Eurovision wird zum Klang-Contest
Welche Ideen gibt es für Europa abseits von Euro und Grenzkontrolle? Dazu hat eine außergewöhnliche Suche begonnen.
Der Wettbewerb „Eurovisionen“mit Ideen zu einem künftigen Europa wurde am Wochenende eröffnet. Dabei geht die Suche weit über Euro, Schulden und Grenzkontrolle hinaus.
Der erste Durchgang – ein ungewöhnliches Konzert – war dem „Lob der Torheit“gewidmet und basierte auf dem so betitelten Text des Erasmus von Rotterdam. Darin versteckt sich dieser Theologe hinter der Narrheit als Erzählerin und übt in ihrem ironischen Selbstlob allerlei bittere Kritik an Fürsten und Kirchenmännern, an Kriegstreibern und falschen Moralaposteln. Drei Schauspieler machten Erasmus zum Zeitgenossen und erweckten dessen Texte zum Leben: Regina Fritsch gab eine etwas schrille „Torheit“, Karl Markovics las aus Briefen des Erasmus und Markus Hering agierte als Erzähler sowie als Stimme von Zeitgenossen wie Martin Luther und Niccolò Machiavelli.
In chronologischer Abfolge porträtierten die Texte einen Denker, der dem Humanismus „den Weg in die Sprache gewiesen“hat, wie Stefan Zweig es formuliert hat, und dabei den Königsweg der harschen Diagnose, den Humor, längst beherrschte. Musikalisch angeleitet wurde das Unterfangen von Savalls Ensembles Hespèrion XXI und La Capella Reial de Catalunya, eine Gruppe unerschütterlicher Spezialisten alter Instrumente und Vokaltechniken, die zwischen und während der Lesungen in einen trancehaft ununterbrochenen, stets exquisiten Parforceritt durch europäische Musik des späten 15. und des frühen 16. Jahrhunderts verfielen – von Josquin Desprez bis Carlo Gesualdo, von Heinrich Isaac bis zu Erasmus’ Totenklage von Benedictus Appenzeller, zudem osmanische Volkslieder, sephardische Klagen und christliche Choräle.
Dieses Konzert eröffnete am Samstagabend im Wiener Konzerthaus das Festival „Resonanzen“, das sich heuer unter dem Schlagwort „Eurovisionen“der Suche nach Vorstellungen und Idealen über Europa verschrieben hat. Dabei folgen die Programmmacher einer Metapher, die der französische Schriftsteller Mathias Énard im März 2017 erläutert hat: „Es scheint so, als hätten die politischen Kommentatoren dieser Tage vergessen, wer Europa war. Und was Europa bedeutet. Europa war eine libanesische Prinzessin, die an einem Strand bei Sidon von einem Gott des Nordens entführt wurde, der sie begehrte: Zeus. Europa, Tochter König Agenors, hat nie einen Fuß auf unsere Landstriche gesetzt; Europa hat ihr Leben im südöstlichen Mittelmeerraum zwischen Phönizien und Kreta verbracht. Europa ist eine illegale Einwanderin, eine Ausländerin, eine Kriegsbeute. Ihre Geschichte ist eine Mittelmeergeschichte, eine Geschichte von Begehren und Eroberung.“
Am Sonntagabend fächerte Paul Van Nevel mit seinem zwölfköpfigen Huelgas Ensemble die europäische Geschichte der Mehrstimmigkeit auf. Für morgen, Dienstag, ist die Weltpremiere von „Eurowinds“angekündigt – unter diesem Namen treten erstmals drei Koryphäen der Blockflöte miteinander auf: Dorothee Oberlinger, Maurice Steger und Michael Oman.
Das Ensembles Melpomen mit Arianna Savall wird am Mittwoch die Zuhörer an die „Wiege Europas“im antiken Griechenland führen. Tags darauf wird das Ensemble Tasto solo, geleitet von Guillermo Pérez, den Kulturtransfer in einer frühen europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, der Hanse, musikalisch erörtern.