Staat billigt Lohndumping auf Baustellen
Gegen Schwarzarbeit gehen einige Staaten nur zaghaft vor – auch weil sie davon profitieren.
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort. Theoretisch sollte dieses Prinzip in der EU längst gelten. Doch für rund zwei Millionen Polen, Bulgaren, Rumänen, Slowenen und Slowaken, die außerhalb ihrer Heimat arbeiten, steht es nur auf dem Papier. Das stört nicht nur die entsendeten Arbeitnehmer selbst, sondern zunehmend auch österreichische Bauunternehmer, die mit legalen Mitteln nur noch schwierig Aufträge an Land ziehen und aus diesem Grund Subunternehmer anheuern, die die vorgeschriebenen Tariflöhne unterlaufen.
640.000 Meldungen für entsendete Arbeitnehmer gingen 2017 bei der österreichischen Finanzpolizei ein. Sie arbeiten meist auf Baustellen oder im Transportwesen. „Häufig wird nur auf dem Papier korrekt entlohnt. Eigene Fälscherwerkstätten produzieren die gewünschten Papiere für die Kontrollore“, sagt Wilfried Lehner, Leiter der Finanzpolizei Österreich. Er und weitere hochkarätige Diskutanten fanden sich kürzlich auf Einladung des Vereins Archimedes zu einer Bestandsaufnahme in Wien ein. Der größte Kritikpunkt: „Der öffentliche Auftraggeber hat kein Interesse daran, dass sich die Zustände auf den Baustellen ändern“, sagt Wolfgang Bayer, Hauptgeschäftsführer des Bauindustrieverbands Niedersachsen-Bremen. „Denn auch der öffentliche Auftraggeber profitiert vom billigsten Angebot.“
Wilfried Lehner ist ein Mann von Witz. Das ließe sein Job gar nicht vermuten, denn er ist Leiter der Finanzpolizei Österreich. Vielleicht ist Humor aber auch ein probates Mittel, wenn man wie er eine Aufgabe zu bewältigen hat, die kaum zu bewältigen ist.
Die Finanzpolizei nämlich ist neben dem Glücksspiel auch noch zuständig für das sogenannte Lohndumping, wenn also der ortsübliche Lohn unterschritten wird. Und das wiederum ist ein Phänomen, das in Europa in den vergangenen Jahren derart sprunghaft angestiegen ist, dass Lehners 470 Mitarbeiter alle Hände voll zu tun haben.
Die Wahrscheinlichkeit, von einem dieser Mitarbeiter kontrolliert zu werden, ist bei allem Bemühen gering: 640.000 Meldungen für entsendete Arbeitnehmer gingen 2017 bei der österreichischen Finanzpolizei ein – wobei es möglich ist, dass eine Person mehrfach genannt wird. Die Arbeitnehmer kommen vorrangig aus Ungarn, Slowenien, der Slowakei und Polen und arbeiten in Österreich meist auf dem Bau und im Transportwesen. Warum diese Völkerwanderungen stattfinden, ist leicht erklärt: In Ungarn liegt der Mindestlohn bei 412 Euro im Monat, in Polen bei 473, in Slowenien bei 804 – in Österreich beträgt der Tariflohn rund 1000 Euro.
Betreten wir die Baustelle: Die Entsendungsrichtlinie war ursprünglich eine gute Sache. Denn der Binnenmarkt, da sind sich alle einig, ist ein Segen für die EU. Und damit er funktioniert, muss es möglich sein, Arbeitnehmer vorübergehend ins Ausland zu entsenden. Nur sind die Regeln dazu inzwischen über 20 Jahre alt und wurden vor der EU-Osterweiterung erlassen. Ein polnisches Unternehmen, das heute Bauarbeiter nach Österreich schickt, müsste zwar für die Zeit der Entsendung nach österreichischem Kollektivvertrag entlohnen, die Überprüfung gestaltet sich aber sehr schwierig. Häufig wird auch nur auf dem Papier korrekt entlohnt – eigene Fälscherwerkstätten produzieren die gewünschten Papiere für die Kontrollore. Zudem gilt: Sämtliche Sozialabgaben werden im Herkunftsland fällig – und dort oft noch einmal deutlich verringert, indem der betreffende Arbeiter statt etwa als Eisenbieger nur als Hilfsarbeiter angemeldet wird.
Viele mittel- und osteuropäische Unternehmen nutzen diese Möglichkeit ausgiebig und drücken damit das Preisniveau in anderen Staaten. Vor allem Frankreich, Deutschland, Österreich und Belgien sehen darin einen unfairen Wettbewerbsvorteil, während Gewerkschafter beklagen, dass Arbeitnehmer ausgebeutet werden. Eine Reform der Entsenderichtlinie muss her, trommelt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und fordert, dass für die gleiche Arbeit am gleichen Ort auch der gleiche Lohn bezahlt wird. Im Oktober des vergangenen Jahres stieß er eine EU-weite Reform an: Die bisher unbefristeten Entsendungen sollen auf zwölf Monate begrenzt werden. Während der Entsendung muss eine Firma weiter dieselben Sozialabgaben wie im Heimatland zahlen, danach gelten die Regeln des Gastlandes. Ob und wann das Europaparlament zustimmt, ist noch offen.
