Köstinger setzt auf Anreizsysteme
Für die neue Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger ist die Klima- und Energiestrategie die erste große Bewährungsprobe.
Für die neue Landwirtschaftsministerin ist die Klima- und Energiestrategie die erste große Bewährungsprobe. Köstinger setzt dabei auf Erfahrungen aus der Biolandwirtschaft.
Elisabeth Köstinger ist Ministerin für Landwirtschaft und Umwelt, Energie und Tourismus. Die Landwirtstochter stammt aus St. Paul im Lavanttal und studierte Kommunikationswissenschaft. Über die Landjugend kam sie zum ÖVP-Bauernbund, 2009 bis 2017 war die 39Jährige EU-Abgeordnete.
SN: Sie sind einer der drei Politprofis im ÖVP-Regierungsteam, Sie waren aber nur kurz Nationalratspräsidentin. Wie wollen Sie diesen Startnachteil wettmachen? Elisabeth Köstinger: Die Experten in unserem Regierungsteam sind extrem hilfreich, weil sie auch uns die Scheuklappen abnehmen. Die haben, anders als wir, die das politische Geschäft über Jahre gelernt haben, einen sehr pragmatischen Zugang. Ich glaube, diese Symbiose kann irrsinnig erfolgreich sein. Die Leute haben zum Teil die Nase voll von typischen Politiker-Antworten. Jemand, der aus der Wirtschaft kommt, ist da ganz erfrischend.
SN: Woran bemerken Sie das? Das Thema Digitalisierung wird eines der wichtigsten für Österreich in den nächsten Jahren sein, und Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck kommt genau von dort (als Ex-Chefin von A1, Anm.). Sie kennt die Stärken und die Schwächen. Auch bei Finanzminister Hartwig Löger merkt man, dass er ein Mann der Wirtschaft ist.
SN: Wirkt „Ministerium für Nachhaltigkeit“nicht aufgesetzt oder ist Ihnen das egal? Das Gegenteil ist der Fall, weil gerade die Landwirtschaft aufgefordert ist, auch über die eigenen Grenzen und zum Teil Stalltüren zu denken. Es gibt heute keinen abgekapselten Bereich mehr. Die bäuerlichen Fa- milienbetriebe brauchen Kinderbetreuung, Infrastruktur, Digitalisierung und funktionierendes Internet. Es ist ein großes Ganzes. Der Themenbereich Energie ist ein großer Gewinn für das bisherige Ressort Landwirtschaft und Umwelt, das wird einer der Schwerpunkte sein. Wir müssen uns nachhaltig aufstellen – und das atomstromfrei. Das ist ja der große Unterschied zu fast allen anderen Ländern in Europa. Wir setzen stark auf dezentrale Energieproduktion, das ist für den ländlichen Raum eine Chance. Unter dieses Dach der Nachhaltigkeit passt der Tourismus als einer der großen Wirtschaftsfaktoren in Österreich perfekt dazu.
SN: Bis Ende März sollen Sie eine Klima- und Energiestrategie vorlegen. Wie wollen Sie das Ziel erreichen, zu dem sich Österreich bekannt hat – 36 Prozent weniger Treibhausgasemissionen bis 2030 im Vergleich zu 2005? Einer der Fehler der Vergangenheit war, dass man versucht hat, Einzelmaßnahmen umzusetzen, aber das hat dem großen Ganzen nicht geholfen. Mir ist es gelungen, den Ministerratsvortrag gemeinsam mit dem Finanzministerium und dem Verkehrsministerium zu machen. Die großen Emittenten sind ja bekannt. Beim Verkehr haben wir die höchste Wachstumsrate, wir sind eben ein Transitland. Wir hatten einige Versäumnisse, was eine große Mobilitätsstrategie und E-Mobilität betrifft. Norbert Hofer war jahrelang Umweltsprecher seiner Partei, deshalb bin ich zuversichtlich, dass das gelingen kann. Der zweite Bereich ist die Energieproduktion. Wir haben uns da sehr ambitionierte Ziele gesetzt wie den Ausstieg aus der Kohle. Bis zum Jahr 2030 wollen wir 100 Prozent Strom bilanziell aus erneuerbaren Quellen produzieren. Wir bereiten das 100.000-DächerProgramm vor, das sind Förderungen für Photovoltaik und Kleinspeicher für Private.
