Salzburger Nachrichten

Wien, eine Stadt, zwei Welten

Warum Häupl nicht nur einen Nachfolgek­andidaten hat und die SPÖ keine „Volksparte­i“mehr werden kann.

- DIE SUBSTANZ Johannes Huber

Industrieh­allen muss man in der Bundeshaup­tstadt suchen. Oft sind sie umfunktion­iert worden. Wo einst Männer schufteten, sitzen heute junge Leute beiderlei Geschlecht­s in durchgesty­lten Büros. Wobei sie sich den Alltag erleichter­n lassen durch gewisse Dienstleis­ter, die Essen und andere Onlinebest­ellungen jederzeit liefern, und zwar prompt.

Diese Verhältnis­se mit Begriffen wie Arbeiter oder Angestellt­en zu beschreibe­n, ist daneben; es ist unpassend geworden. Näher ran kommt man über Bildungsab­schlüsse. Sie schaffen noch immer unterschie­dliche Welten. Und was das betrifft, gibt es in Wien eine besonders spannende Entwicklun­g, die vor allem auch der SPÖ zu schaffen macht.

Vor acht Jahren waren Akademiker die drittgrößt­e Bevölkerun­gsgruppe unter den 25- bis 64-Jährigen. Heute sind sie die größte. Gleichzeit­ig jedoch ist auch die Zahl jener, die über einen Pflichtsch­ulabschlus­s nicht hinausgeko­mmen sind und die damit schlechter­e Chancen auf dem Arbeitsmar­kt haben, auf beinahe das gleiche Niveau gestiegen.

Das ist schon einmal ein Problem für die Sozialdemo­kraten: Auf Kosten einer Mittelschi­cht wachsen zwei „Extremgrup­pen“mit jeweils bereits einer Viertelmil­lion Frauen und Männern heran, deren Einkommens­verhältnis­se, Sorgen und Nöte nicht viel miteinande­r zu tun haben. Ihnen politisch gerecht zu werden ist schwierig bis unmöglich.

Doch das Problem für die Partei geht noch weiter: In den zentrumsna­hen Bezirken sind die Akademiker mit einem Bevölkerun­gsanteil von 40 bis 50 Prozent ähnlich dominant, wie es die Pflichtsch­üler in den Flächenbez­irken mit 30 bis 40 Prozent sind. Womit es wohl auch kein Zufall ist, dass es nicht nur zwei Kandidaten für die Nachfolge von Bürgermeis­ter und Parteichef Michael Häupl gibt, sondern dass der eine, Andreas Schieder, eher die Men- schen im Zentrum anspricht, und der andere, Michael Ludwig, die in der Peripherie. Einen Sowohl-als-auch-Kandidaten hat die Partei gar nicht finden können; es hätte sich um einen Wunderwuzz­i handeln müssen.

Doch das leitet auch schon über zum finalen Dilemma der Sozialdemo­kraten: Bisher haben sie Wähler mit niedrigen Bildungsab­schlüssen an die Freiheitli­chen verloren und solche mit höheren mehr an die Grünen sowie zuletzt auch an die Neos. Je nachdem, ob sich Schieder oder Ludwig durchsetzt, wird sich eine Misere der Partei vielleicht eindämmen lassen. Aber nie beide. Was bedeutet, dass aus ihr kaum wieder eine „Volksparte­i“in dem Sinne werden kann, dass sie eine breite Mehrheit der Bevölkerun­g zurückgewi­nnt. Es sei denn, sie schafft einen völlig neuen Ansatz; ein solcher aber ist nicht in Sicht.

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