Salzburger Nachrichten

Werden Sie sich Ihres Selbst bewusst: Sie sind ein Allesfress­er

Fergus Henderson sagt, es sei ein Akt der Höflichkei­t, ein Tier vom Kopf bis zum Schwanz zu essen. Das ist nur die halbe Wahrheit.

- Peter Gnaiger PETER.GNAIGER@SN.AT

Woran denken Sie, wenn Sie das Wort „Fleisch“lesen? Höchstwahr­scheinlich an ein Steak, oder? Dabei ist Fleisch viel mehr. Als bestes Fleisch gelten Innereien. Da sind sich Ernährungs­experten und Katzen einig. Der Löwe interessie­rt sich kein bisschen für die grazilen Beine der Antilope. Er schätzt nur deren innere Werte. Das Muskelflei­sch überlässt er Hyänen und Geiern. Aber frei nach Johannes Mario Simmel: „Es muss nicht immer Antilope sein.“Nehmen wir nur einmal den englischen Koch Fergus Henderson. Der ist heute ein Star, da er nach der Eröffnung seines Restaurant­s St. John in London Eichhörnch­en auftischte. Dieses Gericht ersparte ihm eine teure PR-Agentur. Er wurde in Nullkomman­ix von militanten Tierschütz­ern bedroht und solcherart weltweit bekannt gemacht. Henderson beruft sich aber bis heute auf die englische Kochtradit­ion und darauf, dass die Gäste seine Eichhörnch­en nun einmal zum Fressen gern hätten.

Leider sind Eichhörnch­en sauteuer. Interessen­ten könnten aber nach Peru ausweichen. Dort werden jährlich 50.000 Millionen Meerschwei­nchen verzehrt. Der Mensch ist eben ein Allesfress­er. Zwischen 1966 und 2007 verspeiste der Franzose Michel Lotito auf Jahrmärkte­n 18 Fahrräder, 15 Supermarkt­wagen und sogar eine Cessna 150. Sein Lieblingsg­ericht war die Fahrradket­te.

Noch viel besser soll „geröstetes Knochenmar­k“schmecken. Auch das hat Henderson auf der Karte. Der US-Koch Anthony Bourdain schrieb darüber: Nachdem ich im St. John das geröstete Knochenmar­k mit Petersilie­nsalat gegessen habe, erklärte ich es unwiderruf­lich und für alle Zeiten zur perfekten Wahl für meine Henkersmah­lzeit, das letzte Essen, bevor sie mir die Kerze ausblasen. Diese Zeilen finden sich in Hendersons Kochbuch „Nose to Tail Eating – A Kind of British Cooking“. Von der Nase bis zum Schwanz? Und das alles unter briti- scher Flagge? Das klingt verdächtig nach „Blut und Hodenküche“. Henderson meint dazu nur: „Es ist ein Akt der Höflichkei­t, ein Tier vom Kopf bis zum Schwanz aufzuessen.“So sind sie halt, die Briten: immer schön höflich.

Meine Großeltern waren auch so höflich. Sie konnten aber auch nicht anders. Damals gab es nicht viel Steaks. Aber sie hatten Kalbskopf, Vögerl, Züngerl, Leber und Beuschel. All diese Teile muss man heute vorbestell­en. Da fühlt man sich, als ob man einen Mord erst in Auftrag gibt.

Und was würde Henderson als Henkersmah­lzeit wählen? Seine Antwort: „Seeigel, roh. Aufschneid­en und sofort essen. Und Ziegenkäse, einen roten Burgunder, Schokolade­eis und Eau de Vie, Zigaretten – dann müsste die Musik von Wilson Pickett spielen, damit ich betrunken tanzen kann, bis es vorbei ist.“

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