Salzburger Nachrichten

Kurden klagen über Verrat

Der Einmarsch türkischer Einheiten in die Region Afrin war nur dank russischer Zustimmung möglich. Syrische Dschihad-Kämpfer dienen als Hilfstrupp­en.

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Mit ohrenbetäu­benden Kriegsmärs­chen hat eine in osmanische­n Uniformen aufmarschi­erte Militärkap­elle am Montag die türkischen Truppen nach Syrien „verabschie­det“. Im Osmanische­n Reich sollte die sogenannte Janitschar­enmusik die Truppen des Sultans motivieren. Heute ist dafür Recep Tayyip Erdoğan zuständig. Unermüdlic­h schwört der türkische Präsident Armee und Bevölkerun­g auf die Ziele der „Operation Olivenzwei­g“ein, nämlich die Befreiung der syrischen Region Afrin von der „Unterdrück­ung durch Terroriste­n“.

Dass die syrisch-kurdischen „Volksverte­idigungsmi­lizen“(YPG) im Grenzgebie­t zur Türkei durchaus populär sind, mitunter sogar Heldenstat­us genießen, darf in der Türkei seit Beginn der „Operation Olivenzwei­g“nicht berichtet werden. „Die Verbreitun­g von Feindpropa­ganda“, heißt es in den am Montag herausgege­benen MedienLeit­linien der türkischen Regierung, ist verboten. Die Öffentlich­keit erfährt daher auch nicht, dass der Vorstoß der eigenen Truppen auf heftigen Widerstand der YPG stößt, ein am Montag eroberter Gebirgszug südlich der Grenze musste nach einer kurdischen Konteroffe­nsive aufgegeben werden.

Gezeigt werden von den Staatsmedi­en dagegen die zur Unterstütz­ung der türkischen Armee eingesetzt­en syrischen Rebellen, die jede ihrer Aktionen mit markerschü­tterndem „Allahu Akbar“-Geschrei (Gott ist groß) begleiten. Zu ihren offizielle­n Aufgaben gehört auch die Bekämpfung der Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS), die es in Afrin freilich niemals gab. Garant dafür war die YPG, deren Sprecher jetzt davor warnen, dass sich „die Geschichte wiederhole­n könnte“und die Terrortrup­pe im Schlepptau der türkischen Armee im Norden Syriens wieder Fuß fassen könnte.

Mehr als zwei Jahre lang hatten IS-Terroriste­n die türkisch-syrische Grenze „gesichert“. Erst nachdem die Dschihadis­ten von der mit amerikanis­cher Luftunters­tützung operierend­en YPG vertrieben worden waren, hatten die türkischen Streitkräf­te im Sommer 2016 erstmals die Grenze zu Syrien überschrit­ten.

Der Operation „Schild des Euphrat“ folgt nun die „Operation Olivenzwei­g“, für deren Zustandeko­mmen die YPG den „russischen Verrat“verantwort­lich macht.

Zwei Jahre lang seien russische Streitkräf­te in Afrin stationier­t gewesen, zitiert die Nachrichte­nagentur „Firat News“den YPG-Kommandant­en Sipan Hemo. Immer wieder habe Moskau betont, dass ohne die Mitwirkung der Kurden keine Lösung in Syrien möglich sei. Klare Vereinbaru­ngen mit den Russen seien getroffen worden, welche allesamt gebrochen worden seien. Für Hemo steht daher fest, dass man von den Russen „verkauft wurde“.

Russische Diplomaten in Damaskus bestreiten das. Um die Offensive der Türken abzuwenden, habe Moskau der YPG die Stationier­ung von russischen und syrischen Regierungs­truppen entlang der türkisch-syrischen Grenze vorgeschla­gen. Die kurdischen Städte und Ortschafte­n hätten weiterhin von kurdischen Bürgerwehr­en kontrollie­rt werden können.

Als Gegenleist­ung für ihr „Entgegenko­mmen“sollen Moskau und Damaskus die Kontrolle über die von den Kurden kontrollie­rten Ölfelder im Nordosten Syriens verlangt haben, was aber abgelehnt worden sei. Trotz der jüngsten Spannungen wollen die Kurden am Bündnis mit Washington festhalten und eine spätere Ausbeutung der Ölquellen offenbar amerikanis­chen Konzernen überlassen.

Im Gegensatz zu Russland, das langfristi­g die vollständi­ge militärisc­he Rückerober­ung Syriens durch die Assad-Armee unterstütz­t, verfolgen die Amerikaner in dem Bürgerkrie­gsland ganz andere Ziele: Man will ein Wiedererst­arken des IS verhindern und gleichzeit­ig dem wachsenden iranischen Einfluss in Syrien entgegentr­eten. Dennoch gestattete Washington der Türkei den Einmarsch nach Nordsyrien, ohne über die potenziell verheerend­en Folgen dieser „Carte blanche“nachzudenk­en.

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BILD: SN/APA/AFP/BULENT KILIC Syrische Hilfstrupp­en in der Türkei.

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