Assad-Truppen lösen Fluchtwelle aus
Eine neue Offensive in der syrischen Provinz Idlib vertreibt bis zu 70.000 Zivilisten.
Das von Russland und dem Iran gestützte syrische Regime ist offenbar entschlossen, das gesamte Land militärisch zurückzuerobern. Nach der Schaffung mehrerer Landbrücken in den Irak (und damit auch den Iran) haben Regierungstruppen nun einen Großangriff auf die von Rebellen beherrschte Provinz Idlib gestartet. Die – aus dem Blickwinkel des Regimes – höchst erfolgreiche Offensive hat eine Massenflucht aus mindestens 90 Dörfern und Kleinstädten ausgelöst. Bis zu 70.000 Menschen sollen nach UNO-Erkenntnissen vertrieben worden sein. In der bitterarmen Provinz haben bereits 1,2 Millionen Menschen aus anderen Teilen Syriens Zuflucht gesucht. Die nahe Türkei hat ihre Grenzen geschlossen. Angesichts der sich abzeichnenden humanitären Katastrophe hat die Regierung in Ankara am Dienstag die russischen und iranischen Botschafter einbestellt. Moskau und Teheran, so verlangte Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu, müssten die Offensive umgehend stoppen, da der Angriff in einer von Russland und dem Iran geschaffenen sogenannten Deeskalationszone durchgeführt werde. Die Forderung verpuffte. Im Gegenteil erhalten die Assad-Truppen laut Augenzeugen russische Luftunterstützung. Ahmad al-Dbis, Direktor einer syrischen NGO, die Dutzende Ambulanzen und Spitäler betreibt, warf dem Regime „systematische Attacken auf Kliniken“vor. Seit Ende Dezember sind demnach acht Krankenhäuser bombardiert worden. „Es geht darum, den Menschen jede medizinische Versorgung zu nehmen, ärztliche Helfer der Opposition zu töten und eine Fluchtwelle auszulösen“, betonte al-Dbis. Ein Muster, das bereits bei der Belagerung Aleppos zu beobachten war. Damaskus bestreitet die Anschuldigungen. Der Angriff richte sich gegen ein islamistisches Rebellenbündnis, das etwa 80 Prozent der Provinz Idlib kontrolliere. Dem Bündnis sollen auch Gruppen aus dem Kaukasus, Zentralasien und China angehören.
Nutznießer der Offensive ist paradoxerweise auch die Terrormiliz „Islamischer Staat“. Sie übernahm die Kontrolle über mehr als 20 Dörfer in den Provinzen Hama und Idlib, aus denen das Rebellenbündnis überstürzt seine Kämpfer abgezogen hatte. Insgesamt kontrolliert der IS in dieser Region nun 40 Ortschaften. Auch am Nordufer des Euphrat kann sich die Terrormiliz noch immer gegen die von den USA gestützten „Demokratischen Kräfte Syriens“behaupten. Eine Wiederauferstehung des IS halten Experten allerdings für unwahrscheinlich. Zu Terrorüberfällen sei die Gruppe aber weiterhin in der Lage, weil sie noch immer „aus dubiosen Quellen“mit Geld und Waffen versorgt werde.