Russland tritt als politischer Erpresser auf
Der Europarat in Straßburg steckt knapp 70 Jahre nach seiner Gründung in einer tiefen Krise.
Zunehmende Spannungen mit Russland sowie Mitgliedsstaaten, die sich immer weiter von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit entfernen: Ein Jahr vor den 2019 geplanten Feierlichkeiten zu seinem 70-jährigen Bestehen ist der Europarat in einer schweren Krise.
Der Generalsekretär der Organisation, Thorbjørn Jagland, zeichnet ein düsteres Bild: Grundwerte würden infrage gestellt, warnte er nun vor der Parlamentarier-Versammlung, der 324 Abgeordnete aus den Europaratsländern angehören. Einige der 47 Mitgliedsstaaten stellten sogar die Autorität des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte infrage.
Kopfzerbrechen bereitet vor allem der weitere Umgang mit Moskau. Schließlich hat Russland Teile Georgiens und der Ukraine annektiert – zwei Staaten, die ebenfalls Mitglieder der paneuropäischen Länderorganisation sind. Zwar protestierte der Europarat energisch. Doch de facto sind seine Handlungsmöglichkeiten gering. Nur die Parlamentarier-Versammlung reagierte: Sie entzog den 18 russischen Mitgliedern im April 2014, nach der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim, das Stimmrecht und schloss sie von maßgeblichen Ämtern aus.
Seither boykottiert die russische Delegation die Sitzungen der Versammlung. Im Juni 2017 legte Moskau noch nach und fror die Beitragszahlungen ein – ein Präzedenzfall in der Geschichte des Europarats. Ob Moskau den Zahlungsboykott beibehält, wird sich im Februar zeigen, wenn die erste Rate für 2018 fällig ist. Der russische Beitrag beträgt 33 Millionen Euro pro Jahr – knapp zehn Prozent des Haushalts der in Straßburg ansässigen Länderorganisation. Es gehe aber nicht nur um Geld, betont ein Diplomat in Straßburg. Im Europarat werde der Zahlungsboykott als „Erpressung“durch den größten Mitgliedsstaat empfunden. Unter diesen Umständen sei eine Wiederaufnahme des Dialogs sehr schwierig. Immerhin gibt es dafür nun einen Anlauf: Am Dienstag nahm in der Parlamentarier-Versammlung ein neuer Ad-hoc-Ausschuss seine Arbeit auf, der einen Ausweg aus der Krise suchen soll. Unter den 62 Mitgliedern sind auch zwei russische Parlamentarier. „Wir signalisieren, dass wir gesprächsbereit sind“, betont der deutsche Vorsitzende des Ausschusses für Menschenrechte, Frank Schwabe (SPD). Aber auch die Russen müssten „guten Willen zeigen“.
Genau daran fehlt es aber nach Ansicht der Russland-Expertin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, Susan Stewart. Spätestens seit der Annexion der Krim sei offensichtlich, dass sich Moskau über das Völkerrecht hinwegsetze. „Ich sehe keinen Platz mehr für Russland im Europarat.“Wenn dieser nicht reagiere, verliere er jede Glaubwürdigkeit.
Der deutsche Politikforscher André Härtel sieht hier ein Dilemma: „Wenn der Europarat ein Land rauswirft, nimmt er dessen Bürgern die Möglichkeit, vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu ziehen.“