Der Tempel des kulturellen Gedächtnisses feiert Geburtstag
650 Jahre reicht die Geschichte der Österreichischen Nationalbibliothek zurück. Den Beginn markiert eine Prachthandschrift.
Das sehe man „nur ein Mal im Leben“, kündigte Johanna Rachinger strahlend an. Und die Generaldirektorin der Österreichischen Nationalbibliothek (ÖNB) wird wohl recht haben. Zur Feier des 650. Geburtstags der Institution hat man Exponate aus den Safes geholt, die erstmals in dieser Fülle der Öffentlichkeit zugänglich sind. Im Prunksaal wird in mehreren Kapiteln die lange Geschichte des Hauses mit rund 170 Objekten wie Prachthandschriften, Frühdrucken und Musiknoten, Fotos und Aquarellen, Papyri und Landkarten illustriert.
Manche Sachen gehören zum UNESCO-Weltdokumentenerbe, die empfindlichsten Schätze werden jeweils für kurze Zeit als „Objekt des Monats“präsentiert. Dazu zählt auch das Autograf von Mozarts „Requiem“oder eine Gutenberg-Bibel und die antike Straßenkarte Tabula Peutingeriana.
Den Beginn macht quasi der Grundstein der Nationalbibliothek. Es ist das Evangeliar des Johannes von Troppau – der Faksimile-Doppelgänger ist das ganze Jahr über zu sehen –, in Gold geschrieben und mit aufwendigen Initialen sowie einem Prachteinband versehen. Im Auftrag von Herzog Albrecht III. von Österreich geschaffen, gilt das 1368 vollendete Buch als Gründungscodex der ÖNB. Zu sehen sind auch die Goldene Bulle und die Wenzelsbibel.
Bereits im Jahr 1576 gab es einen ersten Registerband der Bibliothek mit 7379 Signaturen, ein arabisches Koranfragment gehörte ebenso zur Sammlung wie hebräische Schriften. Ein großer Fischzug gelang dem Kaiserhaus mit dem „Schnäppchen“von 15.000 Bänden, die 1655 der verschuldeten Fugger-Familie abgekauft wurden. 1722 wurde dann im großen Stil gedacht: Nach Plänen des Hofarchitekten Johann Bernhard Fischer von Erlach ließ Kaiser Karl VI. am heutigen Josefsplatz die Hofbibliothek errichten, und wer heute im Prunksaal steht, kann sich der Magie des Raums nicht entziehen. Im Mitteloval ist die Bibliothek von Prinz Eugen aufgetürmt. Der Saal ist ein Gesamtkunstwerk und ein Leuchtturm der Aufklärung: Erstmals gab es Öffnungszeiten und eine Bibliotheksordnung, der Raum diente der „allgemeinen Nutzung“, nur „Unwissende, Diener, Faule, Schwätzer und Herumspazierer“sollten fernbleiben. Präfekt Gerard van Swieten sorgte ab 1745 für die Entstehung eines insgesamt 300.000 Zettel umfassenden Katalogs. Kaiser Franz I. ließ sich ab 1806 von Künstlern allein rund 1300 Pflanzenbilder herstellen. Die rund 10.000 Exemplare umfassende Papyrus-Sammlung kam 1899 als Geschenk Erzherzog Rainers in die Nationalbibliothek. Diese verwahrt auch Musikerhandschriften von Anton Bruckner oder Gustav Mahler. Nicht verschwiegen wird der Raubzug an jüdischem Eigentum nach dem „Anschluss“, allerdings wurden die Bücher mittlerweile vorbildhaft restituiert. Dass die Nationalbibliothek auch im Bereich der Digitalisierung Pionierarbeit leistet, sei ebenfalls erwähnt. Es tut sich etwas im Haus. Das Motto der Ausstellung lautet nicht umsonst: „Unsere Geschichte lebt.“