Denken
Niederösterreich muss über Grenzen hinaus
Am Sonntag wählt ein Kultur- und Kunst- und Grenzland, in dem eine Partei ihre Allmacht auslebt und in dem „Jammern nichts hilft“.
Die Frage, ob Niederösterreich nach Erwin Pröll so abstimmt wie ein Vierteljahrhundert unter Erwin Pröll – und davor –, werden die Niederösterreicher am ersten Wahlsonntag des Jahres beantworten. Die SN stellten Persönlichkeiten aus verschiedensten Lebens- und Arbeitsbereichen vorab die Frage, was das größte Bundesland Österreichs für sie ausmacht und welche Herausforderungen dem Land bevorstehen. Über Grenzen denken wollten dabei übrigens alle – auf die eine oder andere Art. Johannes Gutmann: Für den Gründer und Geschäftsführer des Biounternehmens Sonnentor ist „Niederösterreich eine Leidenschaft“. Das sei aber nicht immer so gewesen, denn gerade im nördlichen Waldviertel, wo Gutmann seine Gewürze und Teesorten anbaut, waren Jobs rar gesät. „Wenn dich niemand in der Gegend braucht, in der du aufgewachsen bist – das macht keinen Spaß. Deshalb habe ich mich selbstständig gemacht.“Er habe sich die Eigenschaften des Waldviertels zunutzen gemacht: klein strukturiert und landwirtschaftlich geprägt. „Jammern hilft nix, man muss sich wirklich mit aller Energie auf die Beine stellen, um hier etwas zu schaffen“, erklärt der Querdenker. Auch das Land habe mittlerweile die Stärken der ländlichen Region erkannt und stemmt sich gegen die Landflucht „Was ich Niederösterreich hoch anrechne: Wir haben zwar viele Schulden, aber das Geld ist investiert worden.“Das Unternehmen mit Sitz in Sprögnitz bei Zwettl hat 320 Mitarbeiter in Österreich und 120 in Tschechien. Derzeit kooperieren rund 300 Biobauern mit Sonnentor. Damit der Standort im nördlichen Niederösterreich künftig wieder attraktiver werde, müsse man in europäischen Dimensionen denken. „Wir müssen unsere geografische Nähe zu Tschechien auch wirtschaftlich nutzen. Wir müssen über die Grenzen denken.“ Brigitte Fürle: Als Fürle vor fünf Jahren von den Berliner Festspielen als Künstlerische Leiterin ans Festspielhaus St. Pölten kam, habe man sie in Berlin „schon belächelt“. Mittlerweile sei das Lächeln einem Ausdruck der Bewunderung für das, was kulturell in Niederösterreich passiere, gewichen, erzählt sie. In einer kleinen Stadt wie St. Pölten hochkarätige Kunst zu machen, war für Fürle „eine kleine Meisterprüfung“. Niederösterreich sei „ein Kultur- und Kunstland, das sich mittlerweile zwischen Salzburg und Wien sehr sicht- und hörbar positioniert hat“. Nun gehe es darum, diesen Reichtum zu bündeln und noch einmal ein größeres Projekt dazuzustellen. Auch hier denkt Niederösterreich über die Grenzen hinaus: Das Ziel heißt Europäische Kulturhauptstadt 2024. Es wäre wichtig für das Image der Region und der Landeshauptstadt, „die europäische Landkarte zu bespielen“, sagt die Kulturmanagerin. Die Verbindung von „Stadt und Land und Region und Tradition und dem Zeitgenössischen“sei hier eine sehr gelungene Mischung, die letztlich auf einer „visionären Kulturpolitik“des früheren LH Erwin Prölls fuße. „Es war immer absolut unter dem Zeichen der Freiheit der Kunst.“Lebensqualität verbinde sich hier mit einem großen Kunst- und Kulturangebot, „das ist in manchen Städten wie Wien und Salzburg so gar nicht mehr leistbar.“ Alfred Zens: Der Geschäftsführer des Hightech-Krebsbehandlungsund Forschungszentrums Med Austron in Wiener Neustadt freut sich über Grenzen, die Niederösterreich in der Spitzenmedizin überschreitet. Zens sieht die wohnortnahe Versorgung der Bevölkerung mit Gesundheitsdienstleistungen als große Herausforderung für das flächenmäßig große Bundesland, da jeder grundsätzlich Spitzenmedizin kostenlos vor der Haustür und jederzeit verfügbar haben wolle. Damit die niederösterreichische Stärke der wohnortnahen Basisversorgung primär durch niedergelassene Ärzte und erst in zweiter Linie durch die Spitalsambulanzen weiter funktioniere, werde man sich verstärkt um die Besetzung der Landarztpraxen kümmern. Ziel müsse weiter sein, in den Kliniken durch Schwerpunktsetzungen Spitzenmedizin aufzubauen. Mit der Karl-Landsteiner-Privatuni sei auch der Grundstein für eine eigene nö. Ärzteausbildung gelegt worden. Gerald Einfalt: Für den Betriebsratsvorsitzenden der Firma Mondi in Amstetten ist es ein schönes Bundesland – „grundsätzlich“. Doch im Mostviertel steige der Druck: Immer weniger Arbeitnehmer machten immer mehr Arbeit. „Der psychische Druck in den Unternehmen wird immer größer.“Im Mostviertel gebe es große Industriebetriebe. Die Auftragslage sei gut, es würden Arbeitskräfte gesucht – „sie werden nur nicht wirklich gefunden“.
Techniker, Schlosser, Elektriker seien „Mangelware“– aufgrund der Wirtschaftssituation arbeiteten die lieber dort, wo sie mehr verdienten als im Mostviertel. „Die gehen nach Wien oder in den Speckgürtel.“Auch Amstettner pendeln: „Im Zug 58 Minuten nach Wien.“
Demokratiepolitisch sei die Förderpolitik für die Gemeinden in Niederösterreich mehr als bedenklich. SPÖ-geführte Gemeinden erhielten viel weniger Bedarfszuweisungen als ÖVP-geführte. „Da werden die roten Gemeinden ausgehungert.“Einfalt macht sich Sorgen wegen der Allmacht der ÖVP. Auch er spricht Grenzen an, die überwunden werden sollten. „Ich würd’ mir wünschen, in Niederösterreich eine zweite Meinung zuzulassen. Es gibt auch Menschen in anderen Parteien, die gute Ideen haben.“