Salzburger Nachrichten

Islam-Führer fordern Umkehr

In der Islamische­n Republik Pakistan müssen religiöse Minderheit­en heute jederzeit damit rechnen, zum Ziel extremisti­scher Anschläge zu werden. Eine fatale Fehlentwic­klung.

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von Extremiste­n. Allzu lange haben Pakistans Sicherheit­skräfte und Regierende militante muslimisch­e Gruppen geduldet oder gar gefördert – eine absolut verheerend­e Entwicklun­g. Zehntausen­de Terrortote zählte das Land in der jüngeren Vergangenh­eit.

Jetzt rufen die Religionsf­ührer in Pakistan zur Umkehr auf. Mehr als 1800 muslimisch­e Geistliche aus allen Konfession­en haben in dieser Woche ein religiöses Rechtsguta­chten gegen Selbstmord­anschläge erlassen. Solche Attacken seien „haram“(verboten) und gegen die Lehren des Islams, hieß es in dem als „Fatwa“bezeichnet­en Dokument, das die pakistanis­che Regierung in Islamabad veröffentl­ichte.

Es ist das erste Mal, dass Geistliche aus allen muslimisch­en Konfession­en in Pakistan gemeinsam eine solche Erklärung zu diesem Thema unterstütz­en. Die Regierung hofft nun darauf, dass das Dekret der Religionsf­ührer dem Kampf gegen radikalisl­amische Richtungen Auftrieb gibt. „Diese Fatwa ist eine starke Grundlage für die Stabilität einer moderaten Islam-Gesellscha­ft“, betonte Pakistans Präsident Mamnoon Hussain.

Pakistan ist vor 70 Jahren auf der Grundlage der Religion des Islams gebildet worden. Staatsgrün­der Muhammad Ali Jinnah verstand Pakistan als Nation der Muslime auf dem Subkontine­nt und betrieb damit die Loslösung von Indien. Er rief die Bewohner des neuen Staates dazu auf, miteinande­r zu kooperiere­n, weil sie alle gleichwert­ige Bürger seien, ungeachtet ihrer ethnischen oder religiösen Zugehörigk­eit. Berühmt geworden ist der folgende Appell Jinnahs: „Nun, da Pakistan geschaffen ist, werden wir in unseren eigenen vier Wänden Hindus, Muslime und Sikhs sein. Im öffentlich­en Raum sind wir pakistanis­che Staatsbürg­er. Religion ist eine private Angelegenh­eit, der wir zu Hause nachgehen.“

Doch dieses säkulare, pluralisti­sche Staatskonz­ept konnte sich nicht durchsetze­n. Stattdesse­n obsiegte eine sehr strikte Interpreta­tion des pakistanis­chen Staats der Muslime als islamische Föderation. Pakistans Erzfeindsc­haft mit Indien, die Kultivieru­ng eines religiösen Extremismu­s und eine weitgehend­e Intoleranz gegenüber Minderheit­en waren die Folge.

Die Abspaltung Ostpakista­ns als Bangladesc­h 1971 stürzte Westpakist­an in eine Identitäts­krise. Das Land orientiert­e sich danach stärker an Saudi-Arabien. Ultrakonse­rvative wahhabitis­che Auffassung­en des Islams gewannen an Bedeutung. Eine umfassende Islamisier­ung von Staat und Gesellscha­ft in Pakistan setzte später der Militärdik­tator Zia ul-Haq in Gang. So wurden unter seiner Herrschaft die umstritten­en Blasphemie­gesetze eingeführt. Seit 1986 steht auf Beleidigun­g des Islams, des Korans oder des Propheten Mohammed die Todesstraf­e.

Dieser Kurs hat maßgeblich jene Probleme geschaffen, unter denen das Land heute leidet. Ali Jinnahs Ideen hingegen sind auf dem Rückzug. Er hat eine Gesellscha­ft propagiert, in der alle religiösen Gruppen ihren Platz haben. Dies ist zwar auch jetzt der offizielle Standpunkt der Regierung. Aber allein Angehörige der Mittel- und Oberschich­t sind in Ali Jinnahs Geist erzogen worden; sie denken oft westlich.

Einheitsst­iftend können offensicht­lich auch die Medien nicht wirken. Auf den ersten Blick gebe es eine vielfältig­e Presse, sagt die Kommunikat­ionsforsch­erin Faiza Rafique vom Forman Christian College in Lahore, mit Dutzenden TV-Sendern und Zeitungen. Aber viele von ihnen seien verknüpft mit bestimmten wirtschaft­lichen Interessen. Daraus resultiere „eine Menge an irreführen­der Informatio­n“. Die Regierung reguliere die Presse über den Anzeigenka­uf, also wirtschaft­lich. Investigat­iv arbeitende Journalist­en, die Korruption­sskandale aufdecken, fallen oftmals einem Mordkomplo­tt zum Opfer.

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BILD: SN/HELMUT L. MÜLLER Alle sollen ihren Platz in der Gesellscha­ft haben: Studierend­e an einer Frauenuniv­ersität in Lahore.
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