Das gedrückte Preisniveau bereitet heimischen Unternehmen große Probleme: „Es rentiert sich kaum noch, legal eine Baufirma zu führen.“So formuliert es Wolfgang Bayer, Rechtsanwalt und Hauptgeschäftsführer des Bauindustrieverbands Niedersachsen-Bremen. Bayer wie auch Lehner und weitere hochkarätige Gäste waren kürzlich Gäste des Vereins Archimedes in Wien, um über fairen Wettbewerb und Lohndumping zu diskutieren.
Man betrieb zunächst Ursachenforschung: Warum haben es legal tätige Unternehmen so schwer? „Der Kampf um die Aufträge ist ausschließlich ein Preiskampf“, konstatiert Bayer. Und weil das so ist, seien die Unternehmen gezwungen Subunternehmen zu beschäftigen. „Sie selbst sind an die Tarife gebunden, Subunternehmer aus dem Ausland nicht“, erklärt Bayer. Also verspricht der Unternehmer einen Preis, den er selbst zwar nicht halten kann, den er aber dennoch verspricht, weil in der Baubranche nun einmal vorfinanziert wird und Unternehmen Anschlussaufträge brauchen. Dann beauftragt er einen Subunternehmer, dieser einen weiteren Subsubunternehmer, der noch niedrigere Personalkosten einkalkuliert, und am Ende weiß jener Bauunternehmer, der den Auftrag eigentlich erhalten hat, nicht mehr: Wer hackelt da eigentlich auf meiner Baustelle? Und zu welchen Konditionen?
Wenn dann einer von Wilfried Lehners Mitarbeitern aufkreuzt, stürzt das Kartenhaus meist ein. „Wir stellen dann oft fest, dass es sich nicht um entsendete, sondern um überlassene Arbeitskräfte handelt“, sagt Lehner. Was ist der Unterschied? „Sagen wir, Sie wollen einen Dachstuhl“, erklärt er bereitwillig. „Sie sagen Ihrem Bautrupp, wie er aussehen soll und wann er fertig sein soll. Um mehr kümmern Sie sich nicht. Das wäre die Entsendung. Wenn Sie allerdings bestimmen, wann die Arbeiter kommen sollen, wann sie Pause machen, wenn Sie ihnen das Arbeitsgerät zur Verfügung stellen, dann spricht man von Überlassung.“Entsendete Arbeiter haben zudem einen Vorarbeiter mit – auch das ist ein wichtiges Indiz für die Kontrollore von der Finanzpolizei.
„Die Unternehmen melden oft Entsendungen an, weil der Auftraggeber kein Risiko für das Lohndumping trägt. Dafür haftet der Subunternehmer“, sagt Lehner. „Zudem ist eine Entsendung weniger Aufwand.“Der Aufwand für Arbeitsüberlassungen: Jede Menge Dokumente bereithalten. Einen Nachweis über die Bezahlung, die auf Höhe des österreichischen Lohnniveaus liegen muss, außerdem Unterlagen, die beweisen, dass der Lohn auch bezahlt wird. Einen Beleg über die Sozialversicherung. Einen Rapport über die Arbeitszeit. Plus den Arbeitsvertrag. „Das wollen sich die Firmen ersparen“, sagt Lehner. „Eine Umqualifizierung ist dann aufwendig und teuer.“
Um derartige Überraschungen zu vermeiden, gab es etwa in Deutschland bereits die Idee einer sogenannten BauCard. Eine ähnliche Idee hat die österreichische PORR AG übrigens schon verwirklicht. Mit der Karte sollte die Identität des jeweiligen Arbeiters auf der Baustelle rasch abgeklärt und ein schneller Datenabgleich mit der Finanzkontrolle möglich gemacht werden. Unter Berufung auf den Datenschutz sei die Einführung der BauCard aber vom deutschen Sozialamt abgelehnt worden, berichtet Bayer und kann sich ein spöttisches Lächeln nicht verkneifen. „Gründe des Nicht-Wollens drängen sich auf. Denn andere elektronische Kartensysteme wie die E-Card wurden unproblematisch eingeführt.“
Bayer spinnt seinen Gedanken fort: „Meine Überzeugung ist daher, dass der öffentliche Auftraggeber letztlich kein Interesse daran hat, dass sich die Zustände auf den Baustellen ändern. Auch der öffentliche Auftraggeber profitiert schließlich vom billigsten Angebot, dem er den Zuschlag erteilt.“
„Ist die öffentliche Hand dann Beitragstäter?“, fragt Rechtsanwalt Wolfgang Berger, Präsident des Verein Archimedes, in die Runde. „Wenn sie Ausschreibungen mit einer Kostenobergrenze macht, die Unternehmen zwingt auszuweichen?“Wilfried Lehner nickt. „Diese Art der Auftragsvergabe ist höchst problematisch.“
Es gibt also mehrere Seiten, die ein Interesse daran haben, dass die Billigarbeiter bleiben: die Auftraggeber, die von den billigeren und verfügbaren Arbeitskräften profitieren. Und deren Herkunftsländer, die damit ihre Arbeitslosigkeit verringern. Die Arbeiter selbst gehören nur bedingt zu den Profiteuren der Geschichte. Ihnen wird für die Unterkunft, die meist ein Matratzenlager in einem Keller darstellt, ein völlig überhöhter Betrag von ihrem Lohn abgezogen. Von Weihnachtsund Urlaubsgeld gar nicht zu reden.
„Es rentiert sich kaum noch, legal eine Baufirma zu führen.“Wolfgang Bayer, Rechtsanwalt