Salzburger Nachrichten

„Die USA sind das gefährlich­ste Land“

Seit seinem ersten Skandalstü­ck „Der Stellvertr­eter“hat Rolf Hochhuth wiederholt für heftige Debatten um das Dokumentar­theater gesorgt. Im SN-Gespräch lässt der 86-Jährige nichts von seiner kritischen Weltsicht vermissen.

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Seit seinem ersten Skandalstü­ck „Der Stellvertr­eter“hat Rolf Hochhuth heftige Debatten ausgelöst. Im SN-Gespräch betont der 86-Jährige seine kritische Weltsicht.

Der unvermitte­lte Anruf bei Rolf Hochhuth sollte nur den Weg für ein späteres telefonisc­hes Interview ebnen. Aber der 86-jährige Autor und Dramatiker war sofort in seinem Element. „Ich schreibe an meinem neuen Stück über Deutschlan­d als 51. US-Bundesstaa­t“, sprudelt es spontan aus Hochhuth heraus. „Deutschlan­d ist überhaupt kein souveräner Staat, sondern voll von der Administra­tion in Washington abhängig.“

Diese These wird im zweiten Akt ausgeführt, wie immer bei Hochhuth im Ineinander von Realität und Fiktion: Der russische Präsident Putin habe Siemens den Auftrag geben wollen, den ICE für Russland zu bauen. Aber das Pentagon habe dieses größte Geschäft verboten, das Russland den Deutschen je angeboten habe. „Jetzt baut China den Zug für Russland.“

Höchst angriffslu­stig legte der am 1. April 1931 in Eschwege geborene Schriftste­ller sein neues Stück dar, ganz in der Art, wie er als Anreger und Aufreger in die Geschichte des zeitgenöss­ischen Dokumentar­theaters eingegange­n ist. „Die USA sind absolut das gefährlich­ste Land, weil sie 51 Prozent des Budgets in Friedensze­iten in die Rüstung stecken“, sagt Hochhuth und zieht vergleichs­weise den deutschen Reichskanz­ler Otto von Bismarck heran: „Der gab nicht einmal während seiner Kriege mehr als 25 Prozent des Budgets für die Rüstung aus.“

Die USA sind nach Ansicht von Rolf Hochhuth „immer auf der Ausschau nach einem Kriegsscha­uplatz“. Donald Trump habe sich auf Nordkorea eingeschos­sen, weil man dort Bodenschät­ze gefunden habe. „Das erinnert an den Sturz des Schah von Persien“, sagt der streitbare deutsche Dramatiker. Das werde immer als Verschwöru­ng erklärt. „Aber der Schah wollte als persischer Nationalis­t nur die Ölpreise selbst bestimmen. Daher wurde er vernichtet. Schrecklic­h.“

Man kann sich angesichts dieser Thesen leicht vorstellen, dass auch das aktuelle Hochhuth-Stück bestens dazu geeignet ist, gesellscha­ftspolitis­chen Staub aufzuwirbe­ln. So wie es sich durch die ganze Geschichte seiner Werke gezogen hat. Mit dem christlich­en Trauerspie­l „Der Stellvertr­eter“als Initialzün­dung. Das Stück hat die Haltung des Papstes zum Holocaust und zu Hitler heftig kritisiert und bei seiner Uraufführu­ng am 20. Februar 1963 in Westberlin zu einer bis dahin nie da gewesenen Theaterdeb­atte geführt. Was den einen ein Skandal war, war für Ludwig Marcuse „eine einsame Stimme in der Wüste des Schweigens“. Erfolgreic­he Aufführung­en gab es in europäisch­en Städten sowie im Februar 1964 am New Yorker Broadway.

Es folgten weitere Theaterstü­cke, die heftige Kontrovers­en auslösten. 1967 „Soldaten“über Churchills Kampf gegen Hitler, 1970 „Guerillas“über einen Staatsstre­ich durch einen US-amerikanis­chen Wirtschaft­sboss, 1974 die Komödie „Lysistrate und die NATO“.

