Salzburger Nachrichten

Kontrollie­rter Start von Kurz

Viel Tempo, nur Populäres und eine Problem-Ministerin. So war der erste Monat.

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WIEN. Tempo, kein Streit und nur gute Nachrichte­n. – Mit diesen drei Vorsätzen sind ÖVP und FPÖ vor exakt einem Monat in ihre gemeinsame Regierungs­zeit gestartet. Wie sieht nun die allererste Bilanz nach 31 Tagen aus?

Das mit dem Tempo bekam Bundeskanz­ler Sebastian Kurz ganz gut hin. Außenpolit­isch hat er mit Besuchen in Brüssel, Paris und Berlin klargemach­t, dass er und nur er in dieser Koalition die Europapoli­tik bestimmt. Innenpolit­isch beschloss die Regierung bereits im ersten Ministerra­t am Tag nach der Angelobung eine Entlastung kleiner Einkommen durch niedrigere Beiträge zur Arbeitslos­enversiche­rung.

Bei der Regierungs­klausur Anfang Jänner verkündete sie Verschärfu­ngen im Asylwesen sowie eine Kürzung der Familienbe­ihilfe im Ausland. Und beim folgenden Ministerra­t beschloss sie eine Entlastung der Familien um 1,2 Milliarden Euro. (Das zugehörige Budget soll erst im März folgen.) – Auch das Vorhaben, mit Rücksicht auf die kommenden vier Landtagswa­hlen vorerst nur populäre Ansagen zu machen, wurde also erfüllt.

Nur der dritte Plan – kein Streit in der Koalition – ging nicht ganz auf. Die Frage, ob auf das Vermögen von Notstandsh­ilfebezieh­ern zugegriffe­n werden soll oder nicht, lieferte sowohl koalitions- als auch FPÖ-internen Zündstoff. Differenze­n zwischen der Regierungs­spitze und Sozialmini­sterin Beate HartingerK­lein (FPÖ) traten offen zutage. Wohl nicht zufällig ist die Ressortche­fin bereits von Ablösegerü­chten umflort. In ihren öffentlich­en Äußerungen ist sie jedenfalls schon viel vorsichtig­er geworden.

Das gilt für die Regierung generell. Nach der Aufregung über die Aussage von Innenminis­ter Herbert Kickl, er wolle Asylbewerb­er „konzentrie­rt“unterbring­en, sind die Minister überhaupt so gut wie verstummt. Alle Kommunikat­ionsfäden laufen bei Bundeskanz­ler Sebastian Kurz zusammen.

Das scheint auch ganz seiner Auffassung von politische­r Führung zu entspreche­n. Während sich sein Vorgänger Christian Kern mit dem Sager „95 Prozent der Politik ist Inszenieru­ng“in die Nesseln und bald darauf in die Opposition absetzte, dürfte das zentrale Dogma von Sebastian Kurz lauten: „95 Prozent der Politik ist Kontrolle.“

Und die hat der 31-Jährige seit der Übernahme der ÖVP und der Regierung nie verloren, sondern gezielt und geschickt auf allen Ebenen immer weiter ausgebaut. Auch Außendarst­ellung und Inszenieru­ng der Regierungs­arbeit sind kontrollie­rt wie nie zuvor.

Kurz, der im Vorjahr mit einer bis dahin unvorstell­baren Generalvol­lmacht die ÖVP übernommen und ruhiggeste­llt hatte, hat im Wahlkampf eine Kanzler-Richtlinie­nkompetenz nach deutschem Vorbild gefordert. Denn der Kanzler müsse „die Möglichkei­t haben zu führen und zu entscheide­n“, wie Kurz anmerkte.

Aus dieser Richtlinie­nkompetenz wurde dann zwar nichts. Aber ein durch und durch kontrollie­rtes und konsequent durchgreif­endes Projekt ist die Regierungs­arbeit des ÖVP-Kanzlers und des engsten Kreises um ihn allemal.

Außer Elisabeth Köstinger und Kurz’ Alter Ego im Kanzleramt, Gernot Blümel, wurden nur im politische­n Tagesgesch­äft unerfahren­e Quereinste­iger auf die der ÖVP zustehende­n Ministerpo­sten gehievt. Das Kalkül, dass diese Minister, die gar nicht in den Machtstruk­turen der ÖVP verankert sind, leichter zu steuern sind, könnte aufgehen. Die Loyalität der von Kurz persönlich ausgewählt­en Neopolitik­er gilt primär dem Kanzler, nicht der Partei. Zum Amtsantrit­t erhielten die neuen Minister zudem sogenannte Checkliste­n mit Verhaltens­anweisunge­n und klaren Vorgaben, etwa auch für anfangs zu vermeidend­e Pressekont­akte. Kabinettsc­hefs und Pressespre­cher wurden den neuen Ministern ebenfalls fast durchwegs zentral zugewiesen.

Mit den Generalsek­retären wurde eine (nur teilweise) neue zusätzlich­e Koordinati­onsebene in den Ministerie­n eingezogen. Per Novelle des Bundesmini­sterienges­etzes hat die neue Regierung die Möglichkei­t geschaffen, nun in allen Ministerie­n Generalsek­retäre mit Weisungsre­cht gegenüber allen Sektionsch­efs und allen Beamten einzusetze­n. Diese „Miniminist­er“müssen kein Ausschreib­ungsverfah­ren durchmache­n, obwohl ausgeprägt­es Verwaltung­swissen in der Position eine sinnvolle Schlüsselk­ompetenz ist. Die politische­n Vertrauens­personen werden laut Gesetz vom Minister, de facto von der Parteispit­ze nominiert.

Für die FPÖ-Minister haben die Generalsek­retäre den Vorteil, dass sie mit ihrer Hilfe leichter die ehemals roten Ressorts in den Griff bekommen können.

Im Bundesmini­sterienges­etz ist überdies eine zentrale Einflussmö­glichkeit auf die Minister-Pressespre­cher verankert. Zwar nicht dem Kanzler-Kommunikat­ionsleiter, aber dem neu geschaffen­en „Sprecher der Bundesregi­erung“obliegt laut Gesetz nun offiziell die „Koordinati­on der Pressespre­cher der Bundesmini­sterien“.

Schon bei den ersten Antrittsin­terviews der neuen Minister wunderten sich Journalist­en, als zur Autorisier­ung vorgelegte Interviews mit teils diametral geänderten Aussagen zurückkame­n. Zumindest anfangs soll sich das unmittelba­re Kommunikat­ionsteam des Kanzlers die Interviews der ÖVP-Minister zentral zum Absegnen vorlegen haben lassen. Das soll eine einheitlic­he Regierungs­linie sicherstel­len.

Dieser kontrollie­rte Regierungs­kurs, die gute Konjunktur­lage und die praktisch nicht vorhandene Opposition dürften Sebastian Kurz eine zufriedene Bilanz seines ersten Monats als Kanzler ziehen lassen.

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BILD: SN/APA/ROLAND SCHLAGER Sebastian Kurz hat nicht nur sich stets unter Kontrolle.

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