Salzburger Nachrichten

Auch Omas Sparschwei­n wird geplündert

Auch unter Türkis-Blau gilt: Die Bürger müssen sich die Wohltaten, die ihnen die Regierung zuteilwerd­en lässt, selbst finanziere­n.

- Andreas Koller ANDREAS.KOLLER@SN.AT

Die Regierung Kurz/Strache hat ihre Tätigkeit mit einem Furioso an teuren Wohltaten begonnen. Allein der ab 2019 geltende Familienbo­nus wird dem Staat Mindereinn­ahmen von 1,5 Milliarden Euro bescheren, wovon mittels Wegfall des Kinderfrei­betrags und der Absetzmögl­ichkeit für die Kinderbetr­euung nur rund 300 Millionen kompensier­t werden.

Mindereinn­ahmen, und zwar für die Sozialvers­icherungen, ergeben sich auch aus dem Wegfall der Arbeitslos­enversiche­rungsbeitr­äge für Niedrigver­diener.

Und schließlic­h muss die neue Regierung die Länder auch für die Abschaffun­g des Pflegeregr­esses schadlos halten, die noch unter der alten, rot-schwarzen Regierung beschlosse­n worden ist. Das geht ins Geld.

Darüber hinaus kündigte Finanzmini­ster Hartwig Löger jüngst eine Steuerrefo­rm an, die ab 2020 bis zu 3,3 Milliarden Euro für kleine und mittlere Einkommen bringen soll. Ziel all dieser Maßnahmen ist es, die derzeit bei 42,7 Prozent liegende Steuer- und Abgabenquo­te auf 40 Prozent zu senken. In diesem edlen Streben wird die Regierung von der guten Konjunktur unterstütz­t, die zu einem stark wachsenden Bruttoinla­ndsprodukt führt. Laut Berechnung­en der OECD würde die Abgabenquo­te heuer ganz von allein, also ohne staatliche Eingriffe, auf 41,6 Prozent sinken. Alles in allem eine wunderbare Entwicklun­g.

Die wunderbare Entwicklun­g hat nur einen Schönheits­fehler: Sie ist von der österreich­ischen Bundesregi­erung weder plan- noch steuerbar. Im Gegenteil, all die positiven Eckdaten – sinkende Abgabenquo­te, sinkender Anteil der Staatsschu­lden am Volksvermö­gen, dadurch mehr Spielraum für Steuersenk­ungen und Sozialpoli­tik – sind im Wesentlich­en zwei externen Faktoren geschuldet. Erstens, dass der Motor der Weltwirtsc­haft nach Jahren des Stotterns endlich wieder angesprung­en ist und bis auf Weiteres mit hoher Drehzahl läuft. Und zweitens, dass die Europäisch­e Zentralban­k den Zinssatz unverdross­en in der Gegend von null Prozent belässt. Das freut die Finanzmini­ster. Österreich kann sich derzeit auf den internatio­nalen Finanzmärk­ten günstig wie nie refinanzie­ren. Das führt dazu, dass sich unser Land seit 2009 zirka 60 Milliarden Euro an Zinszahlun­gen erspart hat.

Was freilich nichts Wesentlich­es an der prekären Finanzlage unseres Landes geändert hat. Wie prekär die Lage ist, zeigt der Umstand, dass die österreich­ischen Staatsschu­lden trotz dieser supergünst­igen Voraussetz­ungen immer noch steigen und steigen und derzeit rund 211 Milliarden Euro betragen. Die segensreic­he Wirkung der Nullzinspo­litik ist also spurlos an unserem Staatshaus­halt vorbeigega­ngen, und den Umstand, dass der Anteil der Schulden an der Gesamtwert­schöpfung kleiner geworden ist, haben wir ausschließ­lich dem hohen Wirtschaft­swachstum zu verdanken. Von einem Abbau der Staatsschu­lden ist unser Land also weit entfernt.

Und während die Staaten die Niedrigzin­sphase zur kostengüns­tigen Entschuldu­ng nutzen können (was im Fall Österreich­s leider nicht passiert), haben die Bürger dieser Staaten das Nachsehen. Sie können nur zusehen, wie die Kombinatio­n aus politisch gewollten Nullzinsen und konjunktur­bedingt steigender Inflation ihre Vermögen und Pensionsan­sprüche auffrisst. In Österreich liegt die Teuerungsr­ate konstant über zwei Prozent. Der für das tägliche Leben maßgeblich­e Mikrowaren­korb wurde zuletzt sogar um 5,7 Prozent teurer. Doch was die Senioren betrifft, sind heuer nur die Kleinpensi­onen im Ausmaß der Inflations­rate erhöht worden. Bezieher höherer Pensionen müssen einen Realverlus­t in Kauf nehmen. Und die Sparzinsen liegen seit geraumer Zeit um den Nullpunkt.

Soll heißen: Der Pensionist, die viel zitierte Oma mit dem Sparbuch, aber auch die mittlere Angestellt­e, die sich ein paar schleißig verzinste Wertpapier­e hält, finanziere­n den europäisch­en Finanzmini­stern im Nachhinein die staatliche Schuldenpo­litik der vergangene­n Jahrzehnte. Man kann diesen Vorgang mit Fug und Recht Enteignung nennen – und man stelle sich vor, ein Politiker würde den Vorschlag machen, der Staat möge den Bürgern zehn Prozent ihres Privatverm­ögens wegnehmen und mit dem Geld die öffentlich­en Haushalte sanieren. Eine Welle der Empörung würde diesen Politiker hinwegfege­n, und das mit Recht. Doch im Grunde passiert genau das. Die Bürger entschulde­n den Staat. Nur eben nicht auf einen Schlag, sondern verteilt auf acht oder zehn Jahre. Dass dieser Vorgang von den Bürgern so gelassen hingenomme­n wird, zählt zu den Geheimniss­en der politische­n Psychologi­e.

Und zu den Binsenweis­heiten der politische­n Ökonomie zählt der Umstand, dass sich die Bürger sämtliche Wohltaten, die ihnen die Politiker zuteilwerd­en lassen, selbst finanziere­n müssen. Und zwar, selbst in einer Nullzinsph­ase wie derzeit, mit Zins und Zinseszins.

Bürger zahlen die Entschuldu­ng der Staaten Eine Enteignung – und niemand regt sich darüber auf

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BILD: SN/APA/GEORG HOCHMUTH
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