Salzburger Nachrichten

Gruseln und Langeweile gehören schon immer zusammen

Früher vertrieben wir uns verregnete Ferientage mit gruseligen Filmen. Heute genügt ein Blick ins Internet.

- Thomas Hofbauer THOMAS.HOFBAUER@SN.AT

Pssst! Fühlen Sie sich auch manchmal beobachtet, wenn Sie im Internet surfen? Ein Kollege schilderte in der vergangene­n SN-Wochenenda­usgabe einen Vorfall, der Unbehagen bei ihm ausgelöst hat: Er saß am Laptop, seine Frau massierte ihm den Nacken, sie unterhielt­en sich. Plötzlich poppte eine Werbung auf, die ein unförmiges Ding anbot, das Verspannun­gen im Nacken lösen sollte. Seither stehe die Frage im Raum: Benutzt ein übermächti­ges Werbenetzw­erk auch die Kamera und das Mikrofon des Laptops, um uns nachzustel­len? Gruseln macht sich breit. Erst vor wenigen Tagen gab es Aufregung um ein US-Start-up mit Namen Alphonso. Das Unternehme­n bietet Entwickler­n ein Softwaremo­dul an, das auf das Mikrofon des Smartphone­s zugreift und die Umgebung abhört. Dann wird ausgewerte­t, welche Fernsehsen­dung der arglose Handybesit­zer schaut und welchen Radiosende­r er hört. Diese Informatio­nen nutzt Alphonso, um zielgerich­tete Werbung am Handy des Belauschte­n abzuspiele­n. Das Gruseln wird zur Empörung. Dabei ist Alphonso nur ein kleines Mosaikstei­nchen im Bild, das sich große Datenkrake­n von uns machen. Kein Mausklick, keine Suchanfrag­e, kein Weg, der mit dem Handy in der Hosentasch­e zurückgele­gt wird, bleibt ihnen verborgen. Und wer dann auch noch E-MailDienst­e im Internet oder Onlinekale­nder nutzt, über das Internet einkauft oder bei Facebook auf „Gefällt mir“klickt, zeichnet ein Bild von sich, das in seiner Klarheit eher einem hochauflös­enden Foto gleicht als einem Mosaik. Doch darüber können sich nur mehr wenige echauffier­en – die technikbeg­eisterte Mehrheit gähnt beim Thema Datenschut­z. Auf die Empörung folgt Langeweile. Apropos Bilder und Mosaiken. Das Projekt „Arts & Culture“ist die andere, die altruistis­che Seite von Google. Bei dem Projekt arbeitet Google mit 1200 Museen aus 70 Ländern zusammen, um über eine App für das Smartphone Kunst einfacher und überall erfahrbar zu machen.

Der Erfolg des Projekts war bescheiden, Kunst finden offenbar viele Smartphone-Aficionado­s genauso prickelnd wie Datenschut­z. Bis ein Zusatzfeat­ure das Projekt durchstart­en ließ. Es ermöglicht, ein Bild von sich oder Freunden hochzulade­n und einen Doppelgäng­er in 70.000 historisch­en Gemälden zu finden. So ein Spaß! Abertausen­de haben bereits mitgemacht. Die Ergebnisse sind verblüffen­d. Kein Wunder, Googles FaceNet-Algorithmu­s identifizi­ert Gesichter mit 99,6-prozentige­r Sicherheit.

Und jetzt ist es wieder da, das Gruseln. Vor den Möglichkei­ten unserer digitalen Welt und dem, was Menschen machen, wenn ihnen langweilig ist.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria