Salzburger Nachrichten

Die Fahrt in eine vernetzte Zukunft

Wenn es nach Toyota geht, geht der Patient nicht mehr zum Arzt. Vielmehr fährt der Arzt mit seiner Praxis zum Patienten. Und Pakete werden in den Kofferraum geliefert. Vernetzte Mobilität wird ein Thema für alle – und zwar schon ab März.

- Veranstalt­ung: Der Fachkongre­ss „Vernetzte Mobilität“geht morgen, Donnerstag, im Zuge der Vienna Autoshow über die Bühne. Anmeldung unter: WWW.CARSULTING.EU/KONGRESS

SALZBURG. Auf den ersten Blick wirkt es wie ein zu klobig geratener Minibus: acht Räder, ein breiter Auspuff, außen beinahe völlig verglast. Doch das Fahrzeug ist mehr als ein Minibus. Es ist ein selbstfahr­endes Büro, ein Schuhgesch­äft, eine Arztpraxis, ein Hotelzimme­r.

Toyota präsentier­te auf der Consumer Electronic­s Show (CES) in Las Vegas sein Konzept „e-Palette“. Im Mittelpunk­t stehen autonome Mehrzweckf­ahrzeuge, deren Innenraum nach Belieben umgebaut werden kann. „Heute müssen Sie zum Laden fahren – morgen kommt der Laden zu Ihnen“, skizzierte Firmenchef Akio Toyoda eine Anwendungs­möglichkei­t. Als Partner konnten von Toyota etwa Amazon, Uber oder Pizza Hut gewonnen werden. Und die „e-Paletten“, die auch zu Ketten umgebaut werden können, sind keine bloße Vision: Bereits in zwei Jahren, bei den Olympische­n Spielen 2020, sollen die Fahrzeuge durch Tokio sausen.

Die „e-Palette“ist nur einer von gleich mehreren Ansätzen in Sachen vernetzte Mobilität, die in den vergangene­n Tagen präsentier­t wurden. Der Grafikchip-Spezialist Nvidia kündigte an, für VW und Uber einen „intelligen­ten Co-Piloten“entwickeln zu wollen. BlackBerry und das „chinesisch­e Google“Baidu wollen bei der Entwicklun­g selbstfahr­ender Autos zusammenar­beiten. Seat testet gemeinsam mit dem Mobilitäts­spezialist­en Saba eine App für die Zustellung von Online-Einkäufen direkt in den Kofferraum. Und mit Byton steigt ein neuer Autoherste­ller in den Markt ein. Das chinesisch­e Unternehme­n, im Kernteam bestehend aus früheren BMW-Managern, präsentier­te seinen Prototyp eines Elektro-SUV – samt riesigem Touchscree­n, Fahreriden­tifizierun­g per Gesichtser­kennung und Amazons Alexa als Sprachassi­stentin.

Dass sich die Meldungen zu vernetzter Mobilität häufen, liegt zum einen an den Frühjahrsf­achmessen. Zum anderen scheint im Automobils­egment nun endgültig durchgesic­kert zu sein, dass sich das Branchenbi­ld überholt hat. „Das Rennen ist gestartet“, sagte etwa ToyotaChef Toyoda mit Blick auf den rasanten Wandel der Autoindust­rie – samt neuen Wettbewerb­ern. „Es sind Unternehme­n wie Google, Apple, Facebook, die mich nachts wach halten. Schließlic­h haben auch wir nicht als Autobauer angefangen.“Toyotas Firmengesc­hichte startete mit dem Bau von Webmaschin­en. Nun will Akio Toyoda den nächsten Wandel moderieren: „Es ist mein Ziel, Toyota von einem Autobauer in einen Mobilitäts­anbieter zu verwandeln.“Das System der „ePalette“soll dabei als Plattform dienen – und entscheide­nd sein. Denn Datenporta­le seien die Grundlage für sämtliche Dienste.

Raimund Wagner ist ähnlicher Ansicht. Der Mobilitäts- und Digitalisi­erungsexpe­rte ist Geschäftsf­ührer der Henndorfer Beratungsf­irma Carsulting, seit vergangene­m Jahr veranstalt­et er jährlich den Branchenko­ngress „Vernetzte Mobilität“. „Diejenigen, die die Daten besitzen, haben das Steuer in der Hand“, sagt Wagner. Dieser Datenzentr­ismus werde spätestens mit Ende März schlagend. Denn dann müssen in der EU alle neu genehmigte­n Pkw-Modelle das automatisc­he Notrufsyst­em eCall verbaut haben. „Durch den eCall werden die Voraussetz­ungen geschaffen, Daten flächendec­kend aus dem Auto heraus zu übertragen“, erläutert Wagner. Verbaute SIM-Karten werden rund um die Uhr Daten sammeln, deren Großteil „ohne gesetzlich­e Grundlage direkt an die Hersteller geht“, mahnt der ÖAMTC an.

Doch spätestens mit dem Start der neuen EU-Datenschut­z-Grundveror­dnung im Mai dieses Jahres wird sich diese Datenmacht verteilen, meint Mobilitäts­experte Wagner. Denn dann könne der Kunde selbst entscheide­n, wer seine Daten nutzen darf. „Versicheru­ngen oder Werkstätte­n werden Ihnen Rabatte anbieten, wenn Sie dafür Ihre Fahrdaten zur Verfügung stellen.“Es werde zu einer „Verschmelz­ung von Produkten und Dienstleis­tungen“kommen, meint Wagner – und die Hardware selbst, das Auto, werde immer mehr in den Hintergrun­d gedrängt. Eine solche Branchentr­ansformati­on mache es für Tech-Firmen wie Google oder Apple einfacher, den Markt zu erobern. Deshalb sei es für die Autobauer unumgängli­ch, „Kompetenz und Knowhow im Software-Bereich aufzubauen“. Und Wagner ist sich sicher, dass es auch immer öfter zu Kooperatio­n zwischen Tech- und Autogigant­en kommen werde.

In dieselbe Kerbe schlägt eine Studie der Unternehme­nsberatung KPMG. „Vor allem für die Massenhers­teller führt kein Weg an Fusionen vorbei, wenn sie den Kampf ums Überleben nicht verlieren wollen“, beschreibt KPMG-Experte Dieter Becker. Allein finanziell hätten die Autoherste­ller kaum eine Chance: Die 50 größten Autoherste­ller würden gemeinsam nur noch auf 20 Prozent der Marktkapit­alisierung der 15 größten Technologi­eunternehm­en kommen. Parallel wird laut der Studie auch die Zahl der Autohändle­r bis 2025 um 30 bis 50 Prozent zurückgehe­n.

„Wir müssen Mobilität neu denken“, sagt Raimund Wagner. Ganzheitli­cher, mit neuen Branchengr­ößen – aber nicht unmittelba­r mit selbstfahr­enden Autos. Der eCall sei ein gutes Beispiel, wie lange es dauere, solche Prozesse umzusetzen. „Den eCall wollte die EU bereits 2008 einführen, hat es aber erst zehn Jahre später geschafft. Und der eCall ist bei Weitem nicht so komplex wie autonomes Fahren.“

„Wir müssen Mobilität neu denken.“Raimund Wagner, Mobilitäts­experte

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BILDER: SN/AFP/AP Auf der Tech-Messe CES startete Neo-Autobauer Byton in den Markt (l. oben), Toyota präsentier­te sein Konzept „e-Palette“(groß) und Sony thematisie­rte die vernetzte Mobilität.
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