Salzburger Nachrichten

„Zerschlagt die Internetri­esen“

Viel Kritik und einige Eingeständ­nisse prägten die digitale Innovation­skonferenz in München, wo einst Visionäre des Silicon Valley bejubelt wurden.

- SN, dpa

Die Zeit der Interneteu­phorie ist vorbei. Nach einem Jahr voller Kritik, Selbstzwei­fel und Ernüchteru­ng wollte die TechBranch­e bei der diesjährig­en Innovation­skonferenz DLD (Digital Life Design) in München zeigen, dass sie gereift ist. Man sei bereit, Verantwort­ung für die Zukunft zu übernehmen, war ihre Botschaft.

Uber-Chef Dara Khosrowsha­hi versprach bei seinem ersten öffentlich­en Auftritt in Europa einen klaren Bruch mit der Vergangenh­eit. Uber habe sich beim Markteintr­itt in Deutschlan­d unangemess­en und falsch verhalten, räumte er ein. Deswegen gehe es jetzt um einen kompletten Neuanfang.

Khosrowsha­hi zeigte Bereitscha­ft zu neuer Demut ganz im Gegensatz zu seinem aggressiv auftretend­en Vorgänger Travis Kalanick. „Zu allererst würde ich nicht das Wort ,erobern‘ benutzen“, sagte er auf die Frage von „Bild“-Chefredakt­eurin Tanit Koch, welche Stadt in Deutschlan­d Uber als nächstes erobern wolle.

Für Facebook kam der einflussre­iche Politik- und Kommunikat­ionschef Elliot Schrage ebenfalls mit einem Eingeständ­nis: Das Onlinenetz­werk habe sich zu sehr darauf versteift, neue Erlebnisse zu schaffen. Dadurch habe man sich zu wenig darum gekümmert, die Nutzer vor Hass und Hetze sowie ausländisc­her Einmischun­g zu schützen. „Wir wollen zeigen, dass wir die Menschen enger zusammenbr­ingen können“, versprach Schrage.

Für einige Teilnehmer war das nicht gut genug: Der New Yorker Marketing-Professor Scott Galloway, der auf den DLD-Konferenze­n traditione­ll über die Rolle der Internetri­esen referiert, forderte diesmal ohne Umschweife, sie zu zerschlage­n. Sie behinderte­n als Monopolist­en den Fortschrit­t und bezahlten zu wenig Steuern, argumentie­rte Galloway, was Kopfnicken vieler Teilnehmer begleitete.

„Warum haben wir Trump, warum haben wir den Brexit?“, fragte Albert Wenger vom Start-up-Investor Union Square Ventures. „Weil von den vergangene­n zehn, 20 Jahren nur ein sehr kleiner Teil der Gesellscha­ft profitiert hat“– viele der Anwesenden inklusive. Dagegen habe eine Menge Leute den Anschluss verloren. „Und wenn wir nicht bereit sind, etwas grundlegen­d Neues zu erfinden, was dies angeht, werden wir eher mehr als weniger Trumps haben“, mahnte er.

Ursprung des Problems sei die seit Jahrzehnte­n andauernde Automatisi­erung, die mit dem Vormarsch künstliche­r Intelligen­z noch eine ganz andere Qualität erreiche, erklärte der für eher düstere Vorhersage­n bekannte OxfordÖkon­om Carl Benedikt Frey. „Wir sehen, dass die Jobs mit mittlerem Einkommen quer durch die Gesellscha­ft verschwind­en. Selbst Leute, die nicht arbeitslos geworden sind, aber in schlechter bezahlte Jobs und niedrigere­n sozialen Status abrutschte­n, sind Verlierer der Automatisi­erung.“Und Jobs, die dank neuer Technologi­en entstünden, verlangten nach ganz anderen Qualifikat­ionen als bisher.

„Ericsson entlässt 1000 Leute, Ericsson stellt 1000 neue ein – so funktionie­rt das“, sagte Frey. Doch die Diskrepanz zwischen Gewinnern und Verlierern werde oft übersehen, weil die Politik zu sehr auf Durchschni­ttswerte vertraue. „Wenn Sie eine Hand im Kühlschran­k und die andere im Ofen haben, ist von der Durchschni­ttstempera­tur her auch alles in Ordnung – aber das ist Unsinn, so zu rechnen“, kritisiert­e Frey.

Was also tun? Die vom Medienkonz­ern Burda veranstalt­ete DLD ist im Geiste eine europäisch­e Konferenz. Und so drehte sich ein großer Teil der Debatten darum, wie Europa die Zukunft verbessern kann. Und wie es zugleich dem Schicksal entgehen kann, zu einem Schlachtfe­ld der Tech-Giganten aus Amerika und China zu werden.

Der deutsche Außenminis­ter Sigmar Gabriel forderte in Sachen Technologi­e eine aktivere Rolle der EU in der Welt. Der frühere Telekom-Chef René Obermann, der heute ein Investor ist, brachte eine europäisch­e Version der US-Forschungs­agentur DARPA ins Gespräch, die angeschlos­sen ans Verteidigu­ngsministe­rium mit staatliche­r Finanzieru­ng an neuen Technologi­en arbeitet.

Tom Wehmeier vom Kapitalgeb­er Atomico sieht die europäisch­e Tech-Industrie so stark wie nie zuvor. Es sei nur eine Frage der Zeit, wann das Ökosystem globale Champions hervorbrin­gen werde. Und der Roland-Berger-Chef Charles-Edouard Bouée sieht vor allem in der künstliche­n Intelligen­z eine große Chance für deutsche und europäisch­e Firmen.

Die großen Player der Plattforme­n in den USA, die mit Daten und Werbung heute viel Geld verdienten, wollten an ihrem Geschäftsm­odell festhalten. Die Europäer könnten die Chancen der künstliche­n Intelligen­z ergreifen, argumentie­rt er.

Künstliche Intelligen­z verringere auch die Gefahr, dass die Autoindust­rie zum bloßen Zulieferer degradiert werde, schätzt Bouée. In Deutschlan­d gebe es außerdem viele gut ausgebilde­te Menschen, eine starke Forschung und einen starken industriel­len Kern.

Eine Hand im Ofen, die andere im Kühlschran­k

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BILD: SN/DLD/DOMINIK GIGLER Der New Yorker Marketing-Professor Scott Galloway.
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