Die ARGEkultur kommt ins Stottern
Sebastian Linz überrascht beim Antrittsbesuch in Salzburg: Wenn er im März die Leitung der ARGEkultur übernimmt, dann soll das reibungslose Funktionieren dieses Kulturbetriebs ins Stottern geraten. So beginne das Denken.
Ein Jahr der Veränderung kündigte Markus Grüner-Musil für die ARGEkultur an. Diese Veränderung hat einen Namen: Sebastian Linz. Bei der ARGE-Programmpressekonferenz wurde der 37-jährige Bayer am Dienstag offiziell als Nachfolger von Grüner-Musil als künstlerischer Geschäftsführer vorgestellt. Linz, 1980 in Schwabach bei Nürnberg geboren, übernimmt die Leitung im März und will zunächst „wahnsinnig viel lernen“. Er studierte Theaterwissenschaft, Neuere Deutsche Literatur und Germanistische Linguistik in München. Seit 2011 arbeitet er freiberuflich in den Bereichen Regie, Dramaturgie, Produktion und Kulturmanagement sowie Kulturvermittlung.
Markus Grüner-Musil, der das spartenübergreifende Veranstaltungsund Produktionshaus seit 2005 führt, hatte den Abschied im Jänner 2017 angekündigt. Linz übernimmt von ihm ein erfolgreiches Haus: 2017 kamen zu 311 Veranstaltungen 40.000 Besucher.
SN: Wenn jemand die Leitung eines Betriebs übernimmt, werden üblicherweise neue Ideen und Veränderungen erwartet. Was haben Sie mit der ARGEkultur vor? Linz: Zunächst starte ich hier mit großer Lust. Ich habe auf so eine Möglichkeit lange gewartet und hingearbeitet. Gleichzeitig ist es auch ein bisschen respekteinflößend, aber nicht im Sinn von verschüchtert oder ängstlich. Es ist eine Latte, eine hohe Vorlage, auch wenn ich weiß, dass das, was ich praktisch und theoretisch kann, hier gut hinpassen kann. Veränderungen wird es geben. Aber sie werden sicher nicht sofort und auch nicht als Radikalbruch passieren. Neue Formate werde ich schrittweise und langsam einführen. Da gibt es die historische Linie des Hauses, das einst durch eine politische Besetzungsidee gestartet wurde. Mittlerweile wurde daraus eine sehr stark entwickelte, bestens strukturierte Institution. Es geht für mich nun darum, ein gut aufgestelltes Haus weiterzuentwickeln.
SN: Wie werden Sie das machen? Wichtig ist mir, Freiräume und Denkräume zu schaffen. Dafür muss man einen gut geölten Betrieb, das reibungslose Funktionieren auch ein bisserl ins Stottern bringen.
SN: Das Haus legt seit dem Neubau Jahr für Jahr erfolgreiche Bilanzen vor. Es hatte niemals zuvor mehr Benutzer und Besucher, niemals gab es ein dichteres Programm. Das wollen Sie nun ins Stottern bringen? Stottern beschreibt ja einen Widerstand beim Aussprechen von Worten. Und ein deutscher Schriftsteller, der selbst stottert, sagte einmal, dass er eben in diesem Moment, wenn das Stottern beginnt, gezwungen ist, mit dem Denken zu beginnen. So will ich dieses „Stottern“verstanden wissen.
SN: Wie wichtig ist Ihnen denn die Politisierung des Hauses? Wenn das heißen soll, dass wir gegen „die da oben vorgehen“, dass wir mit der Kunst raus auf die Straße müssen, wie in den 1970er-Jahren, dann verkennt man die Lage. Es hat sich nämlich die Basis der Auseinandersetzung verändert.
SN: Inwiefern? Alte, traditionelle Gegensätze existieren vielleicht gar nicht mehr. Was ist links? Was ist rechts? Und ist das überhaupt noch die Achse, entlang der gedacht werden muss? Ist es nicht vielmehr eine Auseinandersetzung zwischen „autoritär“und „liberal“, mit der wir uns beschäftigen müssen? Dieser Frage will ich nachgehen.
SN: Was bedeutet diese Auflösung alter Gegensätze denn etwa für eine Kunst, die im gesellschaftlichen Diskurs mitmischen will? Es bedeutet vor allem, dass sich auch alte Handlungsmuster überholen können. Wer nur in aggressiver Haltung eine Gegenposition einnimmt, verstärkt durch so ein Handeln affirmativ das, was er kritisieren will.
SN: Was also ist zu tun, um das zu vermeiden: Kann das Handeln eingestellt werden? Politisches Handeln ist höchst wichtig. Noch wichtiger aber ist gegenwärtig die Analyse, auf welcher Basis wir wie handeln. Diese Basis, auf der sich Demokratie und Gesellschaft bewegen, ist verrutscht und verändert sich auch schleichend.
Das ist ein Prozess, den man nur wahrnimmt, wenn geschichtliche Ereignisse passieren wie Wahlen. Dazu will ich auch ein künstlerisches Forschungsprojekt starten, das sich eben mit diesen „shifting baselines“beschäftigt. Dabei soll untersucht werden, welche Phänomene den gesellschaftlichen Diskurs bestimmen. Dazu schadet es nicht, wenn man einen Schritt zurück macht, um einen analytischen Blick auf die Lage werfen zu können. Handeln hat nur Sinn, wenn wir den Grund verstehen, der zum Handeln führt …
SN: Als Veranstaltungsort hat die ARGE einen Schwerpunkt im Kabarett entwickelt, der mit Auswärtsspielen im Landestheater oder im republic für die ökonomische Basis des Hauses bedeutend ist. Und es gibt mit dem Roten Salon eine wichtige Spielwiese der heimischen Popszene. Wie gut kennen Sie sich in diesen Bereichen aus? Immer besser. Was ich noch lernen muss, sind die Arbeitsnetzwerke, also etwa der Kontakt zu Agenturen. Aber da habe ich die große Chance, dass ich zunächst ein Programm durchführe, das schon geplant ist. Im Theaterbereich kann ich schwimmen wie ein Fisch im Wasser. Andere Bereiche erarbeite ich mir jetzt. Ich übernehme die Aufgaben von Markus Grüner fließend und vor allem sehr freundschaftlich. Ich fühle bei diesem Lernprozess einen starken Rückenwind aus dem Haus.
SN: Wann wird man etwas von Ihrer Handschrift merken? Ich kuratiere im Herbst das OpenMind-Festival. Das bietet sicher schon die erste Möglichkeit, ein paar Testballons zu starten mit Dingen, die mir wichtig sind. Außerdem müssen die Planungen für 2019 ja auch schon im Sommer stehen.