Gruseln und Langeweile gehören schon immer zusammen
Früher vertrieben wir uns verregnete Ferientage mit gruseligen Filmen. Heute genügt ein Blick ins Internet.
Pssst! Fühlen Sie sich auch manchmal beobachtet, wenn Sie im Internet surfen? Ein Kollege schilderte in der vergangenen SN-Wochenendausgabe einen Vorfall, der Unbehagen bei ihm ausgelöst hat: Er saß am Laptop, seine Frau massierte ihm den Nacken, sie unterhielten sich. Plötzlich poppte eine Werbung auf, die ein unförmiges Ding anbot, das Verspannungen im Nacken lösen sollte. Seither stehe die Frage im Raum: Benutzt ein übermächtiges Werbenetzwerk auch die Kamera und das Mikrofon des Laptops, um uns nachzustellen? Gruseln macht sich breit. Erst vor wenigen Tagen gab es Aufregung um ein US-Start-up mit Namen Alphonso. Das Unternehmen bietet Entwicklern ein Softwaremodul an, das auf das Mikrofon des Smartphones zugreift und die Umgebung abhört. Dann wird ausgewertet, welche Fernsehsendung der arglose Handybesitzer schaut und welchen Radiosender er hört. Diese Informationen nutzt Alphonso, um zielgerichtete Werbung am Handy des Belauschten abzuspielen. Das Gruseln wird zur Empörung. Dabei ist Alphonso nur ein kleines Mosaiksteinchen im Bild, das sich große Datenkraken von uns machen. Kein Mausklick, keine Suchanfrage, kein Weg, der mit dem Handy in der Hosentasche zurückgelegt wird, bleibt ihnen verborgen. Und wer dann auch noch E-MailDienste im Internet oder Onlinekalender nutzt, über das Internet einkauft oder bei Facebook auf „Gefällt mir“klickt, zeichnet ein Bild von sich, das in seiner Klarheit eher einem hochauflösenden Foto gleicht als einem Mosaik. Doch darüber können sich nur mehr wenige echauffieren – die technikbegeisterte Mehrheit gähnt beim Thema Datenschutz. Auf die Empörung folgt Langeweile. Apropos Bilder und Mosaiken. Das Projekt „Arts & Culture“ist die andere, die altruistische Seite von Google. Bei dem Projekt arbeitet Google mit 1200 Museen aus 70 Ländern zusammen, um über eine App für das Smartphone Kunst einfacher und überall erfahrbar zu machen.
Der Erfolg des Projekts war bescheiden, Kunst finden offenbar viele Smartphone-Aficionados genauso prickelnd wie Datenschutz. Bis ein Zusatzfeature das Projekt durchstarten ließ. Es ermöglicht, ein Bild von sich oder Freunden hochzuladen und einen Doppelgänger in 70.000 historischen Gemälden zu finden. So ein Spaß! Abertausende haben bereits mitgemacht. Die Ergebnisse sind verblüffend. Kein Wunder, Googles FaceNet-Algorithmus identifiziert Gesichter mit 99,6-prozentiger Sicherheit.
Und jetzt ist es wieder da, das Gruseln. Vor den Möglichkeiten unserer digitalen Welt und dem, was Menschen machen, wenn ihnen langweilig ist.