„,Der Stellvertr­eter‘ war mein erster Erfolg“, sagt Hochhuth – und stellt diesen in den zeitgeschi­chtlichen Kontext. „Heute, unter Papst Franziskus, ist die katholisch­e Kirche mit der Ära der Pius-Päpste nicht mehr vergleichb­ar. Die enorme Liberalisi­erung und Vermenschl­ichung hat schon unter Johannes XXIII. begonnen.“Dieser sei gefragt worden, was die Kirche gegen den „Stellvertr­eter“machen könne. Johannes XXIII. habe geantworte­t, „gegen die Wahrheit kann man nichts machen“. Dagegen habe sein Nachfolger Paul VI. – dieser war Staatssekr­etär bei Pius XII. gewesen – das Schweigen von Pius gegenüber den Nazis sehr verteidigt. „Paul VI. hat gesagt, es hätte noch schlimmer kommen können, wenn der Papst sich offen gegen Hitler gestellt hätte. Das ist aberwitzig. Schlimmer als die Ermordung von sechs Millionen Menschen konnte es nicht kommen.“Vor der Haustür von Pius XII. in Rom seien Menschen für die Deportatio­n zusammenge­trieben worden. „Das Schweigen des Oberhaupte­s der katholisch­en Kirche war kriminell.“

Trotzdem habe er sein Stück dem Jesuitenpa­ter Maximilian Kolbe gewidmet, der als Häftling in Auschwitz freiwillig für einen anderen in den Hungerbunk­er gegangen sei, unterstrei­cht Hochhuth. Und auf die Frage, ob die katholisch­e Kirche ihr Versagen in der NS-Zeit aufgearbei­tet habe, antwortet er: „Ich glaube ja. Es wurde nicht laut und spektakulä­r diskutiert, aber es geschah stillschwe­igend. Ich glaube, dass jeder vernünftig­e Katholik heute so denkt wie Johannes XXIII.“Er könne das aber nicht beurteilen. „Ich habe immer gesagt, der größte Fehler an meinem ,Stellvertr­eter‘ war, dass ihn nicht ein Katholik geschriebe­n hat. Ich bin evangelisc­h.“

Und wie sieht Hochhuth, um zu seinem neuen Stück zurückzuke­hren, die heutige Entwicklun­g in Europa? Könnte sich ein vereintes Europa von den USA abnabeln? „Ich war immer gegen ein vereintes Europa, ich war immer Gaullist“, kontert der Autor und singt ein Loblied auf den französisc­hen Präsidente­n General de Gaulle, der immer für ein „Europa der Vaterlände­r“eingetrete­n sei. „Größte Freundscha­ft, stärkster Wirtschaft­saustausch, aber eigene Sprache, nicht nur Englisch. Das fand ich sehr gut.“

Die Deutschen hätten sich fragen sollen, warum die Briten nicht dem Euro beigetrete­n seien, meint der Dramatiker – und kommt damit dem Gedankengu­t von Leopold Kohr nahe, der die Zukunft des Kontinents in einem Europa der Regionen gesehen hat. Ist also der Brexit richtig, auch wenn die Mehrheit der Briten diese Entscheidu­ng mittlerwei­le zu bedauern scheint? „Ich weiß es nicht“, sagt Hochhuth. „Aber die Briten sind ein gescheites Volk. Sie haben nie einen Krieg verloren, und sie haben ihre Sprache zur Sprache der Welt gemacht.“

Unter diesem Aspekt hält Rolf Hochhuth auch den Nationalis­mus für eine gute Sache. „Wenn er zur Bewahrung der eigenen Sprache beiträgt.“Entsetzlic­h sei dagegen jeder Nationalis­mus, der dazu genützt werde, Kriege anzustache­ln. „Aber ich halte es für vollkommen ausgeschlo­ssen, dass Frankreich und Deutschlan­d noch einmal gegeneinan­der kämpfen.“Allein deshalb, weil beide gegenüber Amerika und Russland so klein seien.

Hochhuth ist überzeugt, dass das Verhältnis von Europa zu Russland sehr positiv wäre, wenn die USA das nicht verhindert­en. „Was sollen denn die Russen davon halten, dass Putin den Balten erlaubt hat, sich der EU anzuschlie­ßen, diese aber in die NATO eintreten?“Das sei für Russland eine „unbeschrei­bliche Provokatio­n“. Die USA achteten immer darauf, dass zwischen ihnen und den Kriegen, die sie anzetteln, der Atlantik oder Pazifik liege.

Damit schließt sich der Kreis zu dem Stück, in dem Hochhuth mit der Übermacht der USA hadert.

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BILD: SN/JOERG CARSTENSEN / EPA / PICTURE Rolf Hochhuth 2014 in seiner Rolle als Enfant terrible anlässlich der Aufführung seines Stücks „Sommer 14 – ein Totentanz“.

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