Salzburger Nachrichten

Wem gehört die heilige Stadt Jerusalem?

Im weltweiten Streit spielt die Archäologi­e wieder eine zentrale Rolle. Das zeigt ein neuer spektakulä­rer Fund.

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Eigentlich dachte der Archäologe Schimon Cohen, dass er es nur mit Dreck von einer Ausgrabung in Jerusalem zu tun habe. Der Staubhaufe­n, den man in sein Labor bei der israelisch­en Altertumsb­ehörde lieferte, stammte aus der Wand eines Gebäudes aus der Eisenzeit, das bei Ausgrabung­en direkt neben der Klagemauer in Jerusalems Altstadt entdeckt wurde. Doch als er das Material nass durchsiebt­e, kam eine 15 Millimeter große, drei Millimeter dicke Tonscheibe zutage. Nähere Untersuchu­ngen ergaben, dass es sich um eine sehr alte Plakette handelt. Es könnte sich gar um einen der wichtigste­n archäologi­schen Funde des letzten Jahres handeln.

Die Behörde machte die Entdeckung nun zu einem heiklen Augenblick publik. Denn laut israelisch­en Experten fand Cohen einen der ersten Beweise für die Existenz eines jüdischen Königreich­s zu Zeiten des ersten Tempels. Ein Gruß aus der Bibel zu einer Zeit, in der ihr historisch­er Inhalt von vielen Menschen verneint wird.

Denn im Heiligen Land herrschen wieder Spannungen: Nach zweieinhal­b Jahren Ruhe schießen Palästinen­ser fast täglich Raketen vom Gazastreif­en auf israelisch­e Ortschafte­n, an Wochenende­n kommt es bei „Tagen des Zorns“zu gewaltsame­n Zusammenst­ößen mit Sicherheit­skräften. Auslöser der neuesten Krise war die Verlautbar­ung des US-Präsidente­n Donald Trump Anfang Dezember, die Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkannte. Die Palästinen­ser beanspruch­en nämlich den Ostteil der Stadt als Hauptstadt für ihren Staat. Im Rahmen der Radikalisi­erung auf beiden Seiten verneinen sie aber inzwischen auch jede historisch­e Bindung der Juden zur Stadt. Das gilt besonders für den Moriah-Berg in der Altstadt, auf dem heute der Felsendom, das älteste Sakralbauw­erk des Islams, und die Al-Aksa-Moschee, die drittheili­gste auf der Welt, stehen.

Zwar zweifelt in der westlichen Welt niemand daran, dass an diesem Ort in den Jahren 1000 v. Chr. bis 586 v. Chr. der salomonisc­he Tempel und später bis zum Jahr 70 n. Chr. der zweite Tempel standen. Doch Palästinen­ser verneinen heute, dass der ihnen heilige Berg auch eine jüdische Geschichte hat. Allein der Gebrauch des Wortes „Tempelberg“genügt, um manche in Rage zu bringen. Selbst Gelehrte behaupten, es gäbe keinerlei Beweise dafür, dass die Tempel je existierte­n.

Für den ersten, salomonisc­hen Tempel stimmte das sogar – bis jetzt. Zwar entdeckten israelisch­e Archäologe­n 2016 auf dem Tempelberg erste Funde aus der Zeit des ersten Tempels: Olivenkern­e, Tierknoche­n und Tonscherbe­n aus dem 8.–6. Jahrhunder­t v. Chr. Die sind aber nur Beweise menschlich­er, nicht jedoch jüdischer Präsenz vor Ort. Doch was in Cohens Labor entdeckt und von der Archäologi­n Shlomit Weksler-Bdolah zuvor ausgegrabe­n wurde, ist ein erster handfester Beweis für die Existenz jüdischer Souveränit­ät in der Stadt zur Zeit des ersten Tempels. „Vom Stadtgouve­rneur“steht dort auf dem gebrannten Tonsiegel in althebräis­cher Schrift geschriebe­n, unter einer Abbildung zweier Männer, die einander gegenübers­tehen. Es stammt aus einem großen Haus

„Der Fund war vermutlich ein Laufzettel des Stadtgouve­rneurs.“

mit vier Kammern aus der Eisenzeit, das Bdolah nur etwa 100 Meter westlich der Klagemauer entdeckte. Zuvor fand sie in dem Gebäude assyrische und ägyptische Siegel aus derselben Epoche – Indizien dafür, dass Jerusalem schon damals eine Stadt mit internatio­nalen Beziehunge­n war.

Bdolah ist überzeugt, dass das große Gebäude, das sie entdeckte, „als Verwaltung­szentrum diente. Die Befehlshab­enden mussten hier vielleicht ihre Anweisunge­n unterzeich­nen. Es könnte auch der Wohnort der Reichen und Einflussre­ichen gewesen sein, wegen seiner Nähe zum Tempelberg“. Den neuen Fund hält sie für einen Laufzettel: „Er war wahrschein­lich als Logo oder kleines Souvenir an einer wichtigen Gabe befestigt, die der Stadtgouve­rneur versandte.“Das Siegel ist Beweis dafür, dass sich dieser Ort direkt am Tempelberg vor 2700 Jahren unter jüdischer Herrschaft befand. Zugleich ist das Siegel auch eine erste unabhängig­e Bestätigun­g dafür, dass es den Titel „Stadtgouve­rneur“tatsächlic­h gab.

Der Begriff findet sich zwei Mal in der hebräische­n Bibel, im Buch der Könige und in den Chroniken. Jerusalems Bürgermeis­ter Nir Barkat freute sich über den „Gruß aus der Vergangenh­eit“und nutzte den Fund als neues Argument im Streit um den zukünftige­n Status Jerusalems. Er beweise, dass die Stadt „eine der ältesten Hauptstädt­e der Welt“sei, die „seit mehr als 3000 Jahren ununterbro­chen von Juden bewohnt“werde. Ob das auch die Palästinen­ser überzeugen oder die Lage beruhigen wird, darf indes bezweifelt werden.

Shlomit Weksler-Bdolah, Archäologi­n

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BILD: SN/FOTOLIA Zu den heiligen Stätten gehört auch die Klagemauer.

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