Heiße Eisen bleiben ausgespart
Die Türkei und Österreich bemühen sich um Entspannung. Wie auch im Verhältnis zu Deutschland will die Regierung von Recep Tayyip Erdoğan mehr Normalität.
Es herrschte ein raues Klima in Istanbul. So rau, dass die Überfahrt zu der vor der Stadt liegenden Prinzeninsel beim Besuch von Außenministerin Karin Kneissl (parteilos) bei ihrem türkischen Amtskollegen Mevlut Çavuşoğlu abgesagt werden musste. Die gewonnene Zeit brauchten die Chefdiplomaten am Donnerstag auch. Länger als geplant dauerte das Vieraugengespräch, bei dem das „neue Blatt“in den Beziehungen zwischen Österreich und der Türkei aufgeschlagen werden sollte, wie Çavuşoğlu sagte. Auf dem neuen Blatt soll vorerst in erster Linie Positives stehen: Österreich und die Türkei wollen ein gemeinsames Kulturjahr auf die Beine stellen, eine gemischte Wirtschaftskommission soll eingerichtet werden und die österreichischen Archäologen, deren Arbeit 2016 von den türkischen Behörden untersagt wurde, dürfen ihre Ausgrabungen in der antiken Stadt Ephesos fortführen.
Wann und wie diese Vorhaben in die Tat umgesetzt werden, muss noch ausgearbeitet werden. Genauso wie die Antwort auf die Frage, wie die konsularische Zusammenarbeit in Zukunft verbessert werden könnte. Dabei geht es auch um die Mithilfe türkischer Behörden bei der Untersuchung von möglichen österreichisch-türkischen Doppelstaatsbürgerschaften. In diesem Punkt sei allerdings noch „eine grundsätzliche Debatte erforderlich“, gestand Kneissl ein.
Die Doppelstaatsbürgerschaften waren nicht das einzige heiße Eisen bei dem Treffen. „Wir erwarten von Österreich, dass die Einstellung gegenüber der Türkei geändert wird“, mahnte Çavuşoğlu. Das betrifft vor allem die EU-Beitrittsverhandlungen.
Seitdem Österreich sich 2016 auf EU-Ebene dezidiert für einen Abbruch der Verhandlungen mit der Türkei ausgesprochen hat, liegen die bilateralen Beziehungen endgültig im Argen. Nun findet sich der Abbruch der EU-Gespräche mit der Türkei sogar als Ziel im Programm der neuen österreichischen Regierung – mit der Ergänzung, dafür Verbündete in Europa zu suchen. Naturgemäß muss diese Haltung in der Türkei auf Widerstand stoßen. Beim ersten Treffen mit der neuen österreichischen Außenministerin wurde das Thema aber großteils ausgespart. „Ich hatte heute nicht das Anliegen, da etwas umzuwälzen“, sagte Çavuşoğlu. Die Linie Österreichs sei klar, aber „es gibt nicht nur Österreich in der EU“. Der Großteil der Länder sei für weitere Verhandlungen. Man erwarte von der EU Entscheidungen. „Wir wollen, dass wir nicht weiter vor dieser Tür aufgehalten werden, denn wir stehen schon seit 60 Jahren vor dieser Tür“, sagte der Außenminister.
Mehr als 20 Jahre davon hatte Österreich als EU-Mitglied dabei mitzureden – und die Haltung änderte sich mitunter. Als Ankara 1999 der Status des Kandidatenlandes zuerkannt wurde, waren sowohl SPÖKanzler Viktor Klima als auch ÖVPAußenminister Wolfgang Schüssel einverstanden. Auch der damalige FPÖ-Chef Jörg Haider sprach sich für eine Beitrittsperspektive aus und verwies auf die geopolitische Bedeutung der Türkei. Als 2004 dann die Verhandlungen offiziell begannen, kündigte Schüssel eine Volksabstimmung zum Beitritt an. Ein Jahr später, als die ersten Verhandlungskapitel eröffnet wurden, versuchte er den EU-Beschluss bis zuletzt zu blockieren. Seither blieb Österreich schärfster Kritiker eines Türkei-Beitritts.