SN: Österreich hat derzeit ungefähr 70 Prozent Anteil an Strom aus Erneuerbaren, kommen konkrete Ziele für einzelne Sparten wie Wasser, Sonne und Wind? Auf jeden Fall wird es hier konkrete Ziele geben. Wir haben auch im Biomassebereich Potenzial, wo wir in der Vergangenheit Versäumnisse hatten, speziell bei Ökostromnovellen. Die thermische Sanierung ist eine unserer Schwachstellen. Wir sind bei den Sanierungsraten mit 0,6 Prozent Schlusslicht in Europa.
SN: Im Koalitionspakt steht vage „mittelfristig Ausstieg aus der Ölheizung im Neubau“, wie wollen Sie da vorankommen? Das Entscheidende wird sein, in den Köpfen der Menschen ein Bewusstsein zu erwecken, dass es nicht nur um den einen Ölkessel geht, sondern um fossile Energieträger insgesamt. Die Klima- und Energiestrategie wird nicht funktionieren, wenn wir uns in Wien in einem Ministerium am Papier Gedanken darüber machen. Mein Anliegen ist es, die Gesellschaft davon zu überzeugen, dass der Klimaschutz uns alle angeht und das nicht nur eine kurzfristige Investition ist, sondern langfristige Auswirkungen auf die nächste Generation hat. Mit dem Ausstieg aus Ölheizungen sind wir sehr ambitioniert. Niederösterreich ist hier Vorbild, dort wurde das bereits beschlossen.
SN: Es gibt den Sanierungsscheck, zur Pfuschbekämpfung gab es den Handwerkerbonus, Ihr Vorgänger hat mehrfach das Steuerprivileg auf Diesel infrage gestellt. Wie sieht Ihr Gesamtkonzept aus? Ich bin ein großer Freund von Anreizsystemen. Ein extrem gutes Beispiel ist die österreichische Biolandwirtschaft, sie hat den weltweit höchsten Anteil. Das ist ohne Vorgaben passiert, sondern durch Anreize. Den Produzenten war dadurch klar, dass sich die Umstellung auszahlt – und der Konsument ist mitgegangen. Da sind wir mit Verboten auf dem falschen Dampfer. Man muss den Nutzen klarmachen, bei Photovoltaik und Wärmepumpen gab es da schon ein Umdenken.
SN: In der EU-Agrarpolitik bringt der Austritt von Nettozahler Großbritannien sicher Einschnitte. Was tun Sie da? Bei den Verhandlungen wollen wir unsere Mehrleistungen, die wir in Österreich ohne Zweifel erbringen – gentechnikfrei, hoher Bioanteil, große und schlagkräftige Umweltprogramme –, abgegolten haben. Ich will, dass die bäuerlichen Familienbetriebe unsere Gesellschaft ernähren. Das Gegenkonzept sind große Agrarbetriebe, wie wir sie in ganz vielen Ländern Europas auch sehen. Diese Frage muss die Politik beantworten und vor allem die Konsumenten. Wenn ich heute permanent das billigste Fleisch und die billigste Milch und die Äpfel von irgendwoher kaufe, habe ich mein Recht abgegeben, über regionale Produktionsstandards mitzureden.
SN: Die Tourismusbranche fordert seit Langem bessere Rahmenbedingungen, jetzt sind neben einer Steuersenkung auf Übernachtungen auch Verbesserungen bei Saisonniers geplant. Wann kommt das? Der Tourismus hat jetzt einen höheren Stellenwert, ist erstmals als Ressort benannt. Ein Problem ist die Zersplitterung. Wir haben Gebiete, die sich des Ansturms kaum erwehren können, und andere, da funktioniert es gar nicht mehr. Im ersten Halbjahr wird es entsprechende Vorschläge geben, speziell zur Umsatzsteuer. Das müssen wir vorziehen, denn wir haben zwar steigende Nächtigungszahlen, aber massive Umsatzrückgänge. Wir brauchen für unsere Tourismuswirtschaft Anreize zum Investieren. Wenn ich den Standard nicht halten kann, ist der Billigflug nach Griechenland oder sonst wohin attraktiver. Aus dieser Falle müssen wir raus.