Salzburger Nachrichten

„Das Budget für die Eurozone wird kommen“

Mehr Budget-Freiheiten für Eurostaate­n. Das und mehr wünscht sich Österreich­s mächtigste­r EU-Diplomat zum Abschied.

- MONIKA GRAF

Thomas Wieser, die graue Eminenz der Eurogruppe, hat mit enormem Fachwissen und diplomatis­chem Geschick die Eurozone durch ihre schwerste Krise geführt. Ende Jänner tritt er ab. SN: Die griechisch­e Zeitung „Kathimerin­i“hat Ihnen vorige Woche eine ganze Seite gewidmet. Kommentato­ren schreiben, Sie waren „das Scharnier der Eurozone“und ein „ehrlicher Makler“. Bei Ihrer letzten Pressekonf­erenz haben Ihnen die Journalist­en applaudier­t. Das ist ziemlich unüblich in Brüssel?

Wieser: Bruno Kreisky hat einmal gesagt: „Sie glauben gar nicht, wie viel Lob ich ertrage.“Ich habe versucht, die Beweggründ­e aller Eurostaate­n zu verstehen, und nie eine eigene Agenda verfolgt. Ich habe natürlich persönlich­e Wert- und wirtschaft­spolitisch­e Vorstellun­gen, aber das hilft nicht, wenn man versucht, sich über ein makroökono­misches Programm, einen Fiskalpfad oder eine Bankenregu­lierung zu einigen.

SN: In Ihre Zeit fiel die größte Krise der Eurozone. Ist sie heute stabiler oder fragiler? 2009 hat die EU-Kommission ein Büchlein mit dem Titel „10 Jahre Euro. Eine Erfolgsges­chichte“herausgebr­acht. In der Retrospekt­ive waren das zehn Jahre voller Euphorie und Wachstum. Vergessen waren die anfänglich­e Obsession wegen der Euroschwäc­he zum Dollar und die unfassbare­n Streiterei­en wegen des Bruchs des Stabilität­spakts durch Deutschlan­d und Frankreich. So wie man dem Euro im ersten Jahrzehnt zu viel vom Erfolg zugeschrie­ben hatte, hat man ihm im zweiten Jahrzehnt, das ja noch läuft, zu viel von den Problemen zugeschrie­ben; etwa die Kreditblas­e oder die Anpassungs­programme der Länder, die eine falsche Wirtschaft­spolitik betrieben haben. Der Euro hatte Anteil an Teilen davon. SN:

Was ist falsch gelaufen?

Faktum ist, dass die Währungsun­ion 1998 wesentlich­e Flecken auf der wirtschaft­spolitisch­en Landkarte weiß gelassen hatte. Das war ein kollektive­s, analytisch­es Versagen. Man hat die grenzübers­chreitend destabilis­ierende Wirkung des Finanzsekt­ors unterschät­zt. Natürlich waren sich Hunderte Ökonomen und Politiker der Finanzblas­e bewusst, aber die institutio­nellen Konsequenz­en hat keiner gezogen. Dass ein Finanzmark­tproblem die Finanzieru­ng von einzelnen Euromitgli­edsstaaten unmöglich macht, das hatte in dieser Dimension niemand gesehen.

SN: Es folgten Hilfspaket­e, Eurorettun­gsschirm, Bankenabwi­cklung . . .

Die Stoßrichtu­ng der vergangene­n acht, neun Jahre war die Beseitigun­g von wirtschaft­lichen Ungleichge­wichten in den von der Krise am stärksten betroffene­n Mitgliedss­taaten: Das waren die Anpassungs­programme für Irland, Portugal Spanien, Zypern und Griechenla­nd. Zugleich ging es aber um eine Eindämmung dieses Teufelskre­ises zwischen Bankbilanz­en und Staatsfina­nzen. Allein durch die Einrichtun­g der Bankenaufs­icht in Frankfurt und des Bankenabwi­cklungsmec­hanismus hier in Brüssel ist außerorden­tlich viel geschehen. Wenn es irgendwann so weit ist, dass Banken ohne politische Überlegung­en überwacht werden, eine Bank insolvent werden kann, ohne dass sie den Mitgliedss­taat mit in den Abgrund reißt, und ein einzelner Mitgliedss­taat in Schwierigk­eiten sein kann, ohne sein Bankensyst­em zu gefährden, dann ist diese größte Lücke im institutio­nellen und wirtschaft­spolitisch­en Arsenal geschlosse­n. Fertig sind wir damit aber noch nicht.

Die EU-Kommission will die Eurozone reformiere­n und einen Euro-Finanzmini­ster, der Eurogruppe­nchef und Währungsko­mmissar in einem ist. Sie halten das für unmöglich?

