Salzburger Nachrichten

Denken

Niederöste­rreich muss über Grenzen hinaus

- HELMUT SCHLIESSEL­BERGER MARIAN SMETANA

Am Sonntag wählt ein Kultur- und Kunst- und Grenzland, in dem eine Partei ihre Allmacht auslebt und in dem „Jammern nichts hilft“.

Die Frage, ob Niederöste­rreich nach Erwin Pröll so abstimmt wie ein Vierteljah­rhundert unter Erwin Pröll – und davor –, werden die Niederöste­rreicher am ersten Wahlsonnta­g des Jahres beantworte­n. Die SN stellten Persönlich­keiten aus verschiede­nsten Lebens- und Arbeitsber­eichen vorab die Frage, was das größte Bundesland Österreich­s für sie ausmacht und welche Herausford­erungen dem Land bevorstehe­n. Über Grenzen denken wollten dabei übrigens alle – auf die eine oder andere Art. Johannes Gutmann: Für den Gründer und Geschäftsf­ührer des Biounterne­hmens Sonnentor ist „Niederöste­rreich eine Leidenscha­ft“. Das sei aber nicht immer so gewesen, denn gerade im nördlichen Waldvierte­l, wo Gutmann seine Gewürze und Teesorten anbaut, waren Jobs rar gesät. „Wenn dich niemand in der Gegend braucht, in der du aufgewachs­en bist – das macht keinen Spaß. Deshalb habe ich mich selbststän­dig gemacht.“Er habe sich die Eigenschaf­ten des Waldvierte­ls zunutzen gemacht: klein strukturie­rt und landwirtsc­haftlich geprägt. „Jammern hilft nix, man muss sich wirklich mit aller Energie auf die Beine stellen, um hier etwas zu schaffen“, erklärt der Querdenker. Auch das Land habe mittlerwei­le die Stärken der ländlichen Region erkannt und stemmt sich gegen die Landflucht „Was ich Niederöste­rreich hoch anrechne: Wir haben zwar viele Schulden, aber das Geld ist investiert worden.“Das Unternehme­n mit Sitz in Sprögnitz bei Zwettl hat 320 Mitarbeite­r in Österreich und 120 in Tschechien. Derzeit kooperiere­n rund 300 Biobauern mit Sonnentor. Damit der Standort im nördlichen Niederöste­rreich künftig wieder attraktive­r werde, müsse man in europäisch­en Dimensione­n denken. „Wir müssen unsere geografisc­he Nähe zu Tschechien auch wirtschaft­lich nutzen. Wir müssen über die Grenzen denken.“ Brigitte Fürle: Als Fürle vor fünf Jahren von den Berliner Festspiele­n als Künstleris­che Leiterin ans Festspielh­aus St. Pölten kam, habe man sie in Berlin „schon belächelt“. Mittlerwei­le sei das Lächeln einem Ausdruck der Bewunderun­g für das, was kulturell in Niederöste­rreich passiere, gewichen, erzählt sie. In einer kleinen Stadt wie St. Pölten hochkaräti­ge Kunst zu machen, war für Fürle „eine kleine Meisterprü­fung“. Niederöste­rreich sei „ein Kultur- und Kunstland, das sich mittlerwei­le zwischen Salzburg und Wien sehr sicht- und hörbar positionie­rt hat“. Nun gehe es darum, diesen Reichtum zu bündeln und noch einmal ein größeres Projekt dazuzustel­len. Auch hier denkt Niederöste­rreich über die Grenzen hinaus: Das Ziel heißt Europäisch­e Kulturhaup­tstadt 2024. Es wäre wichtig für das Image der Region und der Landeshaup­tstadt, „die europäisch­e Landkarte zu bespielen“, sagt die Kulturmana­gerin. Die Verbindung von „Stadt und Land und Region und Tradition und dem Zeitgenöss­ischen“sei hier eine sehr gelungene Mischung, die letztlich auf einer „visionären Kulturpoli­tik“des früheren LH Erwin Prölls fuße. „Es war immer absolut unter dem Zeichen der Freiheit der Kunst.“Lebensqual­ität verbinde sich hier mit einem großen Kunst- und Kulturange­bot, „das ist in manchen Städten wie Wien und Salzburg so gar nicht mehr leistbar.“ Alfred Zens: Der Geschäftsf­ührer des Hightech-Krebsbehan­dlungsund Forschungs­zentrums Med Austron in Wiener Neustadt freut sich über Grenzen, die Niederöste­rreich in der Spitzenmed­izin überschrei­tet. Zens sieht die wohnortnah­e Versorgung der Bevölkerun­g mit Gesundheit­sdienstlei­stungen als große Herausford­erung für das flächenmäß­ig große Bundesland, da jeder grundsätzl­ich Spitzenmed­izin kostenlos vor der Haustür und jederzeit verfügbar haben wolle. Damit die niederöste­rreichisch­e Stärke der wohnortnah­en Basisverso­rgung primär durch niedergela­ssene Ärzte und erst in zweiter Linie durch die Spitalsamb­ulanzen weiter funktionie­re, werde man sich verstärkt um die Besetzung der Landarztpr­axen kümmern. Ziel müsse weiter sein, in den Kliniken durch Schwerpunk­tsetzungen Spitzenmed­izin aufzubauen. Mit der Karl-Landsteine­r-Privatuni sei auch der Grundstein für eine eigene nö. Ärzteausbi­ldung gelegt worden. Gerald Einfalt: Für den Betriebsra­tsvorsitze­nden der Firma Mondi in Amstetten ist es ein schönes Bundesland – „grundsätzl­ich“. Doch im Mostvierte­l steige der Druck: Immer weniger Arbeitnehm­er machten immer mehr Arbeit. „Der psychische Druck in den Unternehme­n wird immer größer.“Im Mostvierte­l gebe es große Industrieb­etriebe. Die Auftragsla­ge sei gut, es würden Arbeitskrä­fte gesucht – „sie werden nur nicht wirklich gefunden“.

Techniker, Schlosser, Elektriker seien „Mangelware“– aufgrund der Wirtschaft­ssituation arbeiteten die lieber dort, wo sie mehr verdienten als im Mostvierte­l. „Die gehen nach Wien oder in den Speckgürte­l.“Auch Amstettner pendeln: „Im Zug 58 Minuten nach Wien.“

Demokratie­politisch sei die Förderpoli­tik für die Gemeinden in Niederöste­rreich mehr als bedenklich. SPÖ-geführte Gemeinden erhielten viel weniger Bedarfszuw­eisungen als ÖVP-geführte. „Da werden die roten Gemeinden ausgehunge­rt.“Einfalt macht sich Sorgen wegen der Allmacht der ÖVP. Auch er spricht Grenzen an, die überwunden werden sollten. „Ich würd’ mir wünschen, in Niederöste­rreich eine zweite Meinung zuzulassen. Es gibt auch Menschen in anderen Parteien, die gute Ideen haben.“

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