Die pakistanischen Streitkräfte bilden einen Staat im Staate
Den Rahmen für das Agieren der politischen Parteien gibt bis heute das Militär vor. Auch die Justiz spürt diesen Einfluss.
Christian Wagner ist Südasien-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. SN: Wie stark ist der Einfluss der islamistischen Gruppierungen in Pakistan? Wagner: Einerseits ist der Einfluss der kleinen islamistischen Parteien auf die Politik weiterhin groß. Sie können ihre Anhänger vor allem in größeren Städten wie Islamabad oder Lahore mobilisieren, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Andererseits haben religiöse Parteien bei Wahlen im Normalfall allenfalls drei bis sechs Prozent der Stimmen erhalten. Die radikalen islamischen Kräfte sind aber eine Brutstätte der militanten Gruppen, die versuchen, ihre Ziele mit Gewalt durchzusetzen. SN: Wie stark ist der pakistanische Staat? Von Stärken des pakistanischen Staates kann man angesichts der schlechten Noten im Bereich der Regierungsführung kaum sprechen. Die Sicherheitslage hat sich in in den letzten Jahren verbessert. Aber die Wirtschaftszahlen sind nicht gut. Die soziale Lage ist schlecht. Die Korruption ist hoch. Das Alltagsleben für die große Mehrheit der Menschen ist schwierig. Das Militär bleibt ein Staat im Staate. Es hat das Land lange Zeit regiert. Es hat auch heute Mitsprache bei allen außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungen. Die Armee ist der größte Unternehmer in Pakistan. Die Streitkräfte geben den Rahmen vor, in dem die politischen Parteien agieren können. Sie sind nicht in der Lage, die Vorherrschaft des Militärs herauszufordern. Pakistan wird es deshalb kaum zu einer parlamentarischen Kontrolle der Streitkräfte bringen. Das Land ist nach wie vor eine „KasernenhofDemokratie“. SN: Bleibt da Platz für eine freie Presse und eine unabhängige Justiz? Es gibt eine zum Teil erstaunlich offene Berichterstattung. 2016 hat etwa die Tageszeitung „Dawn“über Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Militär berichtet. Aber diese freie Presse richtet sich an eine kleine, modern-westlich orientierte Mittelschicht in Pakistan und an das Ausland. Ihr Wirkungsbereich ist begrenzt, weil die Mehrheit der Menschen nicht englischsprachige Zeitungen, sondern solche in der einheimischen Sprache Urdu liest; und die sind längst nicht so offen und kritisch, wie wir es von der westlichen Presse kennen. Auf der unteren Gerichtsebene gibt es viel Korruption. Das Oberste Gericht gilt als relativ korruptionsfrei. Aber es hat in der Vergangenheit immer wieder Formen der Militärherrschaft legitimiert.