Salzburger Nachrichten

In Alabama siegte überrasche­nd ein Demokrat bei der Senatswahl

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Kenneth Nail (54) ist mit sich selbst und der Welt zufrieden. Pünktlich um 9 Uhr morgens wartet der Bürgermeis­ter des 3000-SeelenNest­s Hanceville in seinem Pick-up-Truck vor dem roten Klinkerbau an der Hauptstraß­e. „Es ist immer ein guter Morgen, wenn Sie Birmingham verlassen können“, heißt der aufgedreht­e Südstaatle­r seine Besucher aus der 40 Meilen entfernten Metropole willkommen.

Mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht sperrt Nail das Rathaus auf und bittet freundlich in sein Büro. Stolz zeigt er an der Wand zwei Puzzlebild­er, die Motive aus dem Krieg zwischen den konföderie­rten Südstaaten und der Union des Nordens darstellen. „Das Hobby meiner Frau“, erläutert der im Herbst wiedergewä­hlte Bürgermeis­ter die Dekoration seines Arbeitszim­mers.

Der Bürgerkrie­g, der vor 150 Jahren zu Ende ging, fasziniert auch Nail, „weil er der tödlichste in der amerikanis­chen Geschichte war, in dem Brüder gegen Brüder gekämpft haben“. Zum Beispiel sein Urururgroß­vater, ein bettelarme­r irischer Einwandere­r, der auf der Seite der Südstaaten stritt. „Glauben Sie, dass es dem um die Sklaverei ging?“, fragt Nail, während er ein altes Schwarz-Weiß-Foto seines Vorfahren hervorkram­t.

Womit der Mann im kleinkarie­rten Hemd und mit einem Bürstenhaa­rschnitt auch schon bei dem Thema ist, mit dem er nach seiner Wahl Schlagzeil­en machte: Als er hörte, dass New Orleans nach den Fackelmärs­chen von Rechtsextr­emisten in Charlottes­ville im August des vergangene­n Jahres seine Konföderie­rtenDenkmä­ler entfernen wollte, bot er dem dortigen Bürgermeis­ter an, den Monumenten ein neues Zuhause zu geben. Und nicht nur diesen. Nail lud alle Kommunen ein, die ihre Denkmäler loswerden wollten, diese nach Hanceville zu schicken.

Er habe daraufhin Fanpost aus allen Teilen der USA bekommen. „Heißt das, dass wir die Sklaverei gutheißen? Keinesfall­s. Da sind schlimme Sachen passiert“, rechtferti­gt der Bürgermeis­ter seinen Vorstoß. „Aber wir dürfen unsere Geschichte nicht vergessen.“Es sei eine Schande, was in den großen Städten des Südens vor sich gehe. „Traurig, fürchterli­ch traurig“sei das angesichts der Gewalt, die Schwarze gegen Schwarze dort jeden Tag verübten. „Stattdesse­n diskutiere­n wir aber über ein paar Steinstatu­en, die wirklich niemandem etwas getan haben.“

Bürgermeis­ter Nail spricht in Superlativ­en und mit Ausrufzeic­hen, wie Donald Trump. Von der Abtreibung über die Steuerrefo­rm bis zum Waffenrech­t ist Nail hoch zufrieden mit dem ersten Amtsjahr des Präsidente­n.

Wie sein Vorbild im Weißen Haus argumentie­rt der Bürgermeis­ter der Stadt, die Trump eines der besten Wahlergebn­isse in den USA eingefahre­n hat, gern mit Anekdoten. So sei er kürzlich in Birmingham gewesen und habe das mit einem schwarzen Bretterkas­ten eingehüllt­e Konföderie­rten-Denkmal auf dem Linn Place gesehen. „Und wissen Sie was?“, fragt Nail empört. Da sei eine Gruppe Obdachlose­r herumgelun­gert, die nicht den Eindruck gemacht hätten, als tue ihnen das Denkmal weh. „Ich würde morgen einen Lkw schicken und es abholen.“

Randall Woodfin wäre damit rundum einverstan­den. „Kein Problem, das können wir gern so machen“, sagt der afroamerik­anische Bürgermeis­ter der knapp 1,2 Millionen Einwohner großen Südstaaten­metropole Birmingham, der gerade erst gewählt worden ist. Das Denkmalpro­blem erbte der charismati­sche Linkspolit­iker von seinem Amtsvorgän­ger, einem eher traditione­llen Demokraten, den er überrasche­nd geschlagen hatte. „Wir warten jetzt erst einmal ab, was der Richter sagt“, meint Woodfin zum emotional aufgeladen­en Thema des eingehaust­en Denkmals, das der Stadt einen Prozess eingetrage­n hat.

Wenn dieses Denkmal Probleme wie in Charlottes­ville verursache, würde er es entfernen lassen. „Wir dürfen keine Angst haben, das Richtige zu tun“, sagt der am Morehouse College ausgebilde­te Jurist. Dieselbe schwarze Eliteschul­e in Atlanta, die einst Martin Luther King besucht hatte. Fünfzig Jahre nach dessen Tod sei es nicht mehr akzeptabel, „so etwas direkt vor der Nase zu haben“, sagt Woodfin, dessen Büro nur einen Steinwurf von dem Denkmal entfernt liegt.

Was Diskrimier­ung bedeutet, versteht der 36-Jährige aus eigener Erfahrung. Er wuchs im armen Teil Birmingham­s in einer Arbeiterfa­milie auf. Aus der Geschichte zieht er andere Lehren als sein Kollege im ländlichen Hanceville. Als Bürgermeis­ter jener Stadt, die in den 1960er-Jahren zu einem nationalen Symbol im Kampf gegen Rassentren­nung geworden ist, sieht er sich in der Tradition der Bürgerrech­tsbewegung. „Wir stehen an der Spitze des Widerstand­s gegen Trump“, sagt der junge Stadtvater, der in Hinblick auf den Präsidente­n einen Mangel an Anstand beklagt und politische Führung vermisst. Dies habe sich in Alabama bei Trumps Unterstütz­ung für den Rechtsauße­n-Kandidaten Roy Moore gezeigt.

Der Senatsbewe­rber stand nicht nur in dringendem Verdacht, als 30-jähriger Staatsanwa­lt mehrere minderjähr­ige Mädchen sexuell beläs- tigt oder missbrauch­t zu haben. Kurz vor den Wahlen äußerte der Republikan­er die Ansicht, die letzte große Periode in der Geschichte der USA sei in der Zeit der Sklaverei gewesen.

Moore verlor im November knapp gegen einen Demokraten, der als Außenseite­r angetreten war. „Wenn wir jemanden wie Doug Jones hier wählen können“, sagt Woodfin zum ersten Sieg eines Demokraten in Alabama seit Ende der Rassentren­nung, „dann geht es überall in den USA.“Erfolgreic­he Opposition gegen Trump fange unten an. „Alle Politik ist lokal“, meint der Bürgermeis­ter. Eine Schlüsselr­olle spielen im Süden trotzdem die Großstädte. „Von Jackson über New Orleans bis zu Atlanta haben wir überall neue progressiv­e Bürgermeis­ter, die für soziale Gerechtigk­eit arbeiten“, sagt Woodfin.

Auf die Frage, ob er sich einmal im Weißen Haus sehen könne, lacht der Demokrat. „Ich freue mich auf meine Aufgabe als Bürgermeis­ter von Birmingham.“So etwas Ähnliches sagt auch der Gemeindevo­rsteher von Hanceville. Als dem stolzen Mitglied der „Söhne der Konföderie­rten“jemand die Idee antrug, für das Staatsparl­ament von Alabama zu kandidiere­n, betete der fromme Nail zu Gott. „Ich habe das Gefühl, an der richtigen Stelle zu sein“, sagt er nun bei einem Rundgang durch den Veteranenp­ark. Neben dem Denkmal aus dem Linn Park in Birmingham kann er sich am Ententeich von Hanceville auch eine Statue für den schwarzen Bürgerrech­tler Martin Luther King vorstellen. Von Bürgerrech­tlern und Politikern, die infrage stellen, welcher Geschichte mit den Konföderie­rten-Denkmälern eigentlich gedacht werden soll, hält er aber nicht viel.

Zum Abschied drückt der Bürgermeis­ter vonHancevi­lle seinen Besuchern einen Anstecker in die Hand. „Eine positive und progressiv­e Gemeinde“steht darauf. Nicht weniger

„Wir dürfen unsere eigene Geschichte nicht vergessen.“ „Wir stehen an der Spitze des Widerstand­s gegen Trump.“

als das verspricht Woodfin für Birmingham. Doch beide meinen etwas gänzlich anderes damit.

Zwischen der Metropole und dem Dorf liegen nur ein paar Meilen, doch kulturell trennen Welten die beiden Amerikas. Nach einem Jahr Trump im Weißen Haus fühlt sich das Land so zerrissen an wie auf dem Höhepunkt der Vietnam- und Rassenunru­hen Ende der 1960er-Jahre. Schwarz gegen Weiß, Arm gegen Reich, Religiöse gegen Säkulare, Protektion­isten gegen Globalisie­rer, Nord gegen Süd – wie ein Bürgerkrie­g, in dem nicht geschossen wird. AUSSEN@SN.AT

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Thomas Spang berichtet für die SN aus den USA
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Randal Woodfin, Bürgermeis­ter von Birmingham
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Kenneth Nail, Bürgermeis­ter von Hanceville

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