Mozartwoche
Am Vorabend des 262. Geburtstags von Wolfgang Amadeus Mozart beginnt heute, Freitag, die Mozartwoche mit der Premiere der Oper „Die Entführung aus dem Serail“. Bis 4. Februar bietet das Festival viele Konzerte – unter anderem mit den Wiener Philharmonikern. Am Geburtstag, morgen, Samstag, 27. Jänner, richtet die Stiftung Mozarteum ein Fest aus: 16 Uhr Glühwein, 17 Uhr Anschnitt einer Torte, 17.30 bis 19.30 Uhr freier Eintritt, Führungen und Kinderprogramm, 20 Uhr Ständchen. SN: Ihre CD-Produktion der „Entführung aus dem Serail“steht erst am Ende eines langen Weges Ihrer Beschäftigung mit Mozart. Warum? René Jacobs: Ich habe tatsächlich lange einen Bogen um dieses Werk gemacht. Es ist sehr schwer zu besetzen, auch wenn man nur fünf Solisten braucht. Für mich gehören die „Entführung“und „Idomeneo“als die beiden Sturm-und-DrangStücke Mozarts zusammen. Da bricht Mozart ganz heftig Regeln. Er war ja nie Diplomat, er liebte keine Verbote. Und so kommt es beispielsweise auch, dass Konstanze zwei unterschiedliche Arien direkt hintereinander hat, und die zweite beginnt mit einem mehr als 60 Takte langen Vorspiel. Das war dramaturgisch absolut verpönt. Aber Mozart hat es so gewollt, und deswegen muss man nicht nur die Kräfte gut einteilen, sondern auch eine Idee davon haben, warum diese Arie ein Orchester im Orchester hat. Ich denke, die vier Instrumente drücken aus, was Konstanze nicht sagen kann, weil sie es auch nicht sagen darf: dass sie insgeheim Bassa Selim liebt. SN: Welche Stimmtypen werden für dieses Singspiel verlangt? Ich wollte in zwei Aspekten abweichen von der Tradition: Konstanze ist für mich ein lyrischer Sopran mit außergewöhnlichen Koloraturanforderungen, die ein Timbre brauchen, das die Reinheit ihrer Seele zeigt. Und Pedrillo ist kein leichter „Spieltenor“, sondern ein echter lyrischer Tenor. SN: Welche Qualitäten besitzt das Libretto? Die Vorlage von Christoph Friedrich Bretzner ist eine schöne Dichtung in archaisierendem Deutsch. Dieses Stück hat Johann Gottlieb Stephanie für Mozart mit neuen Qualitäten ausgestattet. Er hat vor allem – wohl ganz in Mozarts Sinn – den Schluss geändert. Bassa Selim findet nicht einen verlorenen Sohn, sondern den Sohn seines schlimmsten Feindes. Dadurch wird der Akt des Vergebens umso stärker.
Zudem war die eigentliche Entführungsszene im 3. Akt ein Text in Versen, und Verse mussten in Musik gesetzt, also komponiert werden. Es gibt dazu Skizzen, und ich hatte überlegt, sie für die Salzburger Aufführung einzubauen. Aber Mozart hat das verworfen und stattdessen eine Gelegenheit für ein schönes Ensemble gesucht. Daraus wurde das, wie ich es nenne, „Entfremdungsquartett“: Die vier Liebhaber zweifeln plötzlich an der Treue, Eifersüchte kommen auf, man ist sich einander nicht mehr sicher – und versöhnt sich dann doch. Das ist ein schon ganz typischer, reifer MozartMoment. SN: Sie verwenden in den Dialogen das Hammerklavier als „Stimmungsträger“. Durch diese „Musikalisierung“der Dialoge – die in der szenischen Aufführung nicht so ausgeprägt sein werden wie im CD-„Hörspiel“– soll die musikalische Spannung auch in den Sprechtexten gehalten werden. Es sind Improvisationen als Kommentar zur oder als Reaktion auf die Rede, die weitgehend auf Klavierwerken Mozarts basieren: ein spielerisches Element. Vergessen wir nicht: Mozart war Theatermensch durch und durch, er liebte die Abwechslung, den Kontrast. Oper war doch vornehmlich Unterhaltungskunst! SN: Bassa Selim singt nicht, es ist eine Sprechrolle. Was besagt das? Sprechrollen in Singspielen waren durchaus üblich. Diese Tradition kommt aus der Opéra comique. Bei Mozart bedeutet das aber mehr: Für mich steht der „sprechende“Bassa für das Rationelle, die Personifikation der Vernunft, und die, die singen, stehen für das Subjektive, das Emotionale. Dadurch, dass der Bassa nicht singt, nicht singen kann, ist er auch isoliert und einsam in einem Haus, in dem alle sonst singen. Und die Frau, die er begehrt, singt sogar für zwei! SN: Wie sehen, oder besser: hören Sie das Türkische in der „Entführung“? Türkische Musik gehört in einer „Türkenoper“unabdingbar dazu. In Wien hatte man entsprechende Instrumente als Beutestücke aus den Türkenkriegen. Einen Teil dieser Instrumente gab es aber schon zu Mozarts Zeit nicht mehr, weil sie an einen Fürsten in Polen verkauft worden waren, der eine eigene türkische Kapelle bilden wollte. Türkische Musik war nicht nur Kolorit. Sie hatte zum Ziel, laute Effekte zu schlagen, um dem Feind Angst einzujagen. Mozart hat natürlich ein Klischee benutzt, aber für die Oper wird es subtil manipuliert: auch ironisch, satirisch. Aber er wollte es nach eigener Aussage doch gerne so laut, dass die Leute, die vielleicht eingeschlafen waren, aufwachen. SN: Und wie sollte das Publikum von heute an die „Entführung aus dem Serail“herangehen? Es sollte sehr aktiv zuhören.