Dieser Protest im Iran war ein Schrei der Verzweiflung
Das Herrschaftsgebäude der Islamischen Republik Iran ist ausgehöhlt. Das Regime erfüllt seine Versprechen nicht.
Irans Regime hat auch die jüngste Protestwelle offenbar unbeschadet überstanden. Zu groß ist die Macht seiner Milizen. Zu eisern ist die Entschlossenheit der Regimekader, jeden Widerstand gegen das System der islamischen Theokratie zu unterdrücken.
Dennoch hat sich mit den neuen Protestkundgebungen etwas Fundamentales geändert im Iran: Auf den Rückhalt der armen Massen in der konservativen Provinz, der seit der Islamischen Revolution 1979 sicher zu sein schien, kann das Regime nicht länger zählen. Schichtenübergreifend wird jetzt vielmehr der Ruf nach Gerechtigkeit und Gleichheit laut.
Alle Prognosen, dass die Protestwelle alsbald die politische Herrschaft der Religionsführer ins Wanken bringen könnte, erwiesen sich als voreilig. Grund dafür ist nicht nur die Rücksichtslosigkeit des Regimes, sondern auch die Tatsache, dass wichtige Segmente der Gesellschaft trotz Sympathien für die Protestierenden diesmal auf Distanz geblieben sind.
Die „grüne Bewegung“, die 2009 für mehr bürgerliche Rechte demonstrierte, machte vor allem in der Hauptstadt Teheran mobil; sie zog damit die soziale Mittelschicht und die Höhergebildeten an. Wortführer aus diesem Kreis, die ein Programm hätten formulieren können, fehlten dem neuen Protest. Bei den Unruhen zur Jahreswende explodierte im Iran vielmehr der Zorn der sozial Deklassierten auf dem Land.
Irans ökonomisches System hat Bürger erster und zweiter Klasse produziert. Über soziale Medien gelangen Bilder vom prasserischen Leben von Angehörigen der urbanen Elite nach draußen in die vernachlässigten Regionen. Quasi-Regierungsinstitutionen wie Revolutionsgarden und religiöse Stiftungen plündern die Staatskasse, wohingegen der Sparkurs der Regierung mit Privatisierung und Liberalisierung die Armen trifft. Bezeichnend ist der Punkt, an dem der soziale Protest in politische Kritik umgeschlagen ist: Die Demonstranten zeigten sich empört darüber, dass das Regime Öleinnahmen in regionale Konflikte steckt, statt damit die Lebensverhältnisse der Iraner zu verbessern.
Das iranische Regime wirkt durch die neuen Proteste angeschlagen. Dennoch ist es fraglich, dass die Machthaber das System jetzt umbauen werden. Zum einen halten sich im Iran verschiedene Machtgruppen gegenseitig in Schach. Zum anderen sperrt sich die geltende Verfassung mit dem Vorrang für den Revolutionsführer gegen einen tiefgreifenden Wandel. Bleiben Reformen aus, wird die Wut weiter wachsen.