Wien, eine Stadt, zwei Welten
Warum Häupl nicht nur einen Nachfolgekandidaten hat und die SPÖ keine „Volkspartei“mehr werden kann.
Industriehallen muss man in der Bundeshauptstadt suchen. Oft sind sie umfunktioniert worden. Wo einst Männer schufteten, sitzen heute junge Leute beiderlei Geschlechts in durchgestylten Büros. Wobei sie sich den Alltag erleichtern lassen durch gewisse Dienstleister, die Essen und andere Onlinebestellungen jederzeit liefern, und zwar prompt.
Diese Verhältnisse mit Begriffen wie Arbeiter oder Angestellten zu beschreiben, ist daneben; es ist unpassend geworden. Näher ran kommt man über Bildungsabschlüsse. Sie schaffen noch immer unterschiedliche Welten. Und was das betrifft, gibt es in Wien eine besonders spannende Entwicklung, die vor allem auch der SPÖ zu schaffen macht.
Vor acht Jahren waren Akademiker die drittgrößte Bevölkerungsgruppe unter den 25- bis 64-Jährigen. Heute sind sie die größte. Gleichzeitig jedoch ist auch die Zahl jener, die über einen Pflichtschulabschluss nicht hinausgekommen sind und die damit schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, auf beinahe das gleiche Niveau gestiegen.
Das ist schon einmal ein Problem für die Sozialdemokraten: Auf Kosten einer Mittelschicht wachsen zwei „Extremgruppen“mit jeweils bereits einer Viertelmillion Frauen und Männern heran, deren Einkommensverhältnisse, Sorgen und Nöte nicht viel miteinander zu tun haben. Ihnen politisch gerecht zu werden ist schwierig bis unmöglich.
Doch das Problem für die Partei geht noch weiter: In den zentrumsnahen Bezirken sind die Akademiker mit einem Bevölkerungsanteil von 40 bis 50 Prozent ähnlich dominant, wie es die Pflichtschüler in den Flächenbezirken mit 30 bis 40 Prozent sind. Womit es wohl auch kein Zufall ist, dass es nicht nur zwei Kandidaten für die Nachfolge von Bürgermeister und Parteichef Michael Häupl gibt, sondern dass der eine, Andreas Schieder, eher die Men- schen im Zentrum anspricht, und der andere, Michael Ludwig, die in der Peripherie. Einen Sowohl-als-auch-Kandidaten hat die Partei gar nicht finden können; es hätte sich um einen Wunderwuzzi handeln müssen.
Doch das leitet auch schon über zum finalen Dilemma der Sozialdemokraten: Bisher haben sie Wähler mit niedrigen Bildungsabschlüssen an die Freiheitlichen verloren und solche mit höheren mehr an die Grünen sowie zuletzt auch an die Neos. Je nachdem, ob sich Schieder oder Ludwig durchsetzt, wird sich eine Misere der Partei vielleicht eindämmen lassen. Aber nie beide. Was bedeutet, dass aus ihr kaum wieder eine „Volkspartei“in dem Sinne werden kann, dass sie eine breite Mehrheit der Bevölkerung zurückgewinnt. Es sei denn, sie schafft einen völlig neuen Ansatz; ein solcher aber ist nicht in Sicht.