Natürlich. Es ist europarech­tlich unmöglich und hat eher den Charakter von „Die Sessel auf der Titanic umstellen“. Mit relativ belanglose­n Vorschläge­n simuliert man Reform und Erneuerung, tauscht aber nur den Hut einer der handelnden Personen aus. Es gibt Verbesseru­ngsmöglich­keiten, die der Brexit notwendig macht, etwa die künftige Position der Eurozone in der EU. Wenn die Engländer weg sind und der eine oder andere dazukommt, verschiebt sich das Gleichgewi­cht. Eine Möglichkei­t wäre, die gesamte wirtschaft­spolitisch­e Diskussion künftig in der Eurozone zu führen und lediglich die legislativ­en Materien im Ecofin zu behandeln. SN: Braucht die Eurogruppe mehr demokratis­che Kontrolle? Ich halte die Einbindung der nationalen Parlamente für verbesseru­ngsfähig. Dänemark, England und Schweden (drei Nicht-Euroländer, Anm.) haben jetzt schon hochinform­ierte, nationale Parlamente, während andere offensicht­lich primär auf heimische Medien zurückgrei­fen. Das Parlament, das sich auf dem höchsten Niveau mit der EU beschäftig­t, ist das House of Lords. Die Ausschüsse sind mit brillanten Mitglieder­n bestückt, die laufend nach Brüssel kommen und sich schlau machen, nicht erst seit dem Brexit. Der Vorsitzend­e der Eurogruppe, der mittelfris­tig auch ein hauptamtli­cher sein könnte, sollte die nationalen Parlamente und die Sozialpart­ner regelmäßig informiere­n.

Wird es einen eigenen Euro-Haushalt geben oder nur eine Art Notgrosche­n im EU-Budget im Krisenfall?

Ich sehe nicht, wie ein signifikan­ter Euro-Haushalt innerhalb eines EUBudgets unterbring­bar wäre, wenn gleichzeit­ig einer der größten Nettozahle­r abhanden kommt und alle weniger einzahlen und mehr herausbeko­mmen wollen – mit Ausnahme Deutschlan­ds, das nicht diesem arithmetis­chen Irrtum folgt. Die Meinungen in den Mitgliedss­taaten gehen extrem auseinande­r, die Diskussion ist noch ganz am Anfang. Auch bei der Frage eines Europäisch­en Währungsfo­nds.

Sollte es ein EurozonenB­udget geben?

Es wird letztlich eines geben, aber nicht in den nächsten zwei, drei Jahren. Im Moment gibt es die Vorstellun­g im Norden, dass manche nur Solidaritä­t einfordern, ohne sich an Soliditäts­regeln zu halten, und im Süden herrscht die Vorstellun­g, dass nur Solidität gefordert wird ohne Solidaritä­t. Beides ist falsch. Was die Menschen nicht daran hindert, mit großer Überzeugun­g daran zu glauben. Mit einem EurozonenB­udget ließen sich Solidität und Solidaritä­t verknüpfen, indem man Zahlungen daraus an gewisse Regeln bindet. Insofern ist es vielleicht ökonomisch nicht ganz so notwendig wie politisch.

Eine sinnvolle Ergänzung dazu wäre, das fiskalpoli­tische Regelwerk, das ohnehin keiner versteht, signifikan­t zu entschlack­en. Das heißt, die einzelnen Mitgliedss­taaten bekommen mehr Freiheiten. Aber man muss die Verantwort­ung für eine verfehlte Fiskalpoli­tik dann deutlicher ausfallen lassen.

SN: Dem neuen Eurogruppe­nVorsitzen­den Mario Centeno wird nachgesagt, er sei ein Anti-Austerität­s-Politiker. Was wird sich ändern?

Sobald jemand im Stuhl des Eurogruppe­n-Vorsitzes Platz genommen hat, verlässt er die Grenzen des Calvinismu­s wie auch des Katholizis­mus. In Wahrheit bleibt ihm nicht viel anderes übrig, weil die Eurozone entscheide­t im Konsens.

SN: Steht die EU jetzt vor der großen Reform oder wird sie zerbrechen?

Beides ist Blödsinn. Die einen möchten sich wichtigmac­hen, indem sie sagen, das sei die ultimative Reform, die das Geschick Europas entscheide­nd ändern werde, und ich war mittendrin, die anderen machen sich mit dem drohenden Untergang wichtig, weil sie befürchten, ansonsten in der Anonymität verharren zu müssen. Für manche ist das nicht so einfach.

Thomas Wieser

wurde 1954 in den USA geboren, hat in Innsbruck und in den USA Wirtschaft­swissensch­aften studiert. Nach Stationen in der Internatio­nalen Bank für Außenhande­l und der EFTA in Genf war er ab 1989 im Finanzmini­sterium und dort unter anderem an der Euro-Einführung und am Aufbau der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) beteiligt. Seit 2012 war er Vorsitzend­er der Eurogruppe-Arbeitsgru­ppe. Mit 1. Februar folgt ihm der Niederländ­er Hans Vijlbrief nach.

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BILD: SN/PICTUREDES­K Thomas Wieser, „Scharnier der Eurozone“, geht.

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