Sie bringt die Kurden auf die Straße
Nadile Kiran organisiert Demonstrationen gegen Erdoğans Militäreinsatz. Die 18-jährige Maturantin musste sich schon früh durchs Leben kämpfen.
Dass Nadile Kiran Durchsetzungskraft hat, hat sie am Mittwoch bewiesen. Die 18-jährige Schülerin ging bei der Demonstration gegen den türkischen Militäreinsatz in syrische Kurdengebiete in der ersten Reihe. Als es zu Provokationen kam, stemmte sie sich mit ihren 1,53 Metern gegen die eigenen Leute, um eine Eskalation zu verhindern. Angst habe sie in solchen Situationen nicht, sagt Nadile. „Mir ist es wichtig, dass die Demonstrationen, die ich organisiere, friedlich ablaufen.“
Den Protestmarsch am Mittwochabend hat sie gemeinsam mit ihrem Vater organisiert. Beide waren bei ihrer Geburt türkische Staatsbürger, sie bezeichnen sich aber als Kurden. „Offiziell gibt es uns ja nicht, es steht auf keinem Papier, wenn du Kurde bist.“In ihrem Geburtsort Mardin in der Nähe der syrischen Grenze würden sich aber alle als Kurden bezeichnen. „Dort sprechen auch alle eine eigene Sprache.“
Nadiles Vater kam vor rund 15 Jahren nach Österreich. Zuvor war er in der Türkei gefoltert worden. Er suchte in Österreich um Asyl an und holte später seine Frau und seine einzige Tochter Nadile nach Österreich. Im Jahr 2008 bekam die Familie einen positiven Asylbescheid.
Ihre Vergangenheit holte Nadile in der Volksschule rasch ein. Wegen ihrer Herkunft sei sie von türkischen Mitschülern angefeindet worden, erzählt sie. „Erst freute es mich, dass in meiner Klasse auch andere Kinder aus der Türkei sind. Ich konnte ja kein Deutsch. Aber als sie erfuhren, wo ich herkomme, wollten sie mit mir nichts zu tun haben.“
Trotz sprachlicher und anderer Schwierigkeiten hatte sie gute Noten, sie konnte ins Gymnasium gehen. „Dazu hat mich mein Vater angetrieben.“Dort erfuhr sie, dass es auch ein anderes Miteinander von Türken und Kurden in Österreich gibt. „Jetzt ist eine meiner besten Freundinnen Türkin. Wir sind vier türkischstämmige Jugendliche in unserer Klasse. Obwohl wir alle unterschiedliche politische Auffassungen haben, verstehen wir uns super gut.“Und mit Nadile kann man
„Bei diesem Thema ist es schwierig, nicht emotional zu werden.“Nadile Kiran, Schülerin
über Politik intensiv diskutieren. Im Herbst kandidierte sie bei der Nationalratswahl als Spitzenkandidatin der KPÖ plus. Die nun anstehende Matura steht einer Kandidatur bei der Landtagswahl im Weg. „Das finde ich sehr schade, aber es geht nicht anders.“
Trotzdem wird sie weiter politisch in Erscheinung treten. Etwa, wenn am Samstag eine weitere Demonstration gegen den türkischen Militäreinsatz abgehalten wird. Nadile versteht, dass es oft Zwischenfälle bei kurdischen Demonstrationszügen gibt. „Bei dem Thema ist es schwierig, nicht emotional zu werden.“Am Mittwoch waren es laut Polizei türkischstämmige Jugendliche, die für Provokationen sorgten. Türken fühlen sich andererseits von den Fahnen der als Terrororganisation eingestuften PKK provoziert, die einige kurdische Teilnehmer auch am Mittwoch hissten. Trotzdem will Nadile niemandem Fahnen verbieten. „Wenn sich Leute solidarisch zeigen wollen, dann sollen sie das.“
Die politische Situation in ihrem Geburtsort beschäftigt Nadile nun auch bei ihrer Matura: Ihre vorwissenschaftliche Arbeit hat Frauen in kurdischen Gebieten zum Thema. Später würde Nadile gern Journalistin werden. Erste literarische Erfolge hatte sie bereits: Mit 16 Jahren gewann sie einen Schreibwettbewerb des Literaturhauses. Ihre Mutter ist besonders stolz: Diese ist selbst Analphabetin.