Smartphone-Apps hören Kinder und Jugendliche ab
Eine neue Handy-Software hört selbst dann mit, wenn das Smartphone in der Hosentasche steckt. Die Technologie ist in rund 1000 Apps verbaut – die sich vor allem an Kinder richten.
Die Aufregung um die Smartphone-Software Alphonso schwappt immer stärker nach Europa. Nachdem die „New York Times“aufgedeckt hatte, dass sich die Abhörsoftware in rund 1000 Apps versteckt, laufen nun auch österreichische und deutsche Datenschützer gegen die Technologie Sturm. Allein im Google Play Store, der AppPlattform für Android-Handys, finden sich mehr als 100 AlphonsoApps, die ebenso in Österreich problemund kostenlos heruntergeladen werden können. Doch auch Apples App-Store ist betroffen. Ein Großteil der Anwendungen, meist völlig harmlos wirkende Spiele, richtet sich dezidiert an Kinder und Jugendliche.
Das besonders Perfide an Alphonso: Die Technologie hört ihre Nutzer selbst dann ab, wenn die jeweilige App ordentlich beendet wurde – und das Smartphone scheinbar inaktiv auf dem Wohnzimmertisch liegt oder in der Hosentasche steckt. Die Software greift auf das handyeigene Mikrofon zu, hört die Umgebung ab – und wertet etwa aus, wel- che Fernsehsendung der Nutzer gerade schaut bzw. welche Werbung zu hören ist. Diese Audiodaten nutzt Alphonso, um zielgerichtete Werbung auszuspielen.
Rechtsexperten halten das System für illegal. Sogar der Vorwurf der Sittenwidrigkeit steht im Raum. Doch der Alphonso-Geschäftsführer ist anderer Ansicht.
SALZBURG. Die Apps sehen auf den ersten Blick völlig harmlos aus. Es sind meist kleine Spiele, mit denen der Nutzer etwa virtuell kegeln kann („Real Bowling Strike“). Bei denen er kleine Männchen durch eine Stadt navigiert („City Runner“). Oder bei denen er mit einer Maus in einem Labyrinth Käse sammelt („Cheese Feast“). Doch die unscheinbaren Apps können noch viel mehr. Sie hören ihre Anwender ab. Und zwar selbst dann, wenn das Spiel ordentlich beendet wurde – und das Smartphone scheinbar inaktiv in der Hosentasche steckt oder auf dem Wohnzimmertisch liegt. Möglich macht dies die Software des US-Start-ups Alphonso. Diese greift auf das handyeigene Mikrofon zu, hört die Umgebung ab – und wertet etwa aus, welche TVSendung der Nutzer gerade schaut bzw. welche Werbung zu hören ist. Diese Audiodaten nutzt das Startup, um zielgerichtete Werbung auszuspielen. In Kombination mit ausgelesenen Standortdaten ist zudem noch stärker zielgruppenorientiertes Marketing möglich.
Der „New York Times“bestätigte der Geschäftsführer von Alphonso, Ashish Chordia, bereits vor einigen Tagen, dass rund 1000 Apps aus den Bereichen Social Media, Messaging und Gaming auf seine Software setzen. Und nun schwappt die Aufregung um die Abhörsoftware immer stärker nach Europa: Deutsche Verbraucherschützer warnen mittlerweile vor den Apps, die vor allem im Google Play Store, der Plattform für Android-Handys, aber auch in Apples App-Store zu finden sind. Zwar ist ein Großteil der Anwendungen nur in den USA verfügbar. Aber allein die simplen Play-StoreSuchen „alphonso automated“und „alphonso software“warfen mit Stand Mittwochnachmittag mehr als 100 Apps aus, die in Österreich meist kostenlos angeboten werden. Besonders perfide: Viele der Anwendungen richten sich dezidiert an Kinder und Jugendliche.
Dennoch ist Alphonso-Geschäftsführer Chordia der Ansicht, dass das Abhören legal ist. Denn zum einen würden keine Gespräche aufgezeichnet, zum anderen würden die Anwender der Nutzung zustimmen. In der Tat ist in einigen App-Beschreibungen angeführt, dass die Software eingesetzt wird. Bei wieder anderen stimmt der Nutzer lediglich zu, dass die Anwendung sein Mikrofon nutzen kann.
Laut Peter Harlander, Salzburger Anwalt und IT-Sachverständiger, reicht das nicht aus. Mit dem Okay, das Mikrofon zu nutzen, erlaube man nur den technischen Zugriff im Rahmen des Anwendungsbereichs der App – aber kein dauerhaftes Abhören. Zudem müsse auch die Zustimmung via Hinweis eine „wirklich informierte“sein, die entsprechende Information müsse leicht zugänglich, detailliert aufgeführt und verständlich gehalten sein. „Das irgendwo hinten in den AGB zu verstecken reicht nicht aus.“In solchen Fällen liege keine wirkliche Zustimmung vor – der Einsatz der Software sei also nicht legal. Und der Rechtsexperte geht sogar noch einen Schritt weiter: Man könne sich die Frage stellen, ob es selbst bei ordentlichen Hinweisen noch rechtlich möglich ist, auf legaler Basis einzuwilligen – oder ob es sich nicht um einen sittenwidrigen Vertrag handelt. „In der Tiefe, wie die Apps in den Alltag der Nutzer eindringen, ist das Angebot grundlegend hinterfragenswert“, ergänzt Harlander.
Bei der Arbeiterkammer Salzburg seien indes noch keine Beschwerden wegen Alphonso eingelangt, sagt Christian Obermoser, Konsumentenschützer bei der AK. Dies sei aber auch nur schwer möglich – denn schließlich merken die betroffenen Nutzer im Regelfall nicht, dass sie abgehört werden. Es gebe aber grundsätzlich „nur vereinzelt“Fragen zu solchen Themen – und dann primär, wenn es um Kinderschutz oder Kosten geht. „Bei Online-Datenschutzfragen ist das Interesse und/oder das Bewusstsein wohl nicht so da.“In der Digitalwelt seien die Nutzer offenbar weit weniger sensibel als in der realen Welt: „Wenn mich auf der Straße ein Fremder anspricht, würde ich ihm nie im Leben aufschreiben, wo ich heute schon überall war. Online fehlt diese gesunde Skepsis.“
Und welche Tipps gibt der Konsumentenschützer all jenen, die auch in der Digitalwelt mehr Wert auf Datenschutz legen wollen? Zum einen solle man die App-Beschreibung schlicht aufmerksam studieren. Zum anderen appelliert Obermoser an den Hausverstand. „Wenn eine App, bei der ich nur Papierknödel in einen Mistkübel werfe, Zugriff auf mein Mikrofon oder meinen Standort haben will, muss was nicht stimmen.“Kinder sollten indes nicht eigenständig Apps installieren können; man könne ihnen etwa das Passwort für den Google Play Store vorenthalten.
Doch selbst wenn man all diese Maßnahmen berücksichtige, bleibe das altbekannte Grundsatzproblem, ergänzt Obermoser: „Ich muss entweder bereit sein, Geld für Apps auszugeben. Oder ich zahle bei kostenlosen Apps mit meinen Daten.“
„Online fehlt die gesunde Skepsis.“Christian Obermoser, AK Salzburg