„Unser Vorteil ist die Zeit“
Ein Salzburger ist der Mann hinter den Erfolgen der deutschen Abfahrer: Christian Schwaiger über Thomas Dreßen und warum das Potenzial in Österreich auch Fluch sein kann.
Der Saalfeldner Christian Schwaiger war einst selbst Skifahrer und wechselte vor 20 Jahren die Seiten: Erst betreute er von 1998 bis 2006 die Briten, von 2006 bis 2014 die deutschen Ski-Damen und seit 2014 ist er Abfahrtstrainer der DSV-Herren, die zur Sensation des Winters wurden. Sein Schützling Thomas Dreßen gewann letzte Woche den Abfahrtsklassiker von Kitzbühel. SN: Sieg auf der Streif – da hat es wohl auch Ihnen die Rede verschlagen? Schwaiger: Für jeden im Abfahrtssport ist das natürlich ein Traum. Wenn ich mir den Hype um Thomas in den letzten Tagen in Deutschland ansehe, dann weiß man, was der Sieg bedeutet. Ich habe mit Maria Höfl-Riesch auch schöne Erfolge gefeiert, aber ein Streif-Sieg ist halt noch einmal etwas anderes. SN: 2014 wollte der DSV die Abfahrtssparte schon auflösen, das Team agierte unter der Wahrnehmungsschwelle. Warum übernimmt man so einen Job? Ich wollte auf die Abfahrt wechseln und es hat sich diese Möglichkeit ergeben. Als ich einst die Briten übernommen habe, da waren die auch nirgendwo im Weltcup und Alan Baxter hat es im Slalom in die Weltspitze geschafft. Mir war klar, dass wir das auch mit den deutschen Abfahrern erreichen können. SN: Trainer erklären wortreich, warum fast nur noch Läufer über 30 Jahre in dieser Sparte gewinnen können: Man muss die Strecken genau kennen, braucht ein Gefühl für Schnee und sehr viel Erfahrung. Dann kommt Thomas Dreßen und gewinnt mit 24 Jahren bei seinem zweiten Antreten Kitzbühel. Was läuft da anders? Ich habe den Abfahrern am Anfang gesagt: Euer größter Vorteil ist die Zeit. Wir sind zwei, drei Jahre mit den jungen Fahrern durch den Weltcup gefahren, damit sie die Strecken und alles rundherum kennenlernen. Der größte Lehrmeister in der Abfahrt ist der Weltcup, der Europacup dahinter ist ja leider zum Vergessen. Auch ein Thomas Dreßen ist bei seinen ersten Trainings im Weltcup acht Sekunden hinten gelegen, das ist der Unterschied zum Europacup. Das erste Jahr ist er ja auch oft im Zaun gelegen. Aber irgendwann war er da und seit der WM ist er nie mehr schlechter als auf Rang 16 klassiert gewesen. SN: So eine Herangehensweise wäre im ÖSV undenkbar... Ja, das ist der Fluch und Segen des Potenzials, das der Skisport in Österreich hat. Wer in Österreich nicht gleich performt, kommt wieder in den Europacup und muss sich da hochdienen. Dieses Potenzial haben wir nicht, weder an Fahrern noch im Umfeld. Ich erinnere mich an unser erstes Training in Copper Mountain: Unser Team bestand aus vier Fahrern, dem Co-Trainer und mir. Der Co-Trainer hat die Zeiten genommen, ich war der einzige Trainer auf einer drei Kilometer langen Abfahrt. Das schaut bei den Österreichern oder Schweizern ganz anders aus. SN: Oft wurde zuletzt das Fehlen permanenter Abfahrtspisten moniert, derzeit gibt es nur eine in Saalbach. Was sagen Sie dazu? Von der Diskussion sind wir Welten entfernt. Es gibt in Deutschland eine einzige Abfahrtsstrecke, die ist in Garmisch-Partenkirchen. Auf der konnten wir in den letzten vier Jahren zwei Mal trainieren. Zum Glück bin ich ein halber Saalbacher, dorthin können wir immer wieder ausweichen. SN: Beim Heimspiel heute, Samstag, in Garmisch sind Dreßen, Ferstl und Co. plötzlich im Mittelpunkt. Was macht das mit dem Team? Nichts. Ein Top-10-Platz ist immer noch ein Erfolg für uns. Wir sind ja nicht Österreich, das in jedem Rennen vier Siegkandidaten stellt. Aber das wissen meine Jungs auch, das brauche ich ihnen nicht zu sagen. Zur Person Christian Schwaiger: