Salzburger Nachrichten

„Sebastian Kurz hat die Latte selbst hoch gelegt“

Vor einem Monat wurde die neue Regierung angelobt. Die Politikexp­ertin Kathrin Stainer-Hämmerle zieht Bilanz.

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Die Politikwis­senschafte­rin erklärt, wodurch sich die neue Regierung auszeichne­t und was bisher fehlte.

SN: Ein Monat neue Regierung – schon Zeit für eine Bilanz? Kathrin Stainer-Hämmerle: 100 Tage Schonfrist, das war früher, doch gerade diese Koalition hätte sie wahrschein­lich verdient. Denn im ÖVP-Team sind viele Politik-Quereinste­iger, und die FPÖ muss ihren Rollenwech­sel von der Opposition in die Ministerie­n erst verinnerli­chen. Aber es war Sebastian Kurz selbst, der im Wahlkampf die Latte hoch gelegt hat und einen neuen Stil und große Reformen versproche­n hat. Dazu gehört natürlich auch Tempo.

SN: Wie fällt die Bilanz aus?

Kommunikat­ionstechni­sch sehr gut. Mit Rauchverbo­t, Arbeitslos­engeld und Unterbring­ung von Asylbewerb­ern war für jeden ein emotionale­s Thema dabei. Bei den großen Reformbroc­ken wie Pensionen, Verwaltung­s- oder Steuerrefo­rm fehlen immer noch konkrete Maßnahmen. Darauf werden wir wohl bis nach den Landtagswa­hlen und den EU-Ratsvorsit­z warten.

SN: Sehen Sie den angekündig­ten harmonisch­en Stil?

Die Mehrheit der Österreich­er steht hinter der neuen Regierung, solange nicht alte Muster aufbrechen. Das gegenseiti­ge Haxelstell­en von SPÖ und ÖVP hat ja den Wunsch nach Veränderun­g bewirkt. Aber schwierige­r ist es ohnehin, die innerparte­iliche Harmonie zu wahren. Das gelingt beiden Parteien nur, wenn sie weiterhin erfolgreic­h sind. Sei es bei kommenden Landtagswa­hlen oder in Umfragen.

SN: Wieso will die Regierungs­spitze die Arbeit der Ministerie­n so streng kontrollie­ren?

Sebastian Kurz hat ein Team mit vielen neuen Gesichtern und daher mit vielen Unbekannte­n. Koordinati­on ist deswegen besonders wichtig. Die FPÖ hingegen ist als ehemalige Opposition­spartei kaum in den Ministerie­n verankert. Für sie gilt es Loyalität sicherzust­ellen.

SN: Auch die Kontrolle über die Pressearbe­it nimmt zu. Wie viel PR hat in der Politik Platz?

Die Kommunikat­ion bestimmt, wie die Bevölkerun­g die Arbeit der Regierung wahrnimmt: harmonisch oder zerstritte­n, dynamisch oder Stillstand verwaltend. Insofern kann hier Kontrolle auch als hoher Profession­alitätsgra­d gesehen werden. Wenn aber alle Minister und Spitzenpol­itiker nur mehr vorgeferti­gte Sprechblas­en absondern, entsteht in der Bevölkerun­g das Gefühl eines inszeniert­en Schauspiel­s und die Menschen wenden sich im besten Fall enttäuscht ab. Die Rolle und Verantwort­ung der Medien darf dabei nicht vergessen werden. Qualität von Journalism­us und Politik beeinfluss­en sich immer gegenseiti­g.

SN: Hat die Opposition schon ihre Rolle gefunden?

Bei der SPÖ habe ich den Eindruck, dass Christian Kern sie bereits überrasche­nd lustvoll übernommen hat, aber seine Partei noch etwas hinterherh­inkt. Die Liste Pilz sucht eher sich selbst und die Grünen wurden bei außerparla­mentarisch­en Protestfor­men noch nicht fündig. So gesehen wirken die Neos derzeit am profession­ellsten.

 ?? BILD: SN/FH-KÄRNTEN ?? Die Politikwis­senschafte­rin Kathrin Stainer-Hämmerle lehrt und forscht an der FH-Kärnten.
BILD: SN/FH-KÄRNTEN Die Politikwis­senschafte­rin Kathrin Stainer-Hämmerle lehrt und forscht an der FH-Kärnten.

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