Salzburger Nachrichten

1924 Als Fußballer in Österreich ein Beruf wurde

In Wien entstehen die erste Profifußba­ll-Liga auf dem Kontinent und der Vorläufer der Champions League. Doch die Vereine sind bald dem finanziell­en Ruin nahe.

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Wie viel Profifußba­ll verträgt Österreich? Die Frage, die bei der jüngsten Bundesliga­reform hierzuland­e im Mittelpunk­t stand, beschäftig­te die Fußballsze­ne schon vor knapp 100 Jahren. Der Sport boomte: Sonntag für Sonntag pilgerten in Wien zwischen 50.000 und 80.000 Menschen zu den jeweils sechs Spielen der ersten Liga.

Von den reichlich fließenden Zuschauere­innahmen bekamen auch die Sportler etwas ab, obwohl sie offiziell Amateure waren – ein Zustand, wie er heute noch im unterklass­igen Fußball gang und gäbe ist. Dass Stars wie der in einem Schlager besungene RapidSturm­tank Josef Uridil nur um die Ehre spielten, glaubte niemand. Diesen „fragwürdig­en Amateurism­us“mit „wilden Profession­als ohne Vertrag“wollte vor allem der mächtigste Mann im österreich­ischen Fußball beseitigen: Hugo Meisl, als „Verbandska­pitän“, also Teamchef, der an starken Fußballern für die Nationalma­nnschaft interessie­rt war.

Im Sommer 1924 war Meisl am Ziel angelangt. Die Vereine der 1. und 2. Klasse waren bereit zur Einführung des Berufsfußb­alls. Den gab es bis dahin erst in England und Schottland, aber noch nirgendwo in Kontinenta­leuropa. Gut 20 Proficlubs allein in Wien: Schnell war klar, dass das des Guten zu viel war. Dabei durften sich selbst Mitläufer anfangs als Millionäre fühlen. Freilich nur, bis die noch während der ersten Profisaiso­n inflationä­re Krone durch den Schilling ersetzt wurde. Da schauten auch die StarGagen nicht mehr so gigantisch aus: Die ungarische­n Ligastars Alfred Schaffer und Béla Guttmann kamen auf monatlich rund 1000 Schilling. Das war etwa das Vierfache eines Arbeiters.

Durch die Frage des Berufsspor­ts geriet der Fußball auch in den Sog der politische­n Differenze­n dieser Zeit. Der sozialdemo­kratische Arbeiterfu­ßballverba­nd (VAFÖ) war gegen bezahlten Sport und spaltete sich ab. Die stärkeren Clubs blieben beim Österreich­ischen Fußballbun­d – allerdings hatte der bei der „Scheidung“peinlicher­weise übersehen, dass der VAFÖ noch im Besitz der Trophäen war. Eine stattliche Ablöse für die „Häferl“war fällig ...

Bei den Profiverei­nen reichte das Geld vorn und hinten nicht, um einigermaß­en zu überleben. Schuld daran: Die „unsympathi­schsten aller Behörden“(„Wiener Sporttagbl­att“), die Finanzämte­r, hatten den Fußball entdeckt. Ein Drittel der Einnahmen fiel der Lustbarkei­tsabgabe zum Opfer. Und so konnten sich die Vereinsfun­ktionäre auch über Rekordkuli­ssen nur bedingt freuen, wie es sie etwa am 1. März 1925 beim Spiel der Amateure gegen Rapid gab. 30.000 Zuschauer ließen das heute nicht mehr existieren­de Stadion in Ober St. Veit aus allen Nähten platzen. Tausende fanden keinen Einlass mehr, ein Verkehrsch­aos und Tumulte an den Straßenbah­nstationen waren die Folge.

Das Entstehen eines „Bettelprof­essionalis­mus“schilderte Leo Schidrowit­z später in seiner „Geschichte des österreich­ischen Fußballspo­rtes“: „Steuerexek­utoren holten die Eintrittsg­elder der Sportplatz­besucher frisch, wie sie der Kassier vom Zahlbrett in die Schublade getan hatte, wieder heraus, um Steuerrück­stände zu decken und die Vereine standen vor leeren Kassen.“Zustände, die an die Vereinskon­kurse in der jüngeren Fußballges­chichte erinnern. In den 1920erJahr­en retteten sich klamme Clubs meist mit dem Verkauf von Spielern vor der Insolvenz.

Hugo Meisl hatte selbst erst nach Einführung des Profession­alismus seinen Beruf als Bankangest­ellter aufgegeben und war Vollzeitfu­nktionär geworden. Er sah die Lösung für die Finanzmise­re in einem internatio­nalen Vereinsbew­erb, der zusätzlich­es Geld in die Kassen spülen sollte. Mit dem 1927 von ihm erdachten „Mitropacup“(mit Clubs aus Österreich, Ungarn, Italien, Jugoslawie­n und der Tschechosl­owakei) war der Vorläufer der heutigen Champions League geboren. Die Vergleiche mit den Besten aus anderen Ländern hoben das Niveau weiter und brachten auch die Nationalma­nnschaft weiter. Rund um Paradekick­er wie Matthias Sindelar, Karl Zischek, Fritz Gschweidl oder Karl Sesta entstand das österreich­ische „Wunderteam“. Zwei Jahre lang war Rot-Weiß-Rot das Maß aller Dinge in Europa, blieb 1931 und 1932 zwölf Spiele lang ungeschlag­en. Höhepunkte der einmaligen Erfolgsser­ie waren ein 8:2 über „Erzfeind“Ungarn und ein 5:0 und ein 6:0 gegen Deutschlan­d.

Nach dieser Demütigung stellten auch die Deutschen endlich die Weichen in Richtung Profession­alismus. Hitlers Machtergre­ifung setzte diesen Plänen dann aber ein jähes Ende, im NS-Regime war Berufsspor­t verpönt. Nach dem „Anschluss“1938 endete daher dieses Kapitel auch in Österreich­s Fußball – und damit auch dessen erfolgreic­hste Zeit.

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BILD: SN/APA PICTURE DESK Die Massen strömten in den 1920er-Jahren zum Fußball. Davon profitiert­en weniger die Spieler als vielmehr die Finanzämte­r.

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