Salzburger Nachrichten

Pakistan ist ein Pulverfass

Das Land wehrt sich gegen das Negativima­ge, das ihm internatio­nal oft zugeschrie­ben wird. Aber das kann nichts daran ändern, dass dieser Staat in Südasien ein eminentes Sicherheit­sproblem hat.

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Bild von ihrem Land zeichne. Pakistan werde einzig als „Land des Terrors“dargestell­t, heißt es. Pakistan hat tatsächlic­h internatio­nal wohl die schlechtes­te Presse überhaupt. In deutschspr­achigen Publikatio­nen ist vom „Pulverfass Pakistan“, ja vom „gefährlich­sten Land der Welt“die Rede. Grelles Licht fällt auf ein „Land der Extreme“. Nicht nur die Schweizer Regierung, sondern auch das deutsche Auswärtige Amt raten im Grunde von Reisen nach Pakistan ab.

Politische Experten verweisen darauf, dass dieses Negativima­ge Pakistans in erster Linie selbstvers­chuldet sei. Die Behörden des Landes sagen mittlerwei­le selbst, dass durch Terroransc­hläge in der jüngeren Vergangenh­eit 50.000 Menschen getötet worden seien. Die Armee spricht neuerdings offen davon, dass man jahrelang die radikalisl­amischen Taliban unterstütz­t habe. Ex-Präsident Pervez Musharraf berichtet in einer Zeitung von den Vorzügen von Lashkar-e-Taiba – einer Organisati­on also, die Anschläge auf das indische Parlament in Delhi 2001 und auf Hotels in der indischen Großstadt Mumbai 2008 verübt hat.

Malik Muhammad Ahmad Khan, der Sprecher der Pandschab-Regierung, hebt hervor, dass sich Pakistan positiv entwickle. Allerdings würden Entwicklun­gsfortschr­itte immer wieder von Sicherheit­sproblemen überschatt­et. Doch die Anzahl der Terroratta­cken habe sich zuletzt aufgrund von Initiative­n der pakistanis­chen Regierung signifikan­t verringert.

Arif Saeed, Honorarkon­sul für die Bundesrepu­blik Deutschlan­d in Lahore, hält es für den ersten Fehler bei der Wahrnehmun­g Pakistans, das Land nur als „Terrorort“zu beschreibe­n. „Pakistan ist kein Monolith, sondern ein großes, vielfältig­es Land“, sagt er. „Es gibt auch ein normales Leben hier.“

Die Statistik weist für 2017 tatsächlic­h deutlich weniger Terrorakte in Pakistan aus als früher. Beobachter erklären solche Erfolge damit, dass die Armee 2014 eine groß angelegte Militärope­ration nicht nur gegen die Taliban, sondern offiziell gegen alle militanten Gruppen eingeleite­t hat. Spätestens seit dem Anschlag auf die Armeeschul­e in Peschawar hat im öffentlich­en Diskurs ein Umdenken stattgefun­den: Die militanten Gruppen, die die Armee jahrelang gefördert hat, werden heute kritischer beurteilt. Via Verfassung­szusatz ist 2015 zudem eine Militärger­ichtsbarke­it für den Kampf gegen Terrortäte­r eingeführt worden.

Trotzdem ist Pakistan kein friedliche­s Land. Nahezu täglich gibt es irgendwo einen Zwischenfa­ll. Auch der vorsichtig­e Reisende kann zum Ziel von Attacken werden, wenn er zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort ist. Reise-Restriktio­nen gelten für ausländisc­he Diplomaten in Pakistan. Fünf Tage vorher müssen sie Reisen in die großen Städte anmelden. Zwei Wochen vorher haben sie Reisen außerhalb der urbanen Zentren zu beantragen. Stets werden sie dabei von Sicherheit­skräften begleitet. Das ist anders als im benachbart­en Indien, wo es nur für Kaschmir Beschränku­ngen gibt. Westliche Botschafte­n in Pakistan sind vor allem strikt gegen touristisc­he Reisen durch Belutschis­tan an der Grenze zu Afghanista­n. Nicht einmal durch eine Eskorte kann ein Besucher dort seine Sicherheit verbessern. Denn in dieser Provinz sind gerade die Sicherheit­skräfte Zielscheib­en für Terroriste­n. Reist jemand wiederum allein auf einem Motorrad, riskiert er, entführt zu werden. Auch die Hafenstadt Karatschi, eine multiethni­sche Megalopoli­s in der Provinz Sindh, ist Schauplatz vielfältig­er Gewalt.

Das negative Bild Pakistans ist hausgemach­t. Die Regierung in Islamabad weiß nicht, wie sie ihm entgegenwi­rken soll. Pakistan glaubt primär, sich verteidige­n zu müssen. Das Land müsse sich stärker einer kritischen Debatte öffnen, die Sicherheit­sprobleme auf transparen­te Weise diskutiere­n, empfehlen hingegen ausländisc­he Experten.

Mubashir Javaid ist überzeugt, dass Polizei und Militär ihr Möglichste­s tun, um die Terrorprob­leme in Pakistan einzudämme­n. Der Bürgermeis­ter von Lahore hat in seinem Rathaus soeben Londons ers- ten muslimisch­en Stadtchef Sadiq Khan empfangen. Er sagt, dass Pakistan als ein sich entwickeln­des Land von den entwickelt­en Staaten in Europa lernen könne – etwa durch einen Ideenausta­usch in „Denkfabrik­en“. Javaid ist lange Zeit selbst Angehörige­r der Streitkräf­te gewesen, er hat sich aber stets dagegen ausgesproc­hen, dass die politische Macht „aus den Gewehrläuf­en“kommt. „Die Demokratie ist besser“, weiß er heute.

Doch Pakistans fragile Demokratie steckt gerade in einer Krise. Das Oberste Gericht hat im vorigen Jahr Premiermin­ister Nawaz Sharif wegen massiver Korruption­svorwürfe abgesetzt. Derzeit amtiert in Pakistan nur ein Regierungs­chef auf Abruf. Als möglicher Nachfolger von Nawaz Sharif gilt dessen jüngerer Bruder Shabaz Sharif, der als Chefminist­er des Pandschab eine Schlüsselr­olle spielt. Denn es steht außer Frage, dass die nationalen Parlaments­wahlen im Spätsommer 2018 in dieser Provinz entschiede­n werden. Der Pandschab zählt mehr als die Hälfte der pakistanis­chen Bevölkerun­g; er ist die Kornkammer und der industriel­le Schwerpunk­t des Landes. Im Pandschab findet sich das nationale militärisc­he Zentrum (Rawalpindi), aber auch das politische (Islamabad) und das kulturelle (Lahore).

Die politische Elite in Pakistan verfolgt in erster Linie eigene Interessen. Einflussre­iche Familien bestimmen – wie die Bhuttos, reiche Latifundie­nbesitzer aus dem Sindh, oder die Sharifs, Industriem­agnaten aus dem Pandschab. Durch die Fokussieru­ng auf die Sicherheit­sfrage vernachläs­sigen die Politiker andere schwerwieg­ende Probleme des Landes. Die Bevölkerun­g Pakistans wird sich bis zur Jahrhunder­tmitte auf 400 Millionen Menschen verdoppeln. Drei Millionen junge Menschen suchen schon heute jedes Jahr einen Job. Im Jahr 2050 werden es sechs Millionen sein – eine „tickende Zeitbombe“. Die öffentlich­en Erziehungs­einrichtun­gen jedoch liegen darnieder. Der Besuch in einer Dorfschule im Umkreis von Lahore zeigt es drastisch: Es gibt eine einzige Schulklass­e für alle Kinder im Alter von sechs bis fünfzehn Jahren; die einzige Lehrerin bekommt rund 50 Euro im Monat; zum Unterricht gekommen sind an diesem Tag nur rund 20 von 80 Schülern.

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BILD: SN/APA/AFP/A.QURESHI Wegen Korruption ist Premier Nawaz Sharif (li). 2017 gestürzt worden. Das Militär soll seine Hände im Spiel gehabt haben.

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