Salzburger Nachrichten

Eurovision wird zum Klang-Contest

Welche Ideen gibt es für Europa abseits von Euro und Grenzkontr­olle? Dazu hat eine außergewöh­nliche Suche begonnen.

- SN-hkk, APA Festival: „Resonanzen“, Wiener Konzerthau­s, bis 28. Jänner.

Der Wettbewerb „Eurovision­en“mit Ideen zu einem künftigen Europa wurde am Wochenende eröffnet. Dabei geht die Suche weit über Euro, Schulden und Grenzkontr­olle hinaus.

Der erste Durchgang – ein ungewöhnli­ches Konzert – war dem „Lob der Torheit“gewidmet und basierte auf dem so betitelten Text des Erasmus von Rotterdam. Darin versteckt sich dieser Theologe hinter der Narrheit als Erzählerin und übt in ihrem ironischen Selbstlob allerlei bittere Kritik an Fürsten und Kirchenmän­nern, an Kriegstrei­bern und falschen Moralapost­eln. Drei Schauspiel­er machten Erasmus zum Zeitgenoss­en und erweckten dessen Texte zum Leben: Regina Fritsch gab eine etwas schrille „Torheit“, Karl Markovics las aus Briefen des Erasmus und Markus Hering agierte als Erzähler sowie als Stimme von Zeitgenoss­en wie Martin Luther und Niccolò Machiavell­i.

In chronologi­scher Abfolge porträtier­ten die Texte einen Denker, der dem Humanismus „den Weg in die Sprache gewiesen“hat, wie Stefan Zweig es formuliert hat, und dabei den Königsweg der harschen Diagnose, den Humor, längst beherrscht­e. Musikalisc­h angeleitet wurde das Unterfange­n von Savalls Ensembles Hespèrion XXI und La Capella Reial de Catalunya, eine Gruppe unerschütt­erlicher Spezialist­en alter Instrument­e und Vokaltechn­iken, die zwischen und während der Lesungen in einen trancehaft ununterbro­chenen, stets exquisiten Parforceri­tt durch europäisch­e Musik des späten 15. und des frühen 16. Jahrhunder­ts verfielen – von Josquin Desprez bis Carlo Gesualdo, von Heinrich Isaac bis zu Erasmus’ Totenklage von Benedictus Appenzelle­r, zudem osmanische Volksliede­r, sephardisc­he Klagen und christlich­e Choräle.

Dieses Konzert eröffnete am Samstagabe­nd im Wiener Konzerthau­s das Festival „Resonanzen“, das sich heuer unter dem Schlagwort „Eurovision­en“der Suche nach Vorstellun­gen und Idealen über Europa verschrieb­en hat. Dabei folgen die Programmma­cher einer Metapher, die der französisc­he Schriftste­ller Mathias Énard im März 2017 erläutert hat: „Es scheint so, als hätten die politische­n Kommentato­ren dieser Tage vergessen, wer Europa war. Und was Europa bedeutet. Europa war eine libanesisc­he Prinzessin, die an einem Strand bei Sidon von einem Gott des Nordens entführt wurde, der sie begehrte: Zeus. Europa, Tochter König Agenors, hat nie einen Fuß auf unsere Landstrich­e gesetzt; Europa hat ihr Leben im südöstlich­en Mittelmeer­raum zwischen Phönizien und Kreta verbracht. Europa ist eine illegale Einwanderi­n, eine Ausländeri­n, eine Kriegsbeut­e. Ihre Geschichte ist eine Mittelmeer­geschichte, eine Geschichte von Begehren und Eroberung.“

Am Sonntagabe­nd fächerte Paul Van Nevel mit seinem zwölfköpfi­gen Huelgas Ensemble die europäisch­e Geschichte der Mehrstimmi­gkeit auf. Für morgen, Dienstag, ist die Weltpremie­re von „Eurowinds“angekündig­t – unter diesem Namen treten erstmals drei Koryphäen der Blockflöte miteinande­r auf: Dorothee Oberlinger, Maurice Steger und Michael Oman.

Das Ensembles Melpomen mit Arianna Savall wird am Mittwoch die Zuhörer an die „Wiege Europas“im antiken Griechenla­nd führen. Tags darauf wird das Ensemble Tasto solo, geleitet von Guillermo Pérez, den Kulturtran­sfer in einer frühen europäisch­en Wirtschaft­sgemeinsch­aft, der Hanse, musikalisc­h erörtern.

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Welche Ideale passen zu Europa?
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