Türkische Armee rückt in Syrien ein
Die USA und Russland gestatten der türkischen Armee den Einmarsch in die syrische Region Afrin. Die Operation „Olivenzweig“schafft zusätzliches Konfliktpotenzial.
Die vom Bürgerkrieg bisher verschonte Kurdenregion Afrin im äußersten Nordwesten Syriens ist für ihre herrlichen Olivenhaine und ihr fantastisches Olivenöl im gesamten Nahen Osten bekannt. Wohl deshalb gab die türkische Armeeführung ihrer am Wochenende gestarteten Armeeoffensive den zynischen Codenamen „Operation ,Olivenzweig‘“.
„Schritt für Schritt“, verkündete der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdoğan am Wochenende vollmundig, werde man den „Terror-Korridor“, den die syrisch-kurdischen Volksverteidigungsmilizen (YPG) an der türkischen Grenze errichtet hätten, zerstören und erst an der Grenze zum Irak haltmachen.
Das sind fast 600 Kilometer, von denen knapp 400 Kilometer von der YPG kontrolliert werden. Eine Übernahme dieses „Korridors“durch die türkische Armee ist allenfalls im schmalen Afrin möglich. Die gleichnamige Kurdenregion hat nicht die gleiche strategische Bedeutung wie die weiter östlich liegenden Regionen Kobane und Cizre, wo sich neben großen Öl- und Gasfeldern und dem fruchtbaren Ackerland in der Euphrat-Ebene auch mehrere Stützpunkte der USArmee Michael Wrase berichtet für die SN über Syrien befinden. Diese sollen in absehbarer Zeit nicht aufgegeben werden. Gemeinsam mit der YPG, betonte US-Außenminister Rex Tillerson erst vergangene Woche, werde man auch in Zukunft dafür sorgen, dass die Terrormiliz „Islamischer Staat“die türkisch-syrische Grenze nicht überschreite – was diese mit der Duldung Ankaras mindestens drei Jahre lang getan hatte. Im Kanton Afrin sind dagegen keine US-Truppen stationiert. Ein militärisches Engagement sei daher nicht möglich, erklärte ein amerikanischer Militärsprecher, der die türkische Armee jedoch ausdrücklich ermahnte, sich bei ihren militärischen Anstrengungen auf den IS zu beschränken.
Im Gegensatz zur US-Armee hat Russland in Afrin rund 100 Militärpolizisten stationiert. Sie galten als Hindernis für einen Einmarsch der türkischen Armee, weshalb der türkische Generalstabschef Hulusi Akar und Geheimdienstchef Hakan Fidan am Donnerstag nach Moskau gereist waren, um einen Abzug der Militärpolizisten zu erwirken. Dieser erfolgte am Samstagvormittag, wenige Stunden vor dem Beginn der Operation „Olivenzweig“.
Dass nahezu zeitgleich, etwa 100 Kilometer weiter südlich, syrische Regierungstruppen die bis dahin von Kaida-nahen Rebellen gehaltene Militärbasis Abu Duhur zurückeroberten, war ebenfalls kein Zufall. Der Vorstoß, da sind sich Landeskenner sicher, erfolgte nach Absprache zwischen Türken und Russen, für die ein riesiger Luftwaffenstützpunkt im Norden Syriens einen weitaus größeren strategischen Wert hat als die pittoresken Olivenhaine von Afrin.
Verlierer im geostrategischen Schachspiel im Norden Syriens sind wieder einmal die Kurden, deren Autonomiebestrebungen nicht nur im Nahen Osten, sondern auch bei den Supermächten auf Skepsis oder Ablehnung stoßen. Diese bittere Erfahrung hatten die Barzani-Kurden im Irak erst vor drei Monaten gemacht. Die YPG-Kurden können sich damit trösten, den größten Teil ihres Autonomiegebiets vorerst für sich behalten zu können – zumindest so lange, wie dort US-Truppen stationiert sind.
Ein Spaziergang, das zeichnete sich bereits am Sonntag ab, wird die Operation „Olivenzweig“für die türkische Armee auch in Afrin nicht. Mit dem Vorstoß wird neues Konfliktpotenzial geschaffen. Vieles deutet darauf hin, dass die Türkei in der Region erneut mit gezinkten Karten spielt. So setzt der türkische Generalstab bei seinen Militäroperationen gegen die Kurden auch Milizionäre der sogenannten Freien Syrischen Armee ein. Sie sollen die türkischen Bodentruppen entlasten. Dass es sich bei diesen Milizionären überwiegend um radikale Islamisten handelt, wird verschwiegen. Auch ehemalige IS-Kämpfer wurden angeworben. Solange sie die türkisch-syrische Grenze kontrolliert hatten, sah man in Ankara keinen militärischen Handlungsbedarf im Norden Syriens.