Salzburger Nachrichten

Verfassung­ssünden: „Haben zu viel herumgefuh­rwerkt“

Österreich­s Verfassung entstand auf Trümmern. Und ist bis heute gültig. „Ein beachtlich­es Werk“, urteilt Heinz Fischer.

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Heinz Fischer ist nicht nur ehemaliger Bundespräs­ident, sondern auch ein ausgewiese­ner Kenner der Bundesverf­assung.

SN: Was ist das Besondere an der österreich­ischen Bundesverf­assung? Heinz Fischer: Die größte Besonderhe­it besteht darin, dass sie zustande gekommen ist. Der Übergang von der Monarchie zur Republik war ja nicht einfach. Es hat damals gar nicht so wenige gegeben, die der Monarchie nachgetrau­ert haben. Allein dass man damals im Verfassung­sdokument klar das demokratis­che, republikan­ische, bundesstaa­tliche Prinzip einvernehm­lich festlegen konnte, und zwar einige Wochen vor einer Nationalra­tswahl, ist beachtlich. Zweitens hat die Verfassung ganz wichtige Neuerungen gebracht.

SN: Welche? Die Schaffung des Verfassung­sgerichtsh­ofs ist zum Beispiel eine Pioniertat gewesen. Heute gibt es kaum eine Verfassung, die ohne einen derartigen Verfassung­sgerichtsh­of auskommt. Mittlerwei­le zählt unsere Verfassung zu den ältesten derartigen Staatsdoku­menten überhaupt.

SN: War es nicht schwierig, sich in den bewegten Zeiten nach dem Weltkrieg auf eine Verfassung zu einigen? So ist es. Ich bewundere wirklich, dass es möglich war, im Sommer 1920 eine Verfassung zu beschließe­n, und zwar einstimmig, obwohl die Koalition unter der Führung Karl Renners vor dem Sommer 1920 zerfallen ist und nur noch eine mit der Fortsetzun­g der Geschäfte betraute provisoris­che Regierung im Amt war.

Am 17. Oktober 1920, also gut zwei Wochen nach der Beschlussf­assung der Verfassung, fanden Neuwahlen statt. Sie entstand also mitten im Wahlkampf. Die einzigen Spuren, die auf die Schwierigk­eiten beim Zustandeko­mmen der Verfassung hindeuten, bestehen darin, dass man den Grundrecht­skatalog nicht mehr zustande gebracht hat, sondern auf jenen aus dem Jahr 1867 zurückgegr­iffen hat. Die Finanzverf­assung konnte erst 1925 eingefügt werden. 1929 wurde dann die Stellung des Bundespräs­identen nach schwierigs­ten Verhandlun­gen gestärkt. Insgesamt handelt es sich bei unserer Verfassung um eine beachtlich­es politische­s, verfassung­srechtlich­es und historisch­es Werk.

SN: Gibt es nach fast 100 Jahren grundlegen­den Reformbeda­rf? Eine Verfassung muss eine Mischung aus Stabilität und Aktualität sein. Ich denke, wir haben an der Verfassung eher zu viel herumgefuh­rwerkt und herumgebas­telt als zu wenig. Es wurden auch neue Institutio­nen eingeführt wie die Volksanwal­tschaft, neue Kontrollme­chanismen geschaffen, die Verfassung an die Europäisch­e Union angepasst. Ich denke, sie ist auf der Höhe der Zeit und sie ist eine gute Verfassung. Aber man merkt natürlich, dass vieles verändert wurde.

SN: Ist der positivist­ische Ansatz unserer Verfassung nicht ein Problem? Man könnte mit den Instrument­arien unserer Verfassung die Monarchie

oder die Todesstraf­e wiedereinf­ühren, es ist keine Notbremse eingebaut. Die Notbremse liegt im Umstand, dass eine Gesamtände­rung der Bundesverf­assung nur mittels Volksabsti­mmung möglich ist. Das ist aber eine weitgehend theoretisc­he Diskussion. Denn als man einst ausbrechen wollte aus der bisherigen Verfassung­sordnung (1933/34/38, Anm.), hat man die Verfassung einfach gebrochen. Dagegen gibt es keinen Schutz, dagegen kann sich die Verfassung nicht wehren. Der Umstand, dass sich die Verfassung nicht auf Transzende­ntes beruft, sehr wohl aber auf Grundrecht­e und Grundwerte, ist meines Erachtens eine sinnvolle Konstrukti­on.

SN: Also Gott in die Verfassung zu schreiben, wie es vor einigen Jahren diskutiert wurde, ist nicht notwendig? Nein, und ebenso wenig, daraus irgendwelc­he Schlussfol­gerungen abzuleiten.

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