Auch Omas Sparschwein wird geplündert
Auch unter Türkis-Blau gilt: Die Bürger müssen sich die Wohltaten, die ihnen die Regierung zuteilwerden lässt, selbst finanzieren.
Die Regierung Kurz/Strache hat ihre Tätigkeit mit einem Furioso an teuren Wohltaten begonnen. Allein der ab 2019 geltende Familienbonus wird dem Staat Mindereinnahmen von 1,5 Milliarden Euro bescheren, wovon mittels Wegfall des Kinderfreibetrags und der Absetzmöglichkeit für die Kinderbetreuung nur rund 300 Millionen kompensiert werden.
Mindereinnahmen, und zwar für die Sozialversicherungen, ergeben sich auch aus dem Wegfall der Arbeitslosenversicherungsbeiträge für Niedrigverdiener.
Und schließlich muss die neue Regierung die Länder auch für die Abschaffung des Pflegeregresses schadlos halten, die noch unter der alten, rot-schwarzen Regierung beschlossen worden ist. Das geht ins Geld.
Darüber hinaus kündigte Finanzminister Hartwig Löger jüngst eine Steuerreform an, die ab 2020 bis zu 3,3 Milliarden Euro für kleine und mittlere Einkommen bringen soll. Ziel all dieser Maßnahmen ist es, die derzeit bei 42,7 Prozent liegende Steuer- und Abgabenquote auf 40 Prozent zu senken. In diesem edlen Streben wird die Regierung von der guten Konjunktur unterstützt, die zu einem stark wachsenden Bruttoinlandsprodukt führt. Laut Berechnungen der OECD würde die Abgabenquote heuer ganz von allein, also ohne staatliche Eingriffe, auf 41,6 Prozent sinken. Alles in allem eine wunderbare Entwicklung.
Die wunderbare Entwicklung hat nur einen Schönheitsfehler: Sie ist von der österreichischen Bundesregierung weder plan- noch steuerbar. Im Gegenteil, all die positiven Eckdaten – sinkende Abgabenquote, sinkender Anteil der Staatsschulden am Volksvermögen, dadurch mehr Spielraum für Steuersenkungen und Sozialpolitik – sind im Wesentlichen zwei externen Faktoren geschuldet. Erstens, dass der Motor der Weltwirtschaft nach Jahren des Stotterns endlich wieder angesprungen ist und bis auf Weiteres mit hoher Drehzahl läuft. Und zweitens, dass die Europäische Zentralbank den Zinssatz unverdrossen in der Gegend von null Prozent belässt. Das freut die Finanzminister. Österreich kann sich derzeit auf den internationalen Finanzmärkten günstig wie nie refinanzieren. Das führt dazu, dass sich unser Land seit 2009 zirka 60 Milliarden Euro an Zinszahlungen erspart hat.
Was freilich nichts Wesentliches an der prekären Finanzlage unseres Landes geändert hat. Wie prekär die Lage ist, zeigt der Umstand, dass die österreichischen Staatsschulden trotz dieser supergünstigen Voraussetzungen immer noch steigen und steigen und derzeit rund 211 Milliarden Euro betragen. Die segensreiche Wirkung der Nullzinspolitik ist also spurlos an unserem Staatshaushalt vorbeigegangen, und den Umstand, dass der Anteil der Schulden an der Gesamtwertschöpfung kleiner geworden ist, haben wir ausschließlich dem hohen Wirtschaftswachstum zu verdanken. Von einem Abbau der Staatsschulden ist unser Land also weit entfernt.
Und während die Staaten die Niedrigzinsphase zur kostengünstigen Entschuldung nutzen können (was im Fall Österreichs leider nicht passiert), haben die Bürger dieser Staaten das Nachsehen. Sie können nur zusehen, wie die Kombination aus politisch gewollten Nullzinsen und konjunkturbedingt steigender Inflation ihre Vermögen und Pensionsansprüche auffrisst. In Österreich liegt die Teuerungsrate konstant über zwei Prozent. Der für das tägliche Leben maßgebliche Mikrowarenkorb wurde zuletzt sogar um 5,7 Prozent teurer. Doch was die Senioren betrifft, sind heuer nur die Kleinpensionen im Ausmaß der Inflationsrate erhöht worden. Bezieher höherer Pensionen müssen einen Realverlust in Kauf nehmen. Und die Sparzinsen liegen seit geraumer Zeit um den Nullpunkt.
Soll heißen: Der Pensionist, die viel zitierte Oma mit dem Sparbuch, aber auch die mittlere Angestellte, die sich ein paar schleißig verzinste Wertpapiere hält, finanzieren den europäischen Finanzministern im Nachhinein die staatliche Schuldenpolitik der vergangenen Jahrzehnte. Man kann diesen Vorgang mit Fug und Recht Enteignung nennen – und man stelle sich vor, ein Politiker würde den Vorschlag machen, der Staat möge den Bürgern zehn Prozent ihres Privatvermögens wegnehmen und mit dem Geld die öffentlichen Haushalte sanieren. Eine Welle der Empörung würde diesen Politiker hinwegfegen, und das mit Recht. Doch im Grunde passiert genau das. Die Bürger entschulden den Staat. Nur eben nicht auf einen Schlag, sondern verteilt auf acht oder zehn Jahre. Dass dieser Vorgang von den Bürgern so gelassen hingenommen wird, zählt zu den Geheimnissen der politischen Psychologie.
Und zu den Binsenweisheiten der politischen Ökonomie zählt der Umstand, dass sich die Bürger sämtliche Wohltaten, die ihnen die Politiker zuteilwerden lassen, selbst finanzieren müssen. Und zwar, selbst in einer Nullzinsphase wie derzeit, mit Zins und Zinseszins.
Bürger zahlen die Entschuldung der Staaten Eine Enteignung – und niemand regt sich darüber auf