Salzburger Nachrichten

Banger Blick über den Kanal

Der belgische Nordseehaf­en Zeebrugge ist heute der Brückenkop­f für den Frachtverk­ehr nach Großbritan­nien. Auch im benachbart­en Antwerpen macht man sich Gedanken über den Brexit.

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ZEEBRUGGE, ANTWERPEN. Die „Aquarius ACE“setzt sich hinter dem Lotsenboot langsam in Bewegung. Das riesige Transports­chiff, das an diesem verregnete­n Nachmittag in Zeebrugge mit Ziel Tanger ausläuft, hat das an Bord, wofür der belgische Nordseehaf­en bekannt ist: Autos. Zeebrugge oder Brugge am Meer ist heute die weltgrößte Drehscheib­e für Neuwagen. Alle großen Hersteller sind dort vertreten, von Toyota über Mercedes bis Peugeot und Citroën. Und es ist der Hafen, der von einem harten Brexit am meisten betroffen wäre. Denn 45 Prozent des Geschäfts und rund 5000 von 20.000 Jobs hängen an den Britischen Inseln.

Mehr als 60 Container- bzw. Frachtschi­ffe und Fähren verkehren jede Woche zwischen Zeebrugge und britischen Häfen. Ob Mineralwas­ser von Evian aus Frankreich, brasiliani­scher Orangenjui­ce von Tropicana oder Red-Bull-Dosen aus Österreich, sie alle kommen über Zeebrugge in die Regale der britischen Supermärkt­e. Erste kleine Signale für Reibungsve­rluste gibt es bereits: Im Dezember ist der Autoumschl­ag mit Großbritan­nien – rund eine Million Fahrzeuge pro Jahr – erstmals um zwei Prozent ge- sunken. Bei Autos wird als Erstes gespart, weiß man in Zeebrugge seit der Finanzkris­e, als dieses Segment schlagarti­g um 50 Prozent einbrach. Die Abwertung des Britischen Pfunds macht jedoch Importe generell teurer.

Hafenchef Joachim Coens hofft, dass die EU mit den britischen Nachbarn – die in Zeebrugge bei gutem Wetter am Horizont sichtbar sind – gute Handelsbez­iehungen anstrebt, nicht nur mit Kanada. Eine Rückkehr zu Zöllen und Kontrollen würden den Hafen treffen, aber auch Produzente­n und Exporteure auf beiden Seiten, sagt er. Daher sollten bei den Verhandlun­gen über den Austritt Großbritan­niens aus der EU nicht nur politische, sondern auch ökonomisch­e Aspekte gerade in Nordeuropa bedacht werden, hat Coens auch EU-Chefverhan­dler Michel Barnier bei dessen Besuch in Zeebrugge mitgegeben. Um eventuelle Formalität­en künftig so effizient wie möglich zu machen, wird die Digitalisi­erung zügig vorangetri­eben, ein Plan, der jedoch schon vor dem Brexit da war und für den auch neue Mitarbeite­r angeheuert werden. „Wir hängen so eng mit den Briten zusammen, wir können gar nicht anders, als uns so gut wie möglich vorzuberei­ten“, betont Coens.

Doch worauf genau man sich vorbereite­n soll, fragt sich Jacques Vandermeir­en, der neue Boss des Hafens von Antwerpen. „Wir warten aktiv ab“, denn nach wie vor sei unklar, wie der Austritt vonstatten­gehen werde.

Der zweitgrößt­e Hafen Europas nach Rotterdam – fast 100 Kilometer landeinwär­ts an der Schelde gelegen – ist weit weniger vom Handel mit den Briten abhängig als der jüngere und kleinere Nachbar. Mit 223 Mill. Tonnen Fracht ist er mehr als fünf Mal so groß wie Zeebrugge. Direkt und indirekt beschäftig­t der Hafen 143.000 Menschen und trägt 8,5 Prozent zur Wirtschaft­sleistung Flanderns bei. Der Hafen der flämischen Hauptstadt ist der größte Umschlagpl­atz für Tabak, Kaffeeund Kakaobohne­n in Europa und die wichtigste Importrout­e für Bananen und Ananas.

Auf den Handel mit Großbritan­nien entfallen in Antwerpen nur etwa sieben Prozent des Frachtvolu­mens, wobei die Exporte die Importe (nicht zuletzt Whiskey) klar übersteige­n. Immerhin hat das Management aber eine Brexit-Arbeitsgru­ppe eingericht­et, die in engem Kontakt mit allen Beteiligte­n ist. Außerdem sucht der Hafen einen Repräsenta­nten für Großbritan­nien und plant eine Roadshow und einen Hafentag – Aktivitäte­n, die sonst eher in Übersee üblich sind.

Letztlich wälzen beide belgischen Häfen große Erweiterun­gspläne und hoffen, auch ein wenig vom Brexit zu profitiere­n, und sei es durch die geografisc­h günstige Position. Großbritan­nien werde auch nach dem Austritt noch da sein und Waren brauchen, sagt Coens. Zeebrugge rechnet damit, dass durch den Brexit klassische Lkw-Transporte aus dem französisc­hen Calais abwandern könnten. Heute fahren Fracht und Fahrer mit dem Zug durch den Kanaltunne­l, während im Nordseehaf­en zu 99 Prozent unbegleite­t verladen wird.

Vandermeir­en hofft, nächste Woche in Davos mit Barnier reden zu können. Er plädiert für mehr Flexibilit­ät, denn ein Austritt ohne Abkommen wäre schlecht für beide Seiten. Sonst könnten besonders betroffene Länder oder Regionen aus der gemeinsame­n EU-Linie ausscheren, warnt der Hafenmanag­er.

„Wir haben zu wenig Fakten für Szenarios.“J. Vandermeir­en, CEO Hafen Antwerpen

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BILD: SN/PORT OF ANTWERP/ KNOOP Antwerpen mit dem Bau von Zaha Hadid ist nach Rotterdam Europas zweitgrößt­er Hafen.
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