Polizisten ermitteln am Berg
Ihr Revier: die Berge. 492 Exekutivbeamte in Österreich sind speziell ausgebildete Alpinpolizisten. Über ihren Alltag, ihre Herausforderungen und die steigende Zahl an Toten und Verletzten.
Auf den ersten Blick scheint alles wie immer: Heiligenblut, das kleine Kärntner Alpendorf auf 1288 Metern Seehöhe, liegt unter einer dicken Schneedecke. Was die wenigsten ahnen: Der Ort im Schatten des Großglockners dürfte in dieser Woche einer der sichersten in ganz Österreich sein.
19 Polizisten absolvieren hier ihre Ausbildung zu Alpinpolizisten. Ein Kurs, der aus Uniformierten bergerprobte Spezialisten macht, die immer dann zum Einsatz kommen, wenn sich im alpinen Gelände Unfälle ereignen. „Unser Schwerpunkt liegt in der Unfallerhebung und -aufnahme. Es gilt etwa zu klären, ob Fremdverschulden vorliegt, oder Lawinen- und Liftunfälle aufzunehmen“, erklärt Ausbildungsleiter Josef Bierbaumer.
In Österreich, das immerhin zu fast zwei Dritteln aus alpinem Gelände besteht, gibt es 492 Alpinpolizisten. In Kärnten sind es 70. Ein kleiner Teil von ihnen sitzt im Seminarraum des Kärntnerhofs in Heiligenblut. Theorie steht auf dem Plan, bevor es auf die Piste geht.
Interessenten für die Ausbildung zu finden sei nicht das Problem, erzählt Polizeibergführer Bierbaumer. Dennoch bleibt ein Wermutstropfen. „Gewisse Bezirke in Kärnten kämpfen mit einer Überalterung bei den Polizisten.“Junge Polizisten ziehe es vor allem in die Ballungszentren, weil dort dringend Personal gesucht werde und das Aufgabenspektrum „spannender“sei als auf einer kleinen Inspektion auf dem Land. „Was auch wichtig ist, denn in der Stadt lernt der Nachwuchs die volle Bandbreite der Polizeiarbeit kennen. Je mehr Erfahrungen ein junger Polizist auf verschiedenen Gebieten sammelt, umso besser wird er“, erklärt der 55-Jährige. Doch genau diese jungen Kandidaten sind es, die der Alpinpolizei bei Einsätzen fernab der Ballungszentren fehlen – in den Bergen.
Dass die Einsätze im alpinen Gelände steigen, zeigt ein Blick auf die jährliche Alpinunfallstatistik, die auf den erhobenen Daten der Alpinpolizisten basiert: 283 Menschen starben im vergangenen Jahr. Um elf mehr als 2016. Auch die Zahl der Verletzten stieg von 7593 (2016) auf 7807. Die Erklärung für die Zahlen liefert Bierbaumer. „Es zieht immer mehr Menschen in die Berge. Je mehr Menschen, desto mehr Unfälle“, lautet die simple Formel.
Wie viel Arbeit gerade im Winter auf die Alpinpolizisten zukommt, verdeutlicht eine andere Zahl. Von rund 470 Unfällen, die jährlich im südlichsten Bundesland Österreichs passieren, entfällt ein großer Teil auf Kollisionen auf Skipisten.
Ein Trend, der für die Kärntner Alpinpolizei während der Wintermonate in fünf Skigebieten einen eigenen organisierten Dienst mit sich bringt. Soll heißen: Auf dem Mölltaler Gletscher, auf dem Nassfeld, in Bad Kleinkirchheim, auf der Gerlitzen und auf dem Katschberg sind stets zwei Exekutivbeamte im Einsatz. Die anderen Beamten versehen „normalen“Polizeiinspektionsdienst und werden im Notfall alarmiert.
Neben der Unfallerhebung umfasst der Aufgabenbereich eines Alpinpolizisten auch die Fahndung im alpinen Gelände. Ein Beispiel für die Verbrecherjagd im Gebirge hat Ausbildungsleiter Bierbaumer rasch parat: „In Heiligenblut gab es vor ein paar Jahren eine Einbruchserie durch moldawische Täter. Da die Großglockner Hochalpenstraße gesperrt war, wussten wir, die Verdächtigen konnten nur in eine Richtung flüchten. Es wurden Straßensperren errichtet, das unwegsame Gelände und leerstehende Berghütten und Scheunen von uns durchsucht – und die Täter gefasst.“
Weg von Verbrechern, hin zu Verletzten: Wie Bierbaumer, der seit 34 Jahren bei der Alpinpolizei ist, die Entwicklung, dass mittlerweile ein Drittel aller Notrufe von Unverletzten abgesetzt wird, beurteilt? „Die Betroffenen mögen unverletzt sein, aber sie haben Todesangst, weil sie sich in einer Situation befinden, die sie verzweifeln lässt.“Dass die vermeintliche Sicherheit im alpinen Gelände auch erfahrenen Bergfexen zum Verhängnis werden kann, weiß Bierbaumer nur zu gut. Zwei Mal geriet der 55-Jährige selbst unter eine Lawine. „Es gibt keine 100prozentige Sicherheit auf dem Berg. Man erkennt Alarmzeichen und schätzt ein, wie sie sich entwickeln. Manchmal verschätzt man sich dabei.“
Genau diese Fehleinschätzungen sind es, die Bierbaumers Stimme leiser werden lassen. „Wir erleben viele Todesfälle. Das sind schwierige Momente. Vor allem, wenn Angehörige das Unfallgeschehen mitverfolgt haben und selbst vielleicht unverletzt geblieben sind“, sagt Bierbaumer. „Und dann gibt es jene Momente, wo alles gut ausgeht. Diese positiven Erlebnisse sind es, die einen die schweren vergessen lassen.“