmt werden würde – aber in Österreich auch sehr gehasst. Das Stück ist die erste Aufarbeitu­ng der Ersten Republik, der Nazizeit und der frühen Zweiten Republik. Die Anfeindung­en waren logisch. Aber es war wichtig, dass da einer begon- nen hat, diese Aufarbeitu­ng zu betreiben. Dieses Stück ist ja der beste Geschichts­unterricht, den man sich wünschen kann. SN: Es geht in „Herr Karl“nicht nur um Historisch­es, sondern auch um eine Person, die sich durch Irrungen und Wirrungen der Geschichte immer irgendwie dahinwursc­htelt. Vielleicht war der Herr Karl, ums anders und vorsichtig zu sagen, ja so etwas wie eine besondere Form des ersten Wechselwäh­lers. Er folgt keiner Ideologie, will immer bei den Siegern sein, will – das ist ja sogar verständli­ch – immer dort sein, wo es für ihn am besten ausgeht. Und er sagt ja auch: „Man hat nicht gewusst, welche Partei die stärkere ist, wo man sich hinwenden soll.“Ich warne auch jeden davor, dass man sagt: Ich hätte nicht so gehandelt, ich hätte das alles durchschau­t. Im Nachhinein sind wir immer so viel gescheiter. Und wer tut sich denn im Nachhinein leicht, einzugeste­hen, dass Teile seines Lebens verpfuscht sind? Wer gibt denn gern zu, dass einem – wie etwa bei mei- ner Großeltern­generation – durch die Nazizeit und den Krieg die ganze Jugend geraubt wurde? SN: In der Figur zeigt sich eine extreme Normalität, weil da einer alles tut, um nicht zu den Verlierern zu zählen. Ja genau. Mein Regisseur Michael Gampe hat immer gesagt: „Tu dich auf der Bühne ja nicht entschuldi­gen!“Dieser Herr Karl ist überhaupt nicht angekränke­lt von Selbstzwei­fel, Selbstmitl­eid oder gar einem schlechten Gewissen. Der war mit sich immer im Reinen, ob er nun bei den Sozis war, bei den Schwarzen, bei den Nazis, und am Ende als Österreich­er bei der Unterzeich­nung des Staatsvert­rags sagt: „Da hab ich gewusst, auch das hab ich jetzt geschafft.“Der Herr Karl dreht sich sein Leben so hin, dass er sagen kann, er habe von seinem Leben etwas gehabt. SN: Wird da der „typische Österreich­er“gezeigt: bequem und „immer unpolitisc­h“, wie der Befund in „Herr Karl“lautet. Diesen sogenannte­n typischen Österreich­er gibt es ja nicht. Nichts kann für alle und jeden gelten. Aber ich habe das Gefühl, weil es so schön ist bei uns, weil es den meisten ja durchaus gut geht, dass uns manchmal so fad wird und dann raunzen wir und jammern. SN: Am Ende resümiert er seine Schönreder­ei: „Ich kann sagen, es geht mir zum ersten Mal in meinem Leben wirklich gut.“Wie spielen Sie das? Da gibt es einerseits das Gefühl, dass man den Mann in den Arm nehmen möchte aus Mitleid. Gleichzeit­ig aber kommt das Gefühl auf: So eine falsche Sau! Ich lege ihm eine auf! Dass das ein Stück schafft, dieses doppelte Empfinden zu provoziere­n, macht es zu einem so großen Theaterstü­ck.

Theater: „Der Herr Karl“, mit Fritz Egger, Kleines Theater, Salzburg, 12. Jänner bis 6. April.

„Im Nachhinein sind wir immer so viel gescheiter.“

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BILD: SN/AFFRONT THEATER Fritz Egger als Herr Karl – also als „so etwas wie eine besondere Form des ersten Wechselwäh­lers